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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Graf Raimund hatte ihr aufmerksam zugehörst Er schwieg einige Minuten, den Kopf sinnend aus die Hand gestützt.

„Sie haben den Charakter meines Sohnes jedenfalls richtig erfaßt,“ sagte er endlich. „Meinhard war von je ein Phantast, bei welchem ein extravaganter Schritt nicht zu den Seltenheiten gehörte. Aber – er war zugleich ein Ehrenmann.“ Mit diesen Worten erhob sich der Greis zur vollen Höhe seiner mächtigen Gestalt, schlug beide Arme in einander und fuhr mit starker Stimme fort:

„Knüpften ihn wirklich so ernste Bande an Sie, so würde er sich darüber, während einer vollen Woche ungestörten Verkehrs mit mir, geäußert haben.“

Auch Genoveva stand aufrecht da.

„Sie zweifeln – zweifeln noch?“ rief sie flammend.

„Das werden Sie mir allerdings gestatten müssen, Gnädigste. Die Mär klingt allzu seltsam. Wie ich eben vernahm, sind Sie Protestantin und behaupten, von einem Priester Tirols mit Meinhard getraut worden zu sein; wissen Sie nicht, daß hier dem katholischen Priester das Einsegnen solcher Ehe untersagt ist? Dieser Mönch dürfte denn doch nicht aufzufinden sein, so wenig wie die ,Beweise‘, auf deren Vorhandensein bei meines Sohnes Hinterlassenschaft Sie sich zuvor stützten, Ich habe persönlich seine Papiere, Blatt für Blatt, durchgesehen aber außer zwei Briefen – wohl von Ihrer Hand? – fand sich darunter nichts, das auf Sie oder auf Ihren Sohn Bezug hätte. So lange Sie mir die Rechte Ihres Sohnes nicht beweisen, muß ich annehmen, daß sich in Ihrem Berichte Dichtung und Wahrheit vermischen. Dies passirt liebenswürdigen Damen zuweilen, und Ihre Phantasie mag reicher entwickelt sein, als Frauenphantasien ohnedies zu sein pflegen. Abenteuer zu ersinnen – zu erleben ist ja schwerlich etwas Neues für die Tochter eines Abenteurers.“

Die tödtliche Beleidigung, mit welcher der lang zurückgedrängte Despotenzorn ausgebrochen, traf bis auf den Nerv. Genoveva gehörte aber nicht zu Denen, welche sich äußerlich maßlos zeigen wenn ihr Innerstes in Flammen steht. Ihre hohe Gestalt schien zu wachsen.

„Schweigen Sie!“ sagte sie.

Die Stimme, welche dem Grafen diese Worte zuschleuderte, erhob sich nicht; sie klang sogar noch dunkler als sonst. In den weiten Augen brannte aber so glühender Haß, daß selbst der eherne Geist des Mannes, der ihr feindlich gegenüberstand, einen Moment bezwungen ward.

Genoveva wendete sich in königlicher Haltung der Thür zu. Ehe sie die Schwelle überschritt, blickte sie noch einmal zurück. Die Augen Beider wurzelten einen Moment in einander.

„Sie werden von uns hören, Herr Graf,“ sagte die junge Frau kalt und verließ das Zimmer.




7.

Es ist einige Jahre später, im Beginn des Octobers. Schon färben sich die Ausläufer der in den Buchten des Innthales weit vorgestreckten Wälder mit bunten Schattirungen, während die Fruchtbäume welche Lahnegg umgeben, noch in frischem Grün stehen. Von den Dachfirsten der Häuser hängen Maiskolben, auf Schnüre gereiht, in goldigen Guirlanden nieder.

Nordwärts vom Dorfe senkt sich der Weg in eine kleine Thalschlucht, deren Schooß nur wenige, vereinzelte Häuser birgt. Wer das malerische Felsenthor durchschritten hat, welches dieses stille Fleckchen Erde von der übrigen Welt gleichsam abscheidet, der wird von einem wundersamen Friedensgefühl umhaucht. Die mächtigen Bergriesen jenseits des Inn bleiben dem Wandelnden im Rücken; er könnte sich in dem lieblich begrenzten Grunde fern von den Alpen wähnen, erinnerte nicht ihr lebensprühendes Kind, der silberstockige Alpbach, fortwährend an ihre Nähe.

Heute brauste das Wildwasser stärker als je. Mehrtägiger Regen, erst seit diesem Morgen durch die Sonne verdrängt, hatte den Bach zu mächtiger Fülle anschwellen lassen, und schäumend und tobend stürzte er in dreifachem Gefälle einer raschen Bodensenkung zu, von wo aus er sich in mehrere Arme theilte. Wie im Wirbel bewegten sich die Räder einer pittoresk gelegenen Mühle, welche dort, nahe dem Abhange vorsprang. Purpurfarbiges Weinlaub bekleidete das dazu gehörende Wohnhaus, dessen Fenster in der Sonne blitzten, und eine Gruppe alter Nußbäume, die sich kräftig gegen die Luft abzeichneten, begrenzte ein in Terrassenform angelegtes Gärtchen, dessen bunter Asternflor in voller Blüthe stand.

