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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Tenduf, Taudeni und Arauan Timbuctu erreichte, kam eine beträchtliche Menschenmenge den Reisenden entgegen und begrüßte sie mit endlosen „Salams“, vornehmlich aber wurde dem Scherif, als der Hauptperson, von den biederen Bekennern des Islam Ehrerbietung gezollt. Der schlaue Hadj Ali, dessen handgreifliche Lüge, daß er der vierundzwanzigsten Generation der directen Nachkommen des Propheten angehöre, von Jedermann geglaubt wurde, obgleich bereits 1250 Jahre seit dem Tode Mohammed's verflossen sind, nahm ohne Weiteres die Gastfreundschaft des Oberhauptes der Stadt, der den Titel Kahia führt, für sich und sein Gefolge in Anspruch. Nur zu gern gewährte der hochgestellte Mann diesen Wunsch; denn es fiel ja dadurch auf sein Haus ein Strahl jener Herrlichkeit, die der Scherif durch sein bloßes Erscheinen verbreitete; auch brannten die einheimischen Gelehrten schon darauf, sich in endlosen Discussionen mit Hadj Ali zu messen.

So kam es denn, daß während des fast dreiwöchentlichen Aufenthaltes der Reisegesellschaft in Timbuctu fast täglich das Haus des Kahia der Sammelpunkt der gelehrtesten Moslemin wurde, die sich über die tiefsten Probleme und äußersten Geheimnisse des Islam in schreiendster Debatte unterhielten. Da sich der Scherif Hadj Ali einer ausnehmend gesunden Lunge erfreute, so gelang es ihm, wie dies auch sein Ansehen vorschrieb, regelmäßig die Anderen in den Discussionen niederzuschreien, und Abends theilte er dann dem Dr. Lenz triumphirend mit, daß er doch ein viel größerer Gelehrter als jene sei, die er im Wortgefechte besiegt habe. Der Scherif nutzte übrigens das große Renommée, dessen er sich erfreute, noch in anderer Weise aus, indem er den Gläubigen in Timbuctu zahlreiche Amulette, bestehend aus niedergeschriebenen Koranversen, die in Lederkapseln am Arm oder um den Hals getragen werden, anfertigte und dafür reiche Geschenke an Kleiderstoffen, Straußenfedern, Goldringen u. dergl. m. einheimste.

Inzwischen benutzte Dr. Lenz die ihm unter seinem hochangesehenen Schutze gewährte Sicherheit nach besten Kräften dazu, um wissenschaftliche Studien über Timbuctu und seine Bewohner anzustellen. Während Dr. Barth gelegentlich seines Aufenthaltes in Timbuctu sich, fast wie ein Gefangener, im Wesentlichen darauf beschränken mußte, von der Terrasse des Hauses seines Wirthes aus das Häusergewirr der Stadt mit den drei darüber hinwegragenden Moscheen zu besichtigen und zu skizziren, und nur hin und wieder sich einer gewissen Sorglosigkeit hingeben durfte, streifte Dr. Lenz frei und ungehindert, theils allein, theils mit seinem Scherif durch die engen Straßen der Stadt; er betrat das Gewühl des Marktes, die Wohnungen der verschiedenfarbigen Einwohner und die Verkaufsläden der Händler. Außerdem eröffneten sich ihm, dem Leibarzt des berühmten heiligen Mannes, noch ganz andere Thüren und Geheimnisse, die ihm sonst natürlich vollständig verschlossen gewesen wären. Zahlreiche Kranke consultirten ihn, und es gelang ihm auch einen Einblick in die sanitären Verhältnisse der Stadt zu gewinnen. Die Mehrzahl der Fälle, die er zu curiren hatte, betrafen das bekannte Uebel der Wüstenbewohner, nämlich Augenkrankheiten.

