Seite:Die Gartenlaube (1881) 452.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

vertiefenden Darstellung; sie verschmäht die Rembrandt’sche Beleuchtung: alles Dämonische liegt ihr fern. Die Hexenprocesse, die Hinrichtungen in Thorn und ähnliche tragische oder an das Grauenhafte streifende Vorgänge werden von ihr mit einer Flüchtigkeit geschildert, der man es anmerkt, daß sie mit diesen Nachtseiten der menschlichen Natur und der menschlichen Geschichte so wenig wie möglich zu thun haben will. Gegen dies Alles ist der Freytag’sche Pegasus gleichsam mit einem Scheuleder gewappnet; er gehört nicht zu den Feuerossen eines Aeschylos und Shakespeare, nicht zu den wilden Rappen eines Victor Hugo und Eugene Sue; er geht gelassen und ruhig vor dem culturgeschichtlichen Pfluge einher, mit dem die heimathlichen Gefilde aufgeackert werden.

In der That, es ruht eine taghelle Beleuchtung, ein klarer Sonnenschein auf diesen Freytag’schen cultur-poetischen Schöpfungen. Seine Anhänger werden sagen: es ist die Sonne Homer’s, und Homeride zu sein, auch nur als Letzter, ist schön. Die unbefangene Kritik wird aber in diesem fortwährend nur mit leichten Sommerwölkchen bedeckten Himmel, der sich über den Freytag’schen Schöpfungen ausbreitet, nicht das Empyreum erblicken, in welchem die Feuermusen der großen Dichter wohnen, wie sie auch in dieser Reliefbildnerei der Darstellung den großen Wurf der Plastik vermißt.

Auch in der Charakterzeichnung ist lauter Licht und Sonnenschein; nur einige Frauencharaktere haben einen leisen dämonischen Zug, so die Gisela in „Ingo“, die trotz ihres altdeutschen Costüms und ihrer manierirten Ausdrucksweise als eine sich unbefriedigt fühlende Gattin an die Heldinnen neufranzösischer Romane erinnert, vor Allem aber an Georgine im „Grafen Waldemar“. Auch Hedwig in den „Brüdern vom deutschen Hause“ gemahnt uns wie eine skizzirte Nachzeichnung dieses Vorbildes; denn gerade bei derartigen Gestalten geht Freytag’s Darstellung nicht über die Skizze hinaus. In der Haltung sehr delicat, haben die Freytag’schen Frauen doch in ihrem Wesen immer etwas leidlich Emancipirtes, wie ja auch jene Adelheid in den „Journalisten“. Natürlich ist alles Makart’sche Colorit der keuschen Muse Freytag’s ein Gräuel, aber sie versteht sich doch zu Andeutungen, welche die Phantasie zu selbstthätiger Ausmalung erotischer Situationen anregen: wir erinnern nur an Hedwig, welche den Wappenmantel, dieses aus den Trophäen zahlreicher Turnierzüge zusammengesetzte Palladium der Liebe, vor dem Geliebten ausbreitet; wir erinnern an Anna, welche die Himmelsleiter zum Geliebten herabsteigt. Und diese Anna gehört nicht zu den Varietäten der Georginensorte, sondern zu den normalen deutschen Mädchen und Frauen, wie Irmgard, Hildegard, Friderun, Henriette, die oft mit frischer Naivetät geschildert, oft aber auch mit einer etwas süßlichen Glorie im Stil des Carlo Dolce oder noch älterer Goldgrundbilder verziert sind. Diese deutschen Jungfrauen sind zart, sittig, keusch, naiv, holdselig, von inniger Empfindung und gelegentlich zu heldenhaftem Entschlusse fähig, aber sie sehen sich überaus ähnlich. Der Dichter hat im Grunde nur eine Probirmamsell, der die verschiedensten culturhistorischen Garderoben umgeworfen oder übergehangen werden. Junge Mädchen haben indeß niemals eine sehr ausgeprägte Physiognomie, die ingénues der neueren französischen Komödie und ihrer deutschen Nachahmer sehen sich zum Verwechseln ähnlich, und so darf uns auch diese Aehnlichkeit bei den deutschen Jungfrauen verschiedener Jahrhunderte nicht Wunder nehmen.

Doch auch die Jünglinge haben den gleichen Schnitt der Physiognomie und der Charaktere: sowohl die ritterlichen Ingo, Ingraban, Imo, Ivo, wie die bürgerlichen Könige von Markus und Georg bis zu Ernst und Victor, sie sind alle wacker und tapfer, frisch und edel und – wenn man von kleinen Irrthümern des Herzens und einigen kleinen Excessen eines zu hitzigen Temperaments absieht – tadellos in ihrem Benehmen; es giebt keine ungerathenen, keine verlorenen Söhne unter ihnen; sie sind alle, um mit dem Dichter zu sprechen, behende Knaben, die auf dem Turnplatz der deutschen Geschichte an Reck und Barren, im Voltigiren und Freispringen ihre Tapferkeit und Muskelkraft bewähren.

