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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

daß trotz aller Unglücksfälle doch noch etwas zu holen war. In den Franzosenkriegen verirrten sich zum letzten Mal fremde Kriegsvölker in die Berge, und auch von diesen nahmen die Bauern nicht Alles mit Geduld an, sondern wehrten sich ihrer Haut, so gut sie konnten.

Als wieder Ruhe und Friede im Lande einzog, widmeten sich die Oberländer ihren gewohnten Beschäftigungen, und heute leben sie in derselben Weise wie ehedem; im Munde des Volkes leben noch die Thaten der Ahnen fort und erfüllen die Herzen der jungen Welt mit jenem heimathlichen Stolze, der die Grundlage zur Erhaltung des eigenartigen Charakters der Oberländer bildet.

B. Rauchenegger.     




Karoline Bauer als Gräfin Plater.

Plaudereien über ihre letzten Lebensjahre.

Es ist Thatsache, daß um das Privatleben bedeutender Menschen sich oft ein ganzer Sagenkreis bildet. Namentlich trifft dies bei hervorragenden Schauspielerinnen zu. Je schöner, je berühmter die Dame, um so größer der Mythus! Und die Dienerinnen Melpomene’s haben meistens ein besonderes Wohlgefallen daran, viel von sich reden zu machen; begnügt sich diese Leidenschaft doch oft genug nicht mit den Mitteln der vox viva, des Weges vom Mund zum Ohr, auch Tinte und Feder, Druckerschwärze und eherne Lettern müssen dem süßen Vonsichredenmachen dienstbar sein, und so verdankt die moderne Literatur den geschäftig plaudernden Heldinnen der Bretterwelt ein ganz neues Genre, nämlich das der Künstlermemoiren, Bühnenerinnerungen, Komödiantenfahrten etc.

Das erste Aufsehen erregte mit solchen Schriften Karoline Bauer, die in origineller und geistreicher Weise diese Bahn betrat, auf welcher ihr bald so viele Colleginnen nachfolgten. – Doch that sie es erst in hohem Alter, nachdem ihre Schönheit verschwunden, nachdem die glücklichsten Stunden ihres Lebens verrauscht waren, nachdem sie der Bühne, auf welcher sie als Königin gethront hatte, längst ein wehmüthiges Adieu zugerufen. Damals, als sie aufhörte zu spielen, ahnte sie vielleicht nicht, wie viel Wahrheit in dem Verse liegt:

„Der Vorhang geht auf; der Vorhang geht nieder;
Alle die abgehen, die kommen nicht wieder.“ –

Später aber hat sie es gefühlt – und begann von sich zu schreiben.

So lange der Schauspieler auf der Bühne steht, ist er gekannt und bewundert; tritt er auf immer ab, so erinnert sich seiner wohl noch zuweilen die mit ihm lebende Generation; stirbt diese aus, so steigt der berühmte Name „klanglos zum Orkus hinab“. – Schrecklich mag es für den Ehrgeizigen sein, zu wissen, daß er nichts gethan hat, was seinen Namen der Nachwelt erhalten könnte, und hauptsächlich dies hat wohl Karoline Bauer bewogen, von sich zu schreiben.

George Sand sagt in ihren Memoiren: „Gewöhnen wir uns, von uns selbst zu sprechen, so kommen wir leicht und unwillkürlich dazu, uns selbst zu loben, was eine natürliche Folge der Neigung des Menschen ist, den Gegenstand seiner Betrachtung zu verschönen und zu erheben.“ Karoline Bauer that das, und es läßt sich daher aus ihren Schriften ihr Wesen nicht erkennen – ebenso wenig, wie aus der Charakteristik eines Romans sein Autor. Ihre Schriften wurden förmlich verschlungen. Man erinnerte sich der Halbvergessenen, und brachte nun der Schriftstellerin Huldigungen dar, wie früher der Schauspielerin – sie hat ihren Zweck erreicht. Zur Zeit jener Huldigungen lernte ich sie kennen und will im folgenden über ihre letzten Lebensjahre erzählen. Pikanterien giebt es da freilich nicht, aber was ich hier mittheilen werde, dürfte diejenigen interessiren, welche die große Schauspielerin aus ihrer Bühnen- und Glanzzeit noch kennen, diejenigen, die ihre Bücher gelesen haben, und schließlich noch diejenigen, die neugierig sind zu erfahren, wie sich das Leben einer einstigen Theatergröße in ihren alten Tagen gestalten kann.


