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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

die höchst trivialen Fanfaren des italienischen „Königsmarsches“ hatte, während er mit leisen Ruderschlägen das Boot auf derselben Stelle hielt.

Drinnen aber, von dem niederen Dache vor jedem Auge geborgen, kniete ein seliger Mann zu den Füßen der Geliebten; ihre Hände an seine glühenden Lippen gepreßt, gab er mit leidenschaftlichen Worten seiner Liebe Ausdruck.

„O, rede nicht so traut, Erich!“ sagte sie. „Ich habe Dich lieb, viel lieber als ich sagen kann, aber es ist umsonst, wir können uns nicht angehören

Erich führ erschrocken auf: „Hast Du ihm Dein Wort gegeben?“

„Nein!“

Mit stürmischer Zärtlichkeit umfaßte er sie und legte ihr Haupt an seine Brust:

„Dann wirst Du mein, und sollte ich mein Leben daran setzen. Wir gehören einander, und keine Macht der Welt soll uns trennen. Fühlst Du es jetzt, was ich gestern meinte, als wir so weise über das Glücke philosophirten? Weißt Du jetzt, ob es ein Glück auf Erden giebt, und wirst Du mir nun Deine schlimmen, kalten Reden abbitten?“

„Ich würde sie jetzt nicht wiederholen – und doch, wer weiß, ob ich nicht Recht hatte!“

In der siegreichen Stärke seiner Empfindung schloß Erich die Arme fest um die Geliebte, und Leontine fühlte seinen heißen Kuß auf ihren Lippen.

Zum ersten Male in ihrem Leben sah sie sich von einer übermächtigen Empfindung erfaßt und unwiderstehlich beherrscht; sie wußte, diese Stunde müsse enden, aber um so süßer erschien sie ihr.

„Wenigstens einmal im Leben Glück gekostet!“ – sie dachte es ohne jeden inneren Vorwurf und mit einer Art von Genugthuung.

Erich hob ihr tiefgeneigtes Gesicht in die Höhe und fragte, voll überströmender Zärtlichkeit:

„Willst Du die Meine werden, Leontine?“

„Unmöglich,“ sagte sie, sich emporrichtend, leise aber bestimmt.

„Wir sind Beide arm.“

„Arm und was thut es!“ entgegnete er in glückseligem Uebermuthe. „Laß mich nur mein großes Bild erst vollendet haben! Bald genug soll das geschehen sein.“

„Laß die Träume, laß die Pläne!“ bat sie, indem sie sich erhob. „Der Schiffer soll wenden. Ich muß zurück zu meinem Vater.“

„Nein, Leontine! Wir sind ja erst wenige Minuten beisammen.“

„Länger als Du denkst; sieh, wie das Feuerwerk am Erlöschen ist – ich muß in’s Hotel zurück.“

„Es ist so Vieles noch, was ich Dich fragen, Dir sagen wollte, Leontine. Du mußt mir auf morgen ein Wiedersehen versprechen wenn ich mich jetzt von Dir trennen soll.“

„Komm’ morgen früh, ehe wir ausfahren!“

„Das kann ich jetzt nicht. Dich sehen vor den Augen Anderer – o, sie sind so kalt, und ich würde ihn erschlagen, diesen Nordstetter, wenn er sich noch einmal unterstände, Dir den Arm zu bieten.“

„Dann müssen wir wohl auf ein Wiedersehen verzichten,“ meinte sie mit dem ersten Anklang an ihre gewohnte Sprechweise, indem sie den Mantel um die Schultern zog und die Agraffe befestigte. Die Gondel näherte sich rasch dem Ufer; schon sah man die nach allen Richtungen aus einander ziehenden anderen Fahrzeuge in nächster Nähe.

„Kein Verzicht!“ rief Erich leidenschaftlich. „Höre mich, Leontine: dies waren nur Minuten, und Du hast Recht, wir müssen Dich jetzt so rasch und sicher wie möglich nach Hause bringen. Ich verschwinde in das nächste Schiff, das uns begegnet, und Du landest allein am Hotel. Aber ich muß Dich wiedersehen, ich muß,“ wiederholte er tieferregt, „es sind ja nur noch drei Tage bis zu unserem Abschied.“

„Zwei sogar nur noch“

„Du darfst mir nicht so entschwinden. Mein ganzes Leben, meine Zukunft, Alles liegt fortan in Deiner Hand; ich will und darf Dich heute noch nicht mit einem äußeren Bande an mich binden; innerlich sind wir ja verbunden. Aber ich muß noch einmal in Deine Augen sehen, muß die Gewißheit haben, daß Du mein sein willst, wenn ich die Trennung ertragen und auf die Zukunft hoffen soll.“

„Erich!“ flüsterte sie unschlüssig. Das Herz zog sie; der Verstand warnte sie. „Ich habe morgen den ganzen Tag keine Stunde für dich. Und Du mußt jetzt fort,“ drängte sie, „wir sind schon nahe beim Ufer eile!“

Erich rief eine leere Barke an. Dann wandte er sich.

