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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

genannt zu werden. Kaum noch irgendwo anders mögen sich so viele Erinnerungen an dieses berühmte Haus angehäuft finden. Eine fast unübersehbare Menge von Portraits und Büsten, Glieder der Geschlechter Bonaparte und Beaunharnais darstellend, findet sich in den Salons von Arenenberg aufgespeichert, Reminiszenzen aber an die eigene Familie der Besitzerin scheinen mit Consequenz vermieden. Das untere Geschoß ist mit prunkloser Eleganz eingerichtet, wie sie für einen Landaufenthalt paßt, überall aber fällt der Blick auf herrliche Kunstwerke, die man nach der Flucht der kaiserlichen Familie aus den Tuilerien hierher geschafft hat. Unter den Gemälden glänzen Werke von Calame und Horace Vernet, vor Allem aber Winterhalter’s bekanntes poesievolles Portrait der Kaiserin Eugenie. In der greisen gebeugten Frau, die jetzt von der Todesstätte des einzigen Sohnes im heißen Afrika zurückgekehrt ist, würde wohl schwerlich ein Uneingeweihter das Original dieses jugendlich anmuthigen Kopfes wieder erkennen. Zahlreich sind natürlich die Erinnerungen an den unglücklichen jungen Prinzen, aber die meiste Aufmerksamkeit erregt seine lebensgroße Statue in weißem Marmor, die ihn als elfjährigen Knaben, mit dem Lieblingshunde des Kaisers spielend, darstellt.

Im ersten Stock des Hauses finden sich vornehmlich Reliquien der Königin Hortense, darunter ihr Sterbebett, in einem Nebengebäude aber werden die höchst bescheidenen Gemächer gezeigt, welche Napoleon der Dritte als Knabe bewohnte. Zuletzt wird man in die gothische Schloßcapelle geführt, vor Bartolini’s marmornes Grabdenkmal der Hortense Beauharnais. Dieses kostbare Monument, welches auf hohem Sockel die Mutter des Kaisers betend in knieender, etwas vornüber gebeugter Stellung zeigt, erhob sich früher über der Gruft der Fürstin auf französischem Boden und wurde erst nach dem Wiederankauf Arenenbergs hierher versetzt.

Zu Füßen des Schlosses dehnt sich das Dörfchen Mannenbach aus, sowohl Dampfschiff- wie Eisenbahnstation; denn auch ein Schienenstrang, die Bahn voll Constanz nach Winterthur, läuft am südlichen Ufer des Untersees entlang.

Ein leichter Fischernachen trägt uns von Mannenbach nach der Insel Reichenau hinüber. Das ist ein von der Welt und vom Verkehr gemiedenes Fleckchen Erde, zu dem sich nur selten der Fuß eines fremden Wanderers verirrt. Anders im frühen Mittelalter. Da war Reichenau nebst St. Gallen die geistige Metropole dieser Gaue, die Pflanzstätte christlicher Cultur, eine Oase in der Wald- und Bergwüste des allemannischen Landes, bei welcher alles anhielt, was hier des Weges zog. Die Geschichte des Klosters reicht weit zurück. Als im Jahre 724 der Bischof Pirminius unter dem mächtigen Schutze des fränkischen Majordomus Karl Martell ein Kloster nach der Regel des heiligen Benedictus auf diesem Eilande anlegte, das er der Sage nach erst durch einen mächtigen Exorcismus von den hier in Menge nistenden Schlangen und Drachen säubern mußte, da zählte das Heidenthum noch viele Anhänger im Lande. Aber siegreich sandte fortan das christliche Kreuz seine Strahlen über die Fluthen des Untersees bis tief in die Nacht der allemannischen Wälder. „Die reiche Au“ ward die Insel um ihres Reichthums und der üppigen Fruchtbarkeit willen genannt, die sie noch heute auszeichnet. Auch das Kloster ward bald wegen seiner Wohlhabenheit berühmt. Die Sage meldet, daß, wenn ein Reichenauer Abt nach Rom reiste, er auf dem ganzen langen Wege auf eigenem Grund und Boden, das heißt auf seinem Kloster zugehörigen Besitzungen, Nachtlager halten konnte.

Die Glanzperiode des Klosters fällt in das zehnte und elfte Jahrhundert, in die Zeit, da hier Heriman der Lahme, Graf von Beringen, der berühmteste Mönch von Reichenau, seine für jene Zeit so wichtige Chronik schrieb. In späterer Zeit gewannen hier wie überall die in Blüthe kommenden Reichsstädte an Macht und Ansehen auf Kosten der geistlichen Stifter. Auch Reichenau verarmte. Als Kaiser Sigismund mit der Kaiserin Barbara während des Constanzer Concils dem Kloster einen Besuch abstattete, trug es, zu Ehren des Tages, noch einmal einen wahrhaft fürstlichen Glanz zur Schau, aber schon im folgenden Jahrhundert ward es dem Bisthum Constanz einverleibt und 1799 aufgehoben.

Oede und still ist es jetzt auf der kleinen Insel, um deren Gestade die Erinnerung an die alte große Zeit einen eigenen Zauber webt. An Ueberresten der glanzvollen Vergangenheit ist jedoch nur wenig vorhanden. Die ehemalige Klosterkirche ist jetzt Pfarrkirche des Ortes Mittelzell; sie zeigt in einzelnen Theilen noch den ursprünglichen karolingischen Bau: eine Säulenbasilika mit horizontalem Gebälk und einem vorliegenden viereckigen Thurm. Bis zum Jahre 1844 befand sich hier das Grab Karl’s des Dicken.

