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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„No, no! Wenn gleich das Zweite sich so ausweisen mag, denn sie hat einmal ihren Narren an Dir gefressen, so möcht’ ich auf’s Erste keinen Eid thun. Jung is sie noch genug, und noch viel feiner als jung; Geld muß sie auch haben – wie Heu, sonst thät’ sie nit so herumziehen; da bliebe die Heirath nit aus, und am End wird ihr schon Einer in die Augen stechen, daß sie denkt, ein lebendiger Mann ist besser als ein todter, wenn man ihn auch noch so germ gehabt hat. Und – was ich schon lang hab’ fragen wollen –“ Sie unterbrach sich, rückte an ihrem Hut, räusperte sich ein paar Mal, und sagte dann, während ihre Stricknadeln in doppelter Eilfertigkeit durch einander klapperten: „Wie steht es mit Dir selber, Jana? Das beicht’ mir einmal! Willst mit aller Gewalt an alte Jungfer werden? Es war uns leid, dem Vetter und mir, wie Du dem Bäck und dem Schmied abgesagt hast, aber freilich, wir haben’s begriffen, und ich hab’s ja grad noch selber gesagt : für’s Dorf bist verdorben. Daß Dir aber auch der Heer Lehrer aus Hall nit recht war, das weiß ich nit, warum. Der is doch an G’studirter; der hätt’ Dir doch recht sein mögen.“

Jana’s zartes Gesicht färbte sich purpurrot. Sie wandte den Kopf ein wenig zur Seite, legte die Hand mit raschem Druck auf den Arm der Müllerin und sagte ganz leise, aber nachdrücklich :

„Warum fangt Ihr allzeit wieder damit an, Mutter? Ich hab’s doch schon oft genug gesagt, daß ich nicht heiraten will und mag. Meine Gnädige und ich, wir bleiben zusammen, so hab’ ich’s mir vorgenommen, und versprochen hab’ ich’s ihr auch, mit Hand und Mund.“

„Denkst gar jetzt noch an Dein Schatz, den Wendelin Platzer, der sich todt gefallen hat auf den Fernern? Was hilft’s? Todt ist todt,“ murrte die Mutter, ohne Jana anzusehen. So entging ihr auch die abwehrende Handbewegung, welche der Tochter einzige Antwort war. Das Mädchen blickte sinnend, aber ohne Trauer im Auge, vor sich in’s Weite. Es war noch unverändert das gleiche in Schnitt und Farbe zarte Gesicht, welches damals an der Wiege von Genovevas Knaben so heiße Thränen der Herzensangst und des bittern Leids geweint, derselbe jungfräuliche, fast kindliche Ausdruck; nur waren die Farben blühender, die Gestalt etwas voller geworden, und vor Allem bildete die Elasticität ihrer Bewegungen und ein heiterer Zug um Mund und Augen, der einem verhaltenen Lächeln glich, den Contrast zwischen damals und heute. Lächelte sie aber wirklich, wie eben jetzt, wo sie auf die Kindergruppe schaute, dann trat seltsamer Weise das schwermütig Sinnende, welches im Grunde der Augen lag, fast gleichzeitig an den Tag.

Wie mit unwillkürlicher Bewegung erhob sie sich, um zu den Kindern hinabzugehen, und bemerkte in demselben Moment einen Fremden, welcher auf der andern Seite des über die Gefälle zum diesseitigen Fußpfade führenden Steges stand und Haus und Mühle mit großer Aufmerksamkeit zu mustern schien. Dies kam öfters vor; denn war die Zahl der Lahnegg durchstreifenden oder gar dort rastenden Reisenden damals auch noch spärlich, so pflegte doch jeder Vorüberkommende, von der pittoresken Lage des Anwesens gefesselt, an jener Stelle zu zögern.

Die Gestalt, auf welche sich Jana’s Blick richtete, war ihr übrigens von Ansehen bekannt. Der stets vom Kopfe bis zu den Füßen in Grau gekleidete Fremde hielt sich seit einigen Wochen in der Gegend auf und streifte viel umher. Um so mehr wunderte sie sich, daß er heute das von ihm sicher schon früer bemerkte Haus mit so scharfen Bllcken betrachtete. Denselben Eindruck schien die Müllerin zu empfangen.

„Was gafft Der?“ fragte sie. „Wird wohl an Maler sein, so an verdrehter. Jetzt schaut er gar durch sein Spektivi auf uns her, der Narre.“

„Ein Maler ist Der nicht,“ sagte Jana, „sondern ein Musikprofessor, und in Wien ist er daheim.“

„Kennst ihn also?“

„Nur von Ansehen. Er wohnt schon wochenlang. beim Judenwirth und geht oftmals nach der Zillerbrücke spazieren, da bin ich ihm manchmal begegnet, und auch meine Gnädige hat ihn gesehen. In Wien waren wir einmal im Concert, wo er dirigirte.“

„Was redst da? Und Du hast Dir das Gesicht gemerkt, unter so viel Volk heraus?“

Jana lachte.