Sie werden, verehrte Freundin, wenn Sie gelegentlich einen „Ahnen“ zur Hand nehmen, sich an der vornehmen Feinheit und Knappheit des Freytag’schen Stils, an der classischen Ciselirung des Details, an dem poetischen Hauch, der über einzelnen Situationen schwebt, gewiß erfreuen und dem Dichter gern einräumen, was ihm zukommt: die Meisterschaft der Genremalerei. Freytag wird nie Ihr Lieblingsdichter werden, ich weiß es; Sie lieben das Feurige und Leidenschaftliche, das Tiefsinnige und Bedeutende, den großen Stil der Darstellung, die Schärfe der Charakteristik, die einheitliche und spannende Composition, doch wenn Sie auch die Vorliebe unseres Publicums für das Genrehafte nicht theilen, so wissen Sie doch auch einen ansprechenden Bildersaal zur Culturgeschichte unseres Volkes zu würdigen.




Ungleiche Seelen.

Novelle von R. Artoria.
(Fortsetzung.)
3.

Am folgenden Morgen saß Baron Willek mit seiner Tochter beim Frühstück auf dem Balcon. Der frische Ostwind trug den Meerduft herüber und spielte in den flatternden Zacken des blaugestreiften Sonnendachs – es war ein wundervoller Morgen.

Drunten auf der Riva wogten schon Massen festlich gekleideter Menschen durch einander, mit dem unbeschreiblichen Anstand, der die Italiener bei solchen Gelegenheiten auszeichnet; man hörte nur Lachen und fröhliche Begrüßungen und vernahm beides auf dem Balcon oben um so besser, als dort schon seit geraumer Zeit völlige Stille herrschte. Der Baron hatte sich in ein englisches Journal vertieft, während Leontine, im eleganten himmelblauen Cachemireschlafrock nachlässig im Schaukelstuhl ruhend, mechanisch mit einem Theelöffelchen spielte und durch die Lücken der Balconbrüstung das Treiben auf der Straße beobachtete oder wenigstens zu beobachten schien. Sie war noch nicht frisirt; ihre reichgelockten Haare mit dem bläulichen Glanze beschatteten die blasse Stirn, und die langen Wimpern hatten sich tief nach den Wangen zu gesenkt.

Ob die Bilder, welche vor ihrem innern Auge vorbeizogen, beglückender Natur waren? Die leise zusammengezogenen Brauen und der wie nach innen gewandte Blick verriethen Nichts davon.

Jetzt legte der Papa das Blatt weg; dann wandte er sich plötzlich in seiner gewohnten leisen und deutlichen Sprechweise an seine Tochter:

„Und nun, liebes Kind, würdest Du mich verbinden durch eine Andeutung, wie denn das Alles noch werden soll. Ich muß gestehen, Du fängst an, mir unbegreiflich zu werden.“

Die junge Dame veränderte ihre Stellung nicht und schlug die Augen nicht auf, als sie gleichgültig fragte:

„Weshalb denn, Papa?“

„Weshalb?!“ Baron Willek konnte doch nicht umhin, in einen angeregteren Ton zu verfallen. „Weil Du Dich gestern Nachmittag in einer Weise benommen hast, die ich mir mit Deinen gesunden fünf Sinnen nicht mehr zusammen reimen kann.“

„Erlaube, Papa –“ sagte sie, sich rasch emporrichtend.

„Erlaube Du mir, mein Kind,“ unterbrach er sie, mit sehr bestimmter Bewegung ihren erhobenen Arm niederdrückend, „und laß mich völlig ausreden. … Ich will nicht gegen Deinen Willen zu einer Verbindung drängen, die so sehr meinen Wünschen entspricht, wie kaum je eine andere; Du weißt es, ich habe in Riva keinerlei Zwang auf Dich geübt, obgleich es mir höchst fatal war, daß die Sache damals so aus einander ging. Es ist die beste Partie, welche Du je machen konntest, und keine ähnliche wird sich Dir wieder bieten. Du selbst – gestehe es nur! – warst damals bei seiner plötzlichen Abreise einigermaßen deprimirt.“

Leontine betrachtete die Spitzen ihrer Morgenschuhe und antwortete nicht.

„Nun geschieht das Unerhörte,“ fuhr ihr Vater fort, „die versäumte Gelegenheit bietet sich Dir nochmals gerade so dar, und Du – statt rasch entschlossen zuzugreifen – amusirst Dich damit, vor den Augen dieses geldstolzen Mannes eine so unsinnige und zwecklose Liebelei anzuspinnen, daß mir der Verstand still stehen möchte und ich meine Tochter nicht wieder erkenne. Noch ein solches Beisammensein wie gestern, und Nordstetter zieht sich

Empfohlene Zitierweise:
verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 452. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_452.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2022)