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Mein Tagebuch enthält folgende Notiz: „Zürich, den 14. Juni 1876. Ich hatte heute die Ehre, der Gräfin Plater vorgestellt zu werden; ich habe sie mir zwar ganz anders gedacht, war aber nicht enttäuscht; sie machte auf mich einen eigenthümlichen, guten Eindruck. Sie ist sehr unterhaltend, weiß vortrefflich zu erzählen und ist fürchterlich zerstreut. Man erkennt, daß sie einmal sehr schön gewesen sein muß. Sie sprach immer von sich und lud mich nach den ersten Worten ein, sie zu besuchen. Eine sehr eigenthümliche Frau.“

Seit diesem Tage gehörte ich zu den Wenigen, die auf Broëlsberg, der Besitzung des Grafen Plater, bei Horgen am Zürichsee, stets willkommen geheißen wurden. Wer die greise Gräfin kannte, wird wissen, wie schwer es war, sich in ihrem Hause Zutritt zu verschaffen. Die Rücksichtslosigkeit, mit der sie Leuten begegnete, die ihr auf den ersten Blick unangenehm waren, schreckte Viele vor jeder Annäherung zurück, und es waren nur sehr wenige Personen, die in ihrer Gunst standen, denen sie dann freilich mit äußerster Liebenswürdigkeit entgegenkam. Trotz dieser anscheinenden Aufrichtigkeit war ihr nie zu trauen; ich hörte sie oft Leute hinter dem Rücken schmähen, denen sie kurz vorher mit beispielloser Gewandtheit den Hof gemacht. In solchen Schmähungen kannte sie dann keine Grenzen und gebrauchte Ausdrücke, die man am allerwenigsten im Munde der Gräfin Plater erwartete. Sie war sich ihrer Fehler wohl bewußt und äußerte sich ohne Scheu darüber. „Trauen Sie nie einer Schauspielerin!“ sagte sie einmal, „sie sind alle falsch. Wohl findet man oft große Schauspieler, die im Leben Ehrenmänner sind, aber während meiner langen Laufbahn habe ich keine Schauspielerin gefunden, der ich hätte vertrauen mögen.“ Sich selbst schloß sie natürlich von dieser Regel aus.

Selbst für den Eingeweihten war es schwer, ein Urtheil über das Glück ihrer Ehe mit dem Grafen Plater zu fällen. Dieser war ein Cavalier von reinstem Wasser und ihr gegenüber von der größten Zuvorkommenheit; oft sah ich, wie er ihr mit den von der Gicht gekrümmten Fingern den Schemel unter die Füße rückte, die Medicin gab und dergleichen, doch bezweifle ich, ob er ihr je eine Minute mehr widmete, als es die Convenienz und die Gesellschaft erforderten. Ganz absorbirt von dem Gedanken, daß Polen wieder frei werden müsse, vernachlässigte er alles Häusliche, um nur diesem seinem politischen Ideal leben zu können. Man sagte ihm sogar nach, daß er sich mit der Hoffnung trage, dereinst seine Tage als König von Polen beschließen zu können. Die Gräfin äußerte sich oft über seine Pläne mit der ihr eigenthümlichen Aergerlichkeit und Schärfe. Sie konnte aber auch manchmal „fuchsteufelswild“ werden, wenn sie sah, wie die Verblendung ihres Gatten auf die gemeinste Art ausgebeutet wurde, natürlich von verkommenen polnischen Emigranten. Ein Brief von ihr enthält folgende charakteristische Stelle:

„Wie Sie wissen, kommt es oft vor, daß mittellose Polen meinen Herrn Gemahl um Unterstützungen ansprechen, und ein paar solcher Herren waren auch kürzlich da. Der Eine ersuchte ihn in schlichten Worten um eine Geldunterstützung, da er nach Paris wolle, um dort die Existenz zu suchen, die er in seinem Vaterlande nicht finden könne; der Andere, au contraire, erging sich in weiten Auseinandersetzungen der jetzigen Zustände in Polen, schimpfte wacker auf die Russen und erzählte, wie man in Warschau nur vom Grafen Plater, le roi et le sauveur de la Pologne, spreche, alle Hoffnungen auf ihn baue und natürlich vor Begierde brenne, ihn als König begrüßen zu können. Schließlich fügte er hinzu, er wolle jetzt in’s liebe Vaterland zurückkehren und mit erneuerter Kraft an’s heilige Werk gehen, glücklich, daß ihm Gott noch die Gnade gewährt, seinen Herrn und König von Angesicht zu Angesicht zu sehen. Hierauf kniete er, wie verzückt, nieder und küßte den Rocksaum meines freudestrahlenden Königs in spe. Doch wie die Mittel verschieden waren, welche die beiden Polen zu gleichem Zwecke anwendeten, so war auch der Effect verschieden. Der Ruhmredner erhielt 200 Franken, sein bescheidener College nur 20. Wie ich später erfahren habe, ist der eine der Polen wirklich nach Paris gefahren und wirkt thätig in dem dortigen Polenclub, der andere jedoch treibt sich bis jetzt noch in Zürich herum und erhielt kürzlich abermals Geld vom Grafen. Als ich mir hierüber eine Bemerkung

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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 443. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_443.jpg&oldid=- (Version vom 12.7.2022)