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verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

eines der Eckthürme ein Asyl für Behaglichkeit. In diesem Ausläufer des weiten Gemaches schimmert zwischen zwei hohen Fenstern ein kostbar eingelegter Schrank, dessen halbgeöffnete Thür Schriften und Pergamente im Innern unterscheiden läßt. Auf einem der hochlehnigen Sessel, welche den runden Tisch umstehen, sitzt der Herr des Schlosses im Gespräch mit seiner ihm gegenüberstehenden Enkelin.

„Du siehst nicht froh aus, Großvater. Und doch ist heut ein Freudentag.“

„Es könnte ein Freudenfest sein.“

„Und wäre es kein Fest?“

Der Greis, an welchen sich diese Fragen richteten, sah allerdings nicht aus, als sei er im Begriff einen festlichen Tag zu begehen. Gedankenschweres Sinnen hatte sich in jeden Zug seines ausdrucksvollen Gesichtes eingegraben. Zwar zeigte die hünenhafte Gestalt des Grafen Riedegg nichts von der Last seiner hohen Jahre, diese Jahre mochten ihm aber eine um so schwerere Last von Erfahrungen aufgebürdet haben. Er hatte stets für einen der schönsten Männer seiner Zeit gegolten und war dies in gewissem Sinne noch heute. Das intensive Blau des scharf blickenden Auges hatte nichts von seiner Färbung eingebüßt; Stirn und Schläfen schienen nur durch jene Linien gefurcht, die eine zwar unbeugsame, aber auch nicht ohne Enttäuschung gebliebene Energie zu graben pflegt. Haar und Bart waren gebleicht, aber noch in starker Fülle; Graf Riedegg’s Blick haftete in diesem Momente prüfend auf dem Gesichte seiner Enkelin, deren Stirn und Auge den seinigen wunderbar glichen.

„Fünfzehn Jahre!“ sagte er; „in diesem Alter trägt man sich mit langen Haaren und kurzen Gedanken. Laß’ Dich das aber nicht erzürnen!“ warf er ironisch dazwischen, als das heiß erglühende Kind eine der niederhängenden, vorwärts geglittenen Flechten mit stolzer Geberde über die Schulter zurückwarf. „Wir nehmen an, Du seiest eine Ausnahme, Ottilie, und Du sollst Antwort haben. Nein! es ist mir kein Freudenfest; denn Dein Vater kehrt nicht so zurück, wie er es mir verheißen. Die heutige Generation begreift adelige Pflicht nicht mehr.“

Die Gluth auf Ottiliens Wangen brannte heißer. „Du machst es meinem Vater zum Vorwurfe, daß er mir keine Stiefmutter geben will?" erwiderte sie in dunkelm Tone. „Ich bin ihm dankbar dafür.“

„Du bist doch noch ein Kind von kurzen Gedanken,“ sagte Graf Riedegg achselzuckend. „Stiefmutter – wie aus einem Ammenmärchen! Die Gattin meines Sohnes wird meiner Enkelin den Frauenschutz bieten, welcher für Deine Vorstellung unentbehrlich ist. Im Uebrigen handelt es sich darum, daß der angestammte Besitz dem Namen verbleibe.“

Sie blickte lebhaft auf; das feste Auge traf den Greis mit vollem Strahle, während ihr Kopf sich hob. „Wenn unser Name einst durch mich mit einem andern vertauscht werden sollte, so darfst Du darauf rechnen, Großvater, daß dieser andere von gleich reinem Klange ist.“

Ein kurzes, scharfes Lachen ging der Antwort des Grafen voraus: „Darauf rechne ich um so sicherer,“ sagte er, „als ich selbst dafür sorgen werde. Uebrigens ist Dein Vater noch ein junger Mann; was sich an fremden Höfen nicht gefunden, findet sich vielleicht in der Nähe. In meiner Berechnung dieser europäischen Reise fehlte leider eine Ziffer: Meinhard’s Schwanken jedem Entschlusse gegenüber.“

Das feine Ohr Olliliens empfand die leise Geringschätzung der letzten Worte.

„Du liebst meinen Vater nicht,“ sagte sie mit bedeckter Stimme, „und doch –“

„Und doch ist er der letzte Sohn , welcher mir geblieben, willst Du sagen?“

Ein weicher Zug, der diesem festgezeichneten jungen Gesichte nicht immer eigen war, trat voll Anmuth um des Mädchens Augen und Lippen.

„Und doch ist mein Vater so liebenswerth. Das wollte ich sagen. Onkel Wolf ist seit langen Jahren todt – ihm trauerst Du heute noch nach, Großvater, liebst den todten Sohn mehr als den lebenden. Sonst hättest Du Papa gewiß nicht beredet oder auch nur darein gewilligt, daß er so lange von uns fern blieb. Papa ist gut – ich liebe ihn. Daß er heimkehrt, macht mich froh, daß er allein heimkehrt, macht mich glücklich.“

Der Graf hob die Brauen.