Die Beschreibung, welche Dr. Barth bereits 1854 von Timbuctu gemacht hatte, ist mit wenigen Modificationen auch heute noch zutreffeud, vielleicht ist der breite Gürtel von Ruinen und Häuserresten, welcher die überall offene, dreieckige Stadt als Ueberbleibsel ehemaliger Größe und Herrlichkeit rings umgiebt, noch ein klein wenig breiter geworden. Wenn man die Stadt von Norden her betritt, trifft man zunächst einen aus niederen flachen Zelten bestehenden Stadttheil, dessen Bewohner nomadisirende Araber sind, dahinter einen anderen Stadttheil, der aus höheren, spitzeren Hütten besteht und in dem die ärmere Bevölkerung ihren Wohnsitz aufgeschlagen hat; dann erst folgt das Häusergewirr der eigentlichen Stadt mit den quadratischen flachen, oft nur ein Stockwerk hohen Gebäuden, deren dicke Lehmmauern trotz der kolossalen Hitze draußen den Räumen im Innern eine angenehme Kühlung verschaffen. Vielfach finden sich an den Häusern Spuren von Ornamentirung; namentlich sind hübsche schwarze hölzerne Fenster nicht selten und in der Mitte zwischen zwei Häuserreihen befinden sich gewöhnlich Rinnen für das von den Dächern herabfließende Regenwasser. Die Straßen selbst sind fast überall so breit, daß sich zwei entgegenkommende Reiter ausweichen können. Die Einwohner von Timbuctu bestehen im Wesentlichen aus Arabern und Souray-Negern, sowie einem bunten Völkergewirr aus allen Theilen Afrikas, und ihre Gesammtzahl beträgt nach Schätzung des Dr. Lenz kaum mehr als zwanzigtausend. Hierzu kommt noch während der Karawanenzeit eine flottante Bevölkerung von mehreren Tausend Personen.

Die Karawanen und der Handel — das ist von Alters her der Hauptgedanke des handeltreibenden Theiles der Bevölkerung von Timbuctu. War es auch für die ehrgeizigen Herrscher früherer Jahrhunderte eine Ehrensache, recht viele Gelehrte in's Land zu ziehen, so vergaßen sie darum doch nicht, die Metropole am Nigerstrom zum Hauptzielpunkt des westlichen Sudan zu machen und es in enge Wechselwirkung mit Marokko zu bringen.

Bei alledem ist Timbuctu durchaus keine Stadt, in welcher eine eigene Industrie sich hervorragend entwickelt hätte. Jedes Gespräch, jede That bezieht sich dort entweder auf den Mohammedanismus, auf Hersagen von Gebeten und religiöse Unterhaltungen oder auf den Handel. Man handelt mit dem Sudan und den Negerreichen im Süden und kauft deren Producte an, um sie gegen die Waaren des Nordens umzutauschen, wobei die große Bedürfnißlosigkeit der Leute es erklärlich macht, daß sie sich mit verhältnißmäßig bescheidenem Gewinne begnügen.

Unter den von Norden herkommenden Karawanen ist diejenige von Tenduf, welche den Namen „Akbar“, das heißt die „Große“, führt, die bedeutendste. Diese wird gewöhnlich nur einmal des Jahres unternommen und zählt selten weniger als 300 bis 400 gut bewaffnete Leute und 1000 bis 2000 Kameele. Die Transportkosten betragen für eine Ladung von 162 Kilo von Timbuctu bis Tenduf 375 Franken, von Tenduf bis Mogador 40 Franken. Als Exportartikel von Timbuctu bilden Negersclaven immer noch einen Hauptartikel; diese Leute kommen aus den Bambarraländern und werden nach Marokko, Tunis und Tripolis geführt; außerdem führen die Karawanen aus Timbuctu Straußenfedern, im ungefähren Werthe von 400,000 Franken, etwas Gummi, Goldwaaren und Goldstaub für 100,000 Franken, Elephantenzähne für 150,000 Franken aus, und der Gesammtwerth aller Exportartikel nach dem Norden beträgt noch nicht eine volle Million Franken. Der Import nach Timbuctu enthält blaue englische Baumwollenstoffe, Korallen, Thee aus London, Zucker aus Marseille und Salzstücke aus Taudeni, welcher letztgenannte Ort etwa fünf geographische Breitengrade nördlich von Timbuctu liegt und einen bedeutenden Theil Centralafrikas mit Salz versorgt.

Dr. Lenz, welcher auf seiner Expedition den Ort berührte, berichtet von den uralten Steinsalzminen, welche hier von den Arabern ausgebeutet werden, Folgendes: Man bricht das Steinsalz in meterlangen Platten, deren vier eine Kameelladung ausmachen; Tausende von Kameelen gehen jährlich, mit diesen Platten beladen, nach Timbuctu. Sehr merkwürdig sind bei Taudeni die Reste einer längst untergegangenen Stadt, deren Mauern aus Erde und Steinsalz bestehen und zwischