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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 32.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Novelle von A. Godin.
(Fortsetzung.)


Es konnte nicht ausbleiben, daß sich die Gespräche, welche Fügen mit Jana zu führen pflegte, manchmal auf Genoveva richteten; ganz abgesehen von den stillen Betrachtungen, die er über seine Schloßherrin in sich ausspann, machte es ihm auch immer Freude, Jana’s ruhig-heiteres Wesen zur Lebendigkeit erhöht zu sehen, und das geschah leicht, sobald sie von ihrer Dame sprach, welche sie zu vergöttern schien. Auch das Verhältniß dieser beiden Frauen zu einander interessirte Fügen. Zwischen Frau von Riedegg und dem jungen Mädchen bestand eine feine Grenzlinie; mochte dieselbe im Willen der Herrin oder im natürlichen Tactgefühle der Untergebenen beruhen, genug, sie wurde nie überschritten und schloß Vertraulichkeit ein- für allemal aus. Daß aber Jana das Vertrauen Genoveva’s im höheren Sinne besaß, ersah Fügen daraus, daß in die Hände des Mädchens die ganze Gestaltung des äußeren Lebens unbeschränkt gelegt war; auch blieb ihm kein Zweifel darüber, daß Jana in Dinge eingeweiht sein mußte, welche den Kern jenes Rätselhaften ausmachten, das er ahnte, wenn auch nicht sah. Sie war eine zu einfache Natur, um sich zu verbergen; sie konnte nur schweigen. In unüberwindlicher Verwirrung brach sie stets ab, wenn auf das erste Jahr ihres Zusammenlebens mit Frau von Riedegg die Rede kam. Fügen wußte nur, daß Jana derselben als Wärterin des Kindes gefolgt war, nachdem die Unglücksbotschaft, daß sie Wittwe geworden, sie erreicht. Wo und wie die zunächst daraus folgende Zeit hingebracht worden, erfuhr er nicht, und hier mußte der Knoten von Genoveva’s Schicksal liegen; denn an dieses Jahr zu rühren, erregte Jana offenbar Pein, und so vermied er dies denn auf das Aengstlichste.

Gab es doch übrigens des Stoffes genug! Von sich selbst zu sprechen, was Details des eigenen Lebens und Treibens betraf, war Fügen nie zuvor eingefallen; dies wird nur einem ganz sympathischen, persönlich interessieren Zweiten gegenüber zum Reiz und Vergnügen. Mit Jana aber sprach er von jedem Zeitpunkte seines Lebens – er that es mit einem ihm nur halbbewußten inneren Behagen; in solchen Momenten besann er sich bis auf die halbvergessenen, unter mütterlichem Flügel verlebten Kinderjahre zurück und gewann plötzlich an seinem eigenen Dasein ein naives Interesse, wenn es ihm so Bild nach Bild aus der Erinnerung aus die Lippen trat. Wie verstand Jana das aber auch hervorzulocken, wie folgte sie ihm verständnißinnig auf jedem Wege, den er sie mit sich wandern ließ, oft recht in die Kreuz und die Quere! Sie selbst gab sich keine Rechenschaft über ihre Hingabe, war sich derselben in keiner anderen Weise bewußt, als durch ein innerliches Wohlsein, das ihr ganzes Wesen erfüllte. Unmerklich fanden in ihrem Herzen zwei Götter neben einander Platz – Fügen neben Genoveva; denn wie ihre Herrin, so sah sie auch ihn hoch über sich. Seines Gleichen war ihr zuvor nie begegnet; das Träumerische und doch zugleich Thatkräftige seines Geistes, den sie trotz ihrer Einfachheit verstand, weil Alles in ihm auf Wahrheit beruhte, erhob ihn vor ihr; seine Fähigkeit, durch alles Schöne, durch dessen geringste Annehmlichkeiten beglückt zu werden, brachte ihn ihr ganz nahe; denn auch ihr, dem schlichten Landmädchen, war es in die Wiege gelegt worden, Alles schön zu sehen und selbst zu verschönen. Das kam ihm jetzt zu Gute; Jana war es, die persönlich für des Burggastes Behagen sorgte, und wie sorgte! Sympathisch errieth sie Alles, was dem Alltäglichen Anmuth verleiht, und wußte im Stillen das Hausleben, so weit es ihn berührte, nach seinem Behagen zu gestalten.

„Guter Hausgeist!“ hatte sein Gedanke sie schon am Tage seines Einzuges genannt; jetzt gab er ihr den Namen laut. Aber auch ein anderer Name, den sie früher getragen, gefiel ihm sehr, und er ward allabendlich an denselben erinnert.

Die „Kränzewinderin“ übte zu dieser Stunde ihre alte Kunstfertigkeit; denn wenn die an schweren Ketten hängende Ampel ihr Licht über den Tisch ausgoß und Fügen mit der Hausfrau über mancherlei tiefsinnige Dinge oder gar über Welthändel sprach, dann waren neben ihnen Jana’s schlanke Mädchenhände eifrig bemüht, grüne Blätter aus Taffet oder Battist zierlich an einander zu fügen oder hier ein paar auf Draht gezogene Wachsperlen, dort ein leichtes Büschel von Silberlahn zwischen das Grün zu flechten; sie that es immer mit sicherem Geschmack und wies jedem die Stelle an, wo es am besten wirken mußte; so entstand denn manch ein Hutsträußchen für den Hochzeiter oder ein Feiertags-, ein Brautkranz – wohl auch ein Todtenkranz. Das auf großem Theebrette ausgebreitete Geflimmer war auch eine nie erschöpfte Verlockung für die Kinder, namentlich für Maxi, die oft herangelaufen kam und, auf ihre Zehen erhoben, etwas von all dem Glänzenden fortzustibitzen versuchte. Die Thür zum Kinderzimmer stand Abends immer offen, und das kleine Paar trieb sein Wesen unbeschränkt bald dort, bald um die Großen her bis zur Schlafenszeit. Darnach wurde von den drei Hausgenossen das leichte Nachtmahl eingenommen, nach welchem sie sich häufig hinauf in das Musikzimmer begaben Jana hatte zu den Kirchensängerinnen gehört, war als solche fest im Tact und vertraut mit den Note gewesen, ehe sie in das Haus Genoveva’s eintrat. Sie besaß eine nicht besonders

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 521. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_521.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)