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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

auf ihr Schloß zurückgekehrt? Ein beneidenswerter Sitz, den ich mir schon längst gern näher beschaut hätte, doch nehme ich Anstand, die Ruinen zu besichtigen, weil ich selbst zu viel von Einsamkeit halte, um gleiche Vorliebe nicht bei Anderen zu respectiren. Wenn sich eine Dame an so weltentfremdetem Orte häuslich niederläßt, wünscht sie aber sicherlich allein zu bleiben.“

„Und doch fände sich vielleicht gerade auf der Moosburg, was Sie suchen, falls Ihnen der Platz nicht zu entlegen scheint,“ sagte Jana. „So viel ich weiß, wäre die Gnädige nicht abgeneigt, einige Zimmer zu überlassen.“

Ein Blitz beinahe kindlicher Freude ging im Auge des Fremden auf. „Das wär’ ein Fund!“ rief er lebhaft. „Aber – aber – wird die gnädige Frau mich haben wollen, wenn sie erfährt, daß ich Musik zu machen pflege? In dem Punkte kann ich weder bei Tage noch bei Nacht für mich einstehen.“ Seine dichten, beweglichen Brauen rückten gegen einander, was dem Gesicht einen drollig besorglichen Ausdruck gab, obgleich der Sprecher durchaus nicht scherzte; er sah im Gegentheil wie ein recht ernstlicher Bittsteller auf Jana. „Es wäre prächtig dort zu hausen. Aber ich muß wirklich warnen – wahrhaftig, ich könnte nicht versprechen, ein stiller Gast zu sein! Mein Name ist Fügen, Richard Fügen.“

Jana lachte – das stand ihr reizend zu Gesicht. „Das zweite Stockwerk steht unbenützt,“ sagte sie ermuthigend. „Wenn Sie die Räumlichkeiten gelegentlich betrachten wollen, Herr Fügen, so ließe sich Weiteres besprechen.“ Sie neigte grüßend den Kopf. trat dann ein paar Schritte vor und rief zu den Kindern hinab. „Kommt! Es wird kühl; wir müssen heim.“.

Auch der Fremde stand auf und lächelte in sich hinein, während er die herbeispringenden Kinder betrachtete. Ein überaus angenehmes Gefühl überkam ihn, gleichsam eine rosige Perspective künftiger Tage, auf deren schwankendem Grunde der blonde Mädchenkopf da vor ihm sich abhob, von zwei Kinderköpfchen umgeben, die beinahe ausschauten wie die Engelchen zu Füßen der Sixtinischen Madonna. Er fuhr sich durch den Haarbusch, der über seine Stirn aufstrebte, trat den Kindern entgegen und hob den Knaben unversehens auf seinen Arm. Dieser ließ es ruhig geschehen, wandte nur einen gleichsam fragenden Blick auf Jana und richtete dann, als er sie lächeln sah, die blauen Augen forschend auf den fremden Mann. Während diese Augen auf ihm hafteteten, wurde Fügen seltsam zu Muthe. Jedes Kindes Blick birgt Geheimnißvolles; zuweilen begegnet er uns aber in einer Verklärung, welche an das Wort erinnert: „Kinder mit solchem Blick leben nicht lange.“ Der Junggeselle kannte diesen Ammenspruch nicht, auch spottete des Knaben strahlende Frische jeder bösen Ahnung; er glühte und blühte wie eine gesunde Frucht. Dennoch fühlte sich Fügen wie von Unirdischem angeweht; eine Art Heimwehgfsühl überkam ihn, wie Ton und Duft es zuweilen weckt.

(Fortsetzung folgt.)



Vergleichende Culturskizzen.
Von Gustav Diercks.
2. Klatschlocale.

Der Mensch kann einmal seine Natur nicht verleugnen, und selbst da, wo er es thut, kommen doch immer „den angenommenen Sitten die angeborenen nachgeschritten“. So scheint auch die Lust zu übertreiben, aus der Mücke einen Elephanten zu machen, den Nächsten zu bereden, ihn schlecht zu beleumunden – was man gewöhnlich unter dem Begriff „klatschen“ zusammenfaßt – in der menschlichen Natur zu liegen; denn so weit wir nur in die Culturgeschichte zurückblicken können, überall sehen wir, daß, sobald Menschen unter irgend welchen geselligen Formen zusammenleben, auch die Klatsch- und Uebertreibungssucht sich schnell entfaltet und Blüthen treibt. Mehr oder weniger tritt uns diese Sucht auch bei Chinesen, Indiern, Mesopotamiern, Aegyptern, Israeliten entgegen, sei es nun, daß es heißt: „Du sollst nicht falsch Zeugniß reden“, sei es, daß der chinesische Dichter singt:

„Sumsend setzen blaue Fliegen
Sich wohl auf den Zaun.
O du gnadenreicher Herrscher,
Wolle nicht Verleumdern trau’n etc.“

Sind wir nun darüber einig, daß das Klatschen bei allen Culturvölkern zu allen Zeiten existirt habe, so muß es uns um so wünschenswerter erscheinen, daß Culturhistoriker und Ethnographen die gesammelten „Zeichen der Civilisation“ einmal umständlichen „wissenschaftlichen“ Untersuchungen unterwürfen; sie würden damit der Culturphilosophie und Völkerpsychologie sehr dankenswerthe Beiträge liefern.