„Worauf wartest Du denn? Kleide Dich geziemend an! Der Wagen wird nach einer Stunde abfahren.“

„Ich darf also?!“ Das Wort brach voll Gluth hervor.

„Wie ich Dir gestern gesagt. Mademoiselle begleitet Dich nach Brixen zur Frau von Lichtwehr. Schüller fährt mit, erwartet auf der Post Deines Vaters Eintreffen und macht Dir Meldung, während der Vorspann besorgt wird.“

Die helle Stirn des Mädchens zog sich zusammen. „So nicht, Großvater,“ sagte sie verstimmt. „Daß ich nicht allein fahren darf, weiß ich ja – also mag Mademoiselle mitkommen. Ist das aber nicht genug? Zu Lichtwehrs? Ach, sie werden mir während der ganzen Wartezeit den Kopf summen lassen vor lauter Gerede, und dann wird der alte Herr am Ende gar mitkommen wollen, um Papa zu begrüßen. Nein, nein! wenn ich ihn nicht mit Mademoiselle im Posthause erwarten und dort allein empfangen darf, bleibe ich lieber zu Hause.“

„So bleibe zu Hause!“ sagte Graf Riedegg sehr ruhig, aber in einem Tone, welchen seine Enkelin gut zu verstehen schien. Sie wechselte die Farbe, strich sich mit stolzer Wendung des Kopfes das kurze Gelock aus der Stirn, machte eine Verbeugung, welche jedem Hoffräulein zur Ehre gereicht haben würde, und verließ das Zimmer ohne ein Wort zu erwidern. Draußen im Bogengange, der diesen Mittelflügel mit jenem verband, welcher die eigentlichen Wohngemächer umschloß, warf sie einen flüchtigen Blick in den Hofraum und wendete sich nun der steinernen Säulentreppe zu, um hinabzusteigen.

(Fortsetzung folgt.)




Land und Leute.

Nr. 44. Tölz in Oberbaiern.

Unter den Orten des baierischen Hochlandes, welche in den jüngsten Jahren durch einen Schienenweg dem allgmeinen Verkehre näher gerückt wurden, befindet sich auch der Markt Tölz. Der Glanz sommerlicher Hoflager hat seit Jahrhunderten diese echt bajuwarische Niederlassung nicht mehr überstrahlt, und so ist dieselbe trotz ihres begründeten historischen Anspruches auf besondere Rücksichtnahme bescheiden im Hintergrunde der saisonmäßigen Verkehrsplätze geblieben, bis der Ruf der Krankenheiler Bäder sie in der Erinnerung der Mitwelt wieder aufgefrischt hat.

Doch nicht allein die leidende Menschheit, auch der Tourist wendet sich gern gen Tölz, das Eigenartiges genug bietet. Wenn man vom Bahnhofe aus den Weg zum bedeutend tiefer liegenden Markte einschlägt, so präsentirt sich allerdings nicht viel mehr als eine Reihe jener grauen, steinbeschwerten Dächer, die unsere Gebirgsbauten kennzeichnen, und nur ein paar spitze Kirchtürme lassen auf eine höhere Bedeutung des Platzes schließen.

Die Hauptstraße des Marktes bietet einen originellen Anblick; dicht an einander gedrängt, mit der Giebelseite nach vorwärts, stehen die einfachen im richtigen Gebirgsstil gehaltenen Häuser so traulich beisammen, als wollten sie dem Wanderer von vornherein das patriarchalische Gesellschaftssystem versinnbildlichen, welches gewissermaßen in den Bergen noch immer fortlebt. Kleine und stattliche Gebäude reihen sich ohne besondere Rangordnung an einander; die respectable Breite der Straße verräth eine mehr städtische Anlage; sie führt in so rascher Neigung zum Isarstrande abwärts, daß man beim Hinunterfahren einige ängstliche Bedenken kaum zu unterdrücken vermag, zumal das Pflaster stark an das Gerölle eines Bergabhanges erinnert. Der größere Theil des Marktes liegt auf dem Hügel, der sich rechts von der Isar erhebt, und eine mächtige hölzerne Brücke verbindet denselben mit dem kleineren Theile, der sich auf einem gleichfalls erhöhten Terrain fortsetzt und bis zu den oben erwähnten Bädern ausbreitet.

Die Lage von Tölz ist schon insofern eine besondere, als hier das weitgedehnte obere Isarthal bis zu seinen Anfängen abgeschlossen

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verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Ernst Keil's Nachfolger, Leipzig 1881, Seite 440. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_440.jpg&oldid=- (Version vom 26.12.2022)