Dort saßen zwei Frauen auf der Sommerbank Die Aeltere trug die übliche Landestracht; das noch dunkle Haar, welches ihr frühgefurchtes Gesicht umrahmte, bewies, daß sie mehr durch Arbeit gealtert war als durch Jahre. Sie sprach redselig auf ihre Banknachbarin ein, welche zwar das landesübliche Filzhütchen mit Goldquasten trug, sonst aber mehr städtisch als dörflich gekleidet erschien – ein junges Weib, mit lichtem Antlitz, weich in jeder Bewegung; die Haltung, mit welcher sie, die Hände im Schooß, zurückgelehnt saß, war voll natürlicher Anmuth. Obgleich sie den an sie gerichteten Reden und Fragen getreulich Antwort gab, schien doch ihre Aufmerksamkeit getheilt. Wenigstens galt das Lächeln, welches zuweilen in dem feinen Gesicht aufblitzte, offenbar einer Kindergruppe, welche auf der mit einem festen Zaun umhegten unteren Terrasse spielte. Wirklich schien es der Mühe werth, dorthin zu schauen.

Der in violetten Sammet gekleidete, etwa vierjährige Knabe, welcher lang ausgestreckt auf einem grauen Plaid lag und den lockigen Blondkopf mit beiden Händchen stützte, war so frisch von Gesicht und trug so hellen Sonnenstrahl in den Blau-Augen, daß es war, als ströme ein klares, warmes Licht von ihm aus. Seine langen, lockigen Haare flogen im Winde; goldiges Schimmern lag darüber. Vielleicht ließ gerade dies das dicht neben ihm kauernde Mädchen noch dunkler gefärbt erscheinen, als es wirklich war. Die Kleine mochte etwa gleichen Alters sein; dichtes, blauschwarzes Lockengewirr ringelte sich um ihr bräunliches Gesicht, aus dem große Augen hervordunkelten. Sie glich einem Zigeunerkinde, und das hellrothe Halstuch, welches über ihr graues Kleidchen flatterte, saß so verschoben daß beide Zipfel am Rücken niederhingen; einen besondern Reiz aber verlieh ihr die wilde Grazie, welche aus jeder ihrer Geberden sprach. Geschmeidig, wie ein Kätzchen, wechselte sie alle Augenblicke ihre Stellung, während sie in glitzernden Scherben Phantasiegerichte aus Sand und zerpflückten Astern zurecht machte und ihren kleinen Genossen beständig am Aermel zupfte, um ihm zu verkünden, was nun angerichtet würde. Der aber nahm nur geringe Notiz von ihrem Eifer; seine ganze Aufmerksamkeit war auf die Hände eines älteren Knaben gerichtet der ein paar Schritte weiterhin auf einem Holzklotze saß und aus einem Stück Ahorn eine Figur schnitzte, die bereits den Umriß eines sitzenden Hündchens verrieth. Der junge Künstler beugte sein intelligentes Gesicht eifrig über die Arbeit, was ihn aber nicht abhielt, zuweilen einen raschen Blick auf das Schwarzköpfchen zu werfen, dem er zunickte, so oft es zufällig einmal aufsah. Trotz des groben Lodens, mit dem der Knabe bekleidet war, hatte seine Erscheinung etwas Feines, Vornehmes; er war schlank und zart gebaut.

„Itz sag einmal, Jana, bleibt’s denn richtig dabei, daß Dein’ Gnädige den Winter lang auf der Moosburg forthausen will?“ fragte die Müllerin. „Ich hab gemeint, das wär’ nur so an Gered’, weil sie doch bislang keinmal hat dableiben mögen, seit der Herr todt ist. Gott schenk ihm die ewige Ruh! Daß sie im Frühjahr herkommen is, hat mich weiters net gewundert, daß sie ober jetzt mutterseelenalleinig im Winter da droben hocken mag, das wundert mi’ doch.“

„Mutterseelenallein?“ wiederholte Jana. „Hat sie ja doch ihren Sigmund und mich, und – und die Maxi.“

„Das is an schöne Unterhaltung für so an vornehme, städtische Frau muß i sag’n. Die Gesellschaft hat sie ja auch in den letzten drei Jahr’n um sich g’habt und is doch lieber in der Stadt blieben; da fehlt sich nix. Mir kann’s viel recht sein. Du läßt doch nimmer von ihr ab, bist ja auch gut versorgt dorten, und wir daheim sind froh, daß wir Dich auf die Näh’ behalten. Ja, wann’s nur Dauer hat! Denn siehst, Jana, wir vergunnen Dir ja das gute Leben. Die Gnädige hat Dich in manchem Stück unterwiesen, und es is fein, daß sie Dich beinah hält wie ein Anverwandtes und Dir nix zumuthen mag, als was Dir leicht is. Wohin taugst aber, falls sich einmal ihr Sinn umkehrt, falls sie wieder heirathen möcht’ oder sonst was? Zu uns Bauernleut’ taugst nimmer, und ob Du für einen andern Dienst taugen thätst, das weißt’ selber net.“

Jana schüttelte den Kopf.

„Nein, Mutter,“ sagte sie mit ruhiger Zuversicht. „Meine Gnädige heirathet nimmer und läßt mich auch nimmer von sich; das ist alles Beides so sicher und gewiß wie das Evangelium.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_490.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)