„Der Oberste von den Musikanten, weißt Du, der steht auf einem hohen Schemel und schlägt mit einem Stöckchen in die Luft, damit die Anderen wissen, ob sie geschwind oder langsam spielen müssen, und ob sie leis’ oder stark blasen und geigen sollen. So Einer ist der Herr Fügen. Auch hat er schöne Weisen und Lieder ausgedacht; die sind gedruckt wie Bücher; ich singe mehr als eins davon. Aber schau, sollt’ man nicht meinen, er wollt’ herüber kommen, zu uns herein?“

In der That hatte der Fremde eben den Steg überschritten; er näherte sich der Gartenumzäunung und öffnete nun eine sehr primitive Gitterthür, während er Jana, die ihm entgegen ging, freundlich begrüßte. Ihre Haltung schien ihm aufzufallen; denn sie entsprach wenig der halb ländlichen Tracht. Unwillkürlich nahm er den zuvor nur leicht berührten Hut ab; während ihre weiche Altstimme ihn ansprach:

„Gewiß wünscht der Herr, sich hier ein Weilchen auszuruhen?“

„Wenn das gestattet ist, gern,“ sagte der Gast, indem er sich durch das dichte, aufwärts strebende Haar fuhr und neben ihr der Bank zuschritt. „Der eigentliche Grund, weshalb ich hier eingetreten bin, ist freilich ein anderer. Ich möchte mich nämlich erkundigen, ob vielleicht hier im Hause ein oder zwei Zimmer miethweise zu haben wären, für einige Zeit.“

Die Müllerin, in deren Hörweite der Fremde nun gelangt war, und welche ihn neugierig betrachtete, schüttelte kategorisch den Kopf:

„Dös giebt’s net,“ sagte sie kurz und bündig.

„Meine Geschwister und die Mühlburschen brauchen Gelaß; da haben die Eltern keine Zimmer übrig,“ erklärte Jana. „Außerdem würde Ihnen die Einrichtung schwerlich behagen; sie ist nicht auf städtische Gewohnheiten berechnet. Aber wollen Sie nicht Platz nehmen?“

Der Gast setzte sich mit leichtem Kopfnicken neben die Müllerin und sah rings um sich mit einem langen Blick, der zu sagen schien: „Schade!“ Ausdrucksvoll, wie dieser Blick, war des Mannes ganze Erscheinung. Der von einer schmächtigen Gestalt getragene Kopf schien auf den ersten Blick fast zu groß, was aber nur an der Masse lichtbraunen Haares lag. Merkliche Erhöhungen, welche sich über den vollen Brauen herabwölbten, verliehen der Stirn geistreich ernsten Charakter, um die feinen Lippen spielte aber zuweilen ein Schalk. Nur ein sehr kundiges Auge würde im ersten Moment das Alter des Musikers festzustellen vermocht haben; denn es schien zweifelhaft, ob Jahre oder Gedanken diese feinen Züge so herausgearbeitet hatten. Aus den nußbraunen Augen leuchtete unvergänglicher Jugendglanz. Es waren die Augen eines Künstlers.

„Hier ist gut sein!“ sagte er mit tiefem Atemzuge, während er zu Jana aufsah, die vor ihm stehen geblieben war. „Da hätte man sich leicht eingewöhnt. Nun bleibt’s wohl beim Weiterziehen.“

„Der Herr logirt doch beim Judenwirth?“ fragte die Müllerin. „Seid Ihr dort nit zufrieden?“

„Ei doch! Sonst wär’ ich nicht wochenlang geblieben. Jetzt aber, wo ich mich für den Spätherbst hier einrichten möchte, wäre mir eine Privatwohnung lieber. Damit schaut’s aber in Lahnegg knapp aus.“

„Der Lehrer, mein’ ich bald, hätt’ ein Gelaß übrig.“

„Beim Lehrer? Wo alle Samstag Singproben für’s Hochamt abgehalten werden? Soll mich der Herrgott bewahren!“

Jana sah mit verstohlenem Lächeln seine erschrockenen Augen.

„Vielleicht wüßt’ ich Ihnen Rath,“ sagte sie; „kennen Sie die Moosburg?“

„Freilich! Mein Lieblingsgang führt an den alten Schlössern vorbei, nach der Zillerbrücke. Dort sind wir einander öfters begegnet. Wissen Sie, daß ich mehr als einmal in Versuchung war, mit Ihren reizenden Kindern anzubinden? Sie wohnen gewiß der Brücke nahe? Ein gehöriges Stück Weges bis hierher, und doch nicht zu weit, wenn man bedenkt, wie oft sich eine Tochter in wirkliche Ferne verheiratet.“

„Ich bin nicht verheiratet,“ sagte Jana tief errötend. „Die Kinder gehören meiner Herrin zu, der Frau von Riedegg auf der Moosburg.“

„Ah!“ Er hob plötzlich den Kopf mit einer der schnellen Geberden, die ihm eigen maren. „Diese Dame habe ich nennen hören. Sie ist Wittwe, nicht wahr? Ist nach langer Abwesenheit

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