Es wäre nun interessant, zu erörtern, wo die des Schwatzens bedürftigen Männer sich vereinten, um der Fluth ihrer Worte und dem Strom ihrer geistreichen Ideen und Witze freien Lauf zu lassen; denn man verleumde mir nicht die Mädchen und Frauen als Klatschschwestern par excellence! Alle Welt weiß, daß sie zwar auch, wie wir stärkern Männer, der verführerischen Lust des bösen Plauderwortes fröhnen (und als Beleg dafür geben wir gleich hierneben das dem Leben unmittelbar abgelauschte hübsche Seyppel’sche Bild wieder – d. Red.), aber Eins ist doch sicher: die stärkere Hälfte der Menschheit besitzt die Eigenschaft des Klatschens in weniger umfangreichem, dafür aber in um so intensiverem Maße.

Dem athenischen Politiker und Bürger – um das classische Alterthum nicht völlig zu überspringen – bot die Agora, der Markt, auch das Gymnasion, die Turnhalle, stets Gelegenheit zu politistren, zu „kannegießern“ und über die biedern Nachbarn und Freunde Geschichtchen aller Art zum Beste zu gebe. Wie vorzüglich die alten Griechen das verstanden, lehrt uns z. B. Aristophanes in anschaulicher Weise.

Der Römer übte diese Art des Lungenturnens auf dem Forum und in den prachtvollen Bädern, die bei ihren großartigen und bequemen Einrichtungen ein beliebter Versammlungsort für Bekannte waren. Dort konnte man alle Neuigkeiten stets aus erster Hand erfahren; dorthin gelangten zuerst die Nachrichten vom Kriegsschauplatz; dort fand man zum Theil Gelegenheit, mindestens aber Muße, die jüngsten Erzeugnisse der Literatur kennen zu lernen, und viele Römer verbrachten denn auch den ganzen Tag an diesen angenehmen Aufenthaltsorten, in dem man auch in aller Bequemlichkeit jeder Art von Klatsch fröhnen konnte.

Bleiben wir zunächst auf italienischem Boden! Im Mittelalter, als die Gewohnheit des Badens in christlichen Landen schwand – sie wurde erst wieder durch das Vorbild , das die Mauren gewährten, neu geschaffen – da kamen die Barbier- und Friseurläden in Flor. Man weiß, welche bedeutende Rolle die Barbiere und ihre Läden in Italien für die gesammte Culturentwickelung dieses Landes gespielt haben. Durch den Verkehr mit aller Welt, mit allen Schichten der Bevölkerung waren die Barbiere in der Lage, Menschen zu beobachten und ihren Geist im Verkehr mit ihnen zu entwickeln. Die Folge davon war, daß die gewitzigten unter ihnen gelegentlich den Schreibstift in die Hand nahmen, um ihre Beobachtungen in satirischen Dichtungen niederzulegen oder durch burleske humoristische Improvisationen ihre Kunden zu belustigen. Man denke an Burchiello und den Einfluß seiner Schwänke auf die italienische Poesie, besonders die Volksdichtung! Die Masse von Geist und Witz, über welche die Italiener von Natur verfügen, fand in den Volksdichtungen der Straßen-Improvisatoren und der Barbiere ihren stets von Beifall belohnten Ausdruck. Die Stoffe für die Burchiellesken und Satiren bestanden natürlich meist in Tages- und Stadtneuigkeiten. Die Barbierläden waren, wenn nicht die Geburts-, so doch mindestens die Ablagerungsstätte für diese Dichtungen, und es gab, ebenso wie heute, wenige Männer, die für den Klatsch, für gutlaunigen Scherz nicht zugänglich gewesen wären; rechnet doch heute ein gut Theil der Presse – und mit welchem Erfolge! – mit diesem echt menschlichen Charakterzuge! Florenz war auch darin, wie überhaupt in Allem, was das geistige Leben betraf, unter den Medicäern besonders, tonangebend.

Heutzutage hat nun der italienische Barbier- und Coiffeursalon nicht mehr ganz die Bedeutung wie in früheren Zeiten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 492. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_492.jpg&oldid=- (Version vom 8.7.2023)