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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 31.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Mutter und Sohn.

Von A. Godin.
(Fortsetzung.)

„Wie heißest Du?“ fragte Fügen, nur um des Kindes Stimme zu hören.

„Siegmund Riedegg heiß’ ich. Und Dich kenn’ ich auch. Du bist ein Richard – hab’ Euch vorhin schwatzen hören. Kommst Du auf die Moosburg, Mann? Dann zeig’ ich Dir mein Schaukelpferd.“

„Ich komme,“ rief Fügen mit wunderlicher Inbrunst, drückte seine bärtige Wange gegen das weiche Gesichtchen des Kleinen und war im Begriff, ihn niedergleiten zu lassen, als er sein linkes Bein fest umklammert fühlte.

„Laß los! Laß mein’ Sigi los!“ rief es mit vollem Kinderzorn zu ihm auf. Das Dirnchen rüttelte so tapfer, als wollte es den Angegriffenen zu Falle bringen. Die schwarzen Augen blitzten.

„Maxi!“ mahnte Jana strafend.

„Ist das ein Unkräutchen!“ sagte die Müllerin und faltete ihr Strickzeug zusammen. „Die müßt Ihr besser ziehen, sonst kommt Das aus Rand und Band. Man merkt’s gut, daß hier wildes Blut sein Wesen treibt. Jetzt mag’s noch angehen, bald wird’s aber doch Zeit, sie anders zu halten, als wie ein Geschwister vom jungen Herrlein.“

„Ist sie denn das nicht?“ sagte Fügen, der lachend den Knaben niedergestellt hatte.

„I bewahre!“ eiferte die alte Frau. „Ein wilder Schoß ist’s, der in Wien der Gnädigen einmal vor die Thür gelegt worden ist und den sie da behalten hat und großziehen will, statt den Wurm im Findelhaus abzugeben, wohin so Was gehört. Kann mir schon vorstellen, daß unsere Jana dabei die Hand im Spiele gehabt hat – die war alleweil ein Kindernarr und weichmüthig wie Butter. Ich mein’ bald, ich hör’s, wie sie der Gnädigen vorgeredet haben mag, daß sie alle Müh’ auf sich nehmen wollte. Na, das hat sie freilich rechtschaffen gethan; man darf sagen, sie giebt auf Eins von den Kindeln so viel, wie auf’s Andere. Und Gotteslohn is schon dabei – nur verziehen sollen sie das Ding nit. Ist so wie so an Unband. Aber da schauen’s nur wieder die Jana an! Roth wie ein Puthahn wird sie allemal, wenn Eins an ihrem Ziehkind ’was auszusetzen hat. Komm daher, Maxi!“

Die Gerufene schlüpfte wie eine Eidechse unter den Händen Jana’s durch, welche eben im Begriffe war, ihr das Strohhütchen festzubinden, lief blitzschnell zur Müllerin und funkelte sie mit erwartungsvollem Blicke an.

„Dem Herrn da sollst ein Patschhändchen geben, daß er sieht, Du kannst auch brav sein.“

Flink kletterte das Kind auf den Schooß der Frau, stellte sich dort kerzengerade aufrecht und streckte Fügen ein braunes Händchen entgegen, um es hurtig zurückzuziehen, als er Miene machte, es zu fassen. Im nächsten Momente rollte sie wie ein Knäuel auf den Boden.

„Ist das eine Art!“ schalt die Alte. „Woher das Kind nur all den Unfug lernt!“

„Den weiß ich auswendig,“ rief Maxi lustig.

„Komisches Ding!“ lachte Fügen ergötzt.

Die Kleine sah ihn bitterböse an. „Bin kein Ding – Ding ist was Garstiges – bin Maxi.“

„Darf ich Sie begleiten und meinen Frieden mit diesem Kampfhähnchen machen?“ fragte Fügen, zu Jana gewendet. „Wir haben gleiche Richtung, und wenn ich Ihnen nicht lästig falle –“

Sie nickte zustimmend, verabschiedete sich von der Mutter und rief ihrem Bruder Lois, welcher seine Schnitzarbeit nicht unterbrochen hatte, einen Gruß zu. Dann schlug sie den Heimweg ein, an jeder Hand ein Kind, wie Fügen sie stets gesehen. Als sie vor ihm her den Steg überschritt, ward ihm ihr leichter Gang und die fein aufgebaute Gestalt mit dem schweren Blondhaare als Krone zur wahren Augenweide. Alles an dieser Erscheinung war musikalisch, harmonisch. So auch fand er ihre Aeußerungen, während er, von Dem und Jenem plaudernd, neben ihr des Weges schritt. Gern hätte er sein Geleite bis nach der Moosburg angetragen, doch gehorchte er dem Tactgefühle, das ihn zurückbleiben hieß, als Jana in das Postbureau eintrat, um nach etwa vorliegenden Briefen zu fragen.

Der angeregte Wunsch ließ aber dem lebhaften Manne nicht länger Ruhe, als bis zum folgenden Nachmittage. Obgleich der Himmel schwer voll Wolken hing, mochte er den Gang nach der Moosburg nicht verschieben – wer weiß, morgen strömte vielleicht einer der unsterblichen Tiroler Regen nieder, welche ein mindestens achttägiges Regiment energisch durchzuführen pflegen. Also vorwärts! Jede Berührung seines empfänglichen Naturells wirkte unmittelbar auf den ganzen Menschen, so auch diese neue Regung von Freude. Nur ein Bedenken störte ihn. Welche Bewandtniß mochte es mit der Herrin des Hauses haben, in das er einzuziehen wünschte? Er wußte von ihr nichts, als daß sie Wittwe sei. Eine noch junge Wittwe ohne Zweifel, dem zarten Alter ihres Knaben nach, ebenso gewiß aber eine melancholische, ungesellige Natur. Er suchte sich die wenigen Aeußerungen Jana’s über ihre Herrin zusammen; sie hatte gerathen, Nachmittags hinauszukommen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 505. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_505.jpg&oldid=- (Version vom 13.12.2020)