Die Naturreize der nur im Osten durch einen langen Damm mit dem badischen Festlande zusammenhängenden Insel sind von der in der Mitte sich erhebenden Friedrichshöhe in ihrem ganzen Umfange zu übersehen. Noch mancherlei alte Gebräuche haben sich bei den Inselbewohnern erhalten; so unternehmen sie z. B. am Pfingstdienstag alle im festlichen Putze eine Kahnfahrt um das ganze Eiland und am Tage des heiliger Pirminius opfern sie auf dem Altar der Hauptkirche Gaben an Getreide, Obst und Wein.

Von der sagenumrauschten Klosterstille Reichenaus trägt uns das Dampfboot raschen Fluges hinweg, dem unteren See-Ende entgegen. Immer deutlichere Gestalt gewinnen im Nordwesten die spitzigen Kegel des Hegaues, unter ihnen der Hohentwiel. So geht es an den zwischen Weinbergen idyllisch gelegenen Ortschaften Berlingen und Steckborn vorbei.

Schon lange winkte uns von hohem Bergrücken eine stattliche Burg entgegen, die sich im Näherkommen als Hauptelement eines reizenden Landschaftsbildes erweist. Den Mittelpunkt desselben bildet das Städtchen Stein, das mit spitzem Kirchthurme, alten Ringmauern und fester Rheinbrücke gar zu einladend aussieht, als daß wir hier nicht kurze Rast hielten. Stein ist ein uralter Ort, schon vom Allemannenherzog Burkard, dem Gemahl der stolzen und gelehrten Hadwig, zum Schutz gegen die ungarischen Einfälle ummauert. Kurz darauf wurde das bisher auf dem Hohentwiel befindliche Kloster hierher verlegt, und nachmals kam das Städtchen an die Herren von Klingenberg, von welchen sich die Bewohner im Jahre 1421 durch eine große Summe Geldes loskauften.

Noch heute zeigt das kleine Nest einen gemütlichen, mittelalterlichen Charakter. Vom malerischen, mit einem alten Brunnen geschmückten Marktplatze blickt man die Hauptstraße hinunter bis zum Schlusse derselben, dem alterthümlichen Stadttore. Die Giebelseiten mancher Häuser sind al fresco bemalt, und unter ihnen zeichnet sich namentlich das Haus „Zum weißen Adler“ mit originellen Costümbildern aus dem sechszehnten Jahrhundert aus. Ein steiler Pfad führt durch Weinberge zu dem 593 Meter über dem Meere thronenden Schloß Hohenklingen empor, das schon im neunten Jahrhundert angelegt wurde. Der jetzige Bau ist natürlich jüngern Ursprungs und mit seinen mächtigen Thürmen und festen Mauern, die enge, düstere Höfe umschließen, wohlerhalten; im Innern freilich liegen die meisten Gemächer in Trümmern; denn schon längst ist das Schloß seiner ritterlichen Bestimmung entzogen. Jetzt haust hier oben ein Pächter, der guten Markgräfler verzapft, bei dem man sich’s wohl sein läßt und aus dessen Fenstern man die entzückendste Aussicht genießt. Zu unseren Füßen lugt enggesammelt das Städtchen Stein mit seinen rothen Dächern freundlich aus Weinbergen hervor. In vielfachen Windungen schlingt sich das Silberband des Rheines, im Westen zwischen dunkelgrünen Waldbergen verschwindend, durch das weite, reizende Thal, das sich östlich gegen den Untersee öffnet, während die gezackte Alpenkette bei klarem Wetter den schönsten Hintergrund abgiebt. Wahrlich, ein herrliches Bild, großartiger als eines an den gepriesenen Ufern des Mittelrheins! An Besuchern scheint es darum auch der Burg Hohenklingen nicht zu fehlen; ihr Fremdenbuch weist manchen berühmten Namen auf.

Von Stein ab wird die Flußreise einförmiger, ohne jedoch an landschaftlicher Schönheit zu verlieren. Der von Bergen eingeengte Strom stießt auf langer Strecke durch einsame Wälder, unter einer kühnen Eisenbahnbrücke hindurch, an malerischen Felspartien und einsamen Fischerhütten vorbei. Dann erscheint das Städtchen Diessenhofen, ein hübscher Ort, dessen Geschichte uns das merkwürdige Beispiel liefert, daß eine einst freie Stadt freiwillig unter die Herrschaft Habsburgs zurückkehrte.

Durch ein etwas breiteres Thal, an stattlichen Klöstern vorüber, trägt uns der Strom weiter. Von fern winkt der dicke, runde Thurm des Schlosses Munoth, an seinem Fuße die Stadt Schaffhausen. Der Rhein fließt schneller, seinem Falle zu – wir aber sind am Ende unserer Flußreise; denn zwischen hier und Basel ist der Rhein für die Schifffahrt viel zu ungestüm.

Schaffhausen, obwohl schon lange zur Schweiz gehörig, hat äußerlich den Charakter der alten schwäbischen Reichsstadt noch treu bewahrt. Lange Reihen hübsch verzierter Eckhäuser, hier und da mit kunstvollen Fresken geschmückt – selbst von der Hand des

berühmten Tobias Stimmer – führen zu stattlichen Plätzen mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_463.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)