„Liebst Du mich?“ fragte er, und es lag ein Ton der Verzweiflung in dem Klange seiner Stimme.

Sie nickte stumm.

„Dann habe den Muth, mir zu vertrauen!“ Er faßte ihre Hand und preßte sie in der seinigen. Schon streifte der Rand der fremden Gondel die ihrige.

„Ich schicke Antonio morgen Abend, wenn Alles still ist,“ fuhr er heftig flüsternd fort; „er bringt Dich sicher zu mir; wir sind in dem kleinen Garten – Du kennst ihn – völlig ungestört, oder, wenn Du das nicht willst, fahren wir, wie heute, eine Stunde auf’s Meer hinaus –“

„Nein, nein!“ wehrte sie heftig ab.

„Um elf Uhr!“ fuhr er dicht an ihrem Ohre fort: „Antonio wartet in dem dunklen Canälchen seitwärts von Eurem Hotel; merke Dir’s, vergiß es nicht – von der Terrasse führen ein paar Stufen herunter … wir haben keine andere Wahl. Niemand ahnt Dein Fortsein. Muß ich Dir noch schwören, daß Dein Friede mir theurer ist als mein eigenes Leben? Kommst Du?“

„Sei es denn!“ erwiderte sie, von seiner siegenden Hast gedrängt. „Aber –“

Er hob den Vorhang und war verschwunden.

Die Barke, die er bestiegen, steuerte nach dem Eingang des Canals hinüber, während die ihrige den schweigsamen Cours nach der Riva fortsetzte. – –

Eine Viertelstunde später saß Leontine mit ihrem Vater und Nordstetter am Kamin des kleinen Salons vor dem Theetisch. Sie hatte die Herren über die Gründe ihres Verschwindens so wohl unterrichtet gefunden, daß sie nur ihre Voraussetzungen bestätigen durfte. Noch klangen Erich’s leidenschaftliche Worte in ihrem Ohre nach – und nun mußte sie – es war ihr, als wäre sie in einer ihr fremden Welt – die wohlgesetzten Lobeserhebungen des Banquiers über das prächtige nächtliche Schauspiel ruhig anhören. Die untadelhafte correcte Klarheit des großen Gaslüsters überströmte Alles, die vergnügte Miene des Barons, die frühen Falten über Nordstetter’s stets etwas in die Höhe gezogenen Brauen und die zur Auswahl bestellte großen Photographie vom Marcus-Dom und Dogenpalast in den Händen des eifrig redenden Banquiers. Im Halbschatten aber blieb das feine, böse Lächeln welches dann und wann wie ein Blitz die Züge des schönen Mädchens überflog, wenn sie, das Haupt hinter den ihr gereichten Photographie bergend, die ahnungslosen Beiden da vor ihr betrachtete.

Es zogen viel hastige dunkle Gedanken hinter der klaren Mädchenstirn vorüber; eine Trennung fand dort statt zwischen Vergangenheit und Zukunft; der heutige Abend war ein scharfer Wendepunkt in Leontinens Leben. Aber sie fühlte keine Reue.

„Wozu in dieser großen Komödie mehr thun als seine Rolle gut spielen?“ fragte sie sich selbst. „Jeder macht es ja so … Erich? Nein! Er nicht, aber er irrt auch; er ist ein Kind, ein süßes, großes Kind.“

Sie schloß für einen Moment die Augen; noch fühlte sie seinen Kuß auf den Lippen, und es durchrann sie heiß beim Gedanken eines Wiedersehens.

Spät erst verabschiedete sich der Banquier mit einem vielsagenden Handkuß; er wurde beinahe poetisch, als er des schönen eben vergangenen Tages gedachte. Der Baron geleitete ihn hinaus, und als er in das Zimmer zurückkehrte, fand er es leer – das Fräulein war schlafen gegangen.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

Das Sommerfest des „Vereins Berliner Künstler“. Die alljährlichen Feste des „Vereins Berliner Künstler“ gehören zu den beliebtesten und gesuchtesten Vereinigungspunkten der gebildeten Bevölkerung der Reichshauptstadt. Insbesondere die Sommerfeste, welche durch die Zulassung des schönen Geschlechts einen noch höheren Reiz erhalten, haben sich in weiten Kreisen eine immer größere Beliebtheit erworben, zumal Kunst und Natur hier wetteifern, um dem vom Alltagsleben ermüdeten Geist neue Spannkraft zu verleihen,

In dem benachbarten Schulzendorf, in dem Schlosse Schönholz, hat der „Verein Berliner Künstler“ Feste von einer Pracht gefeiert,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 471. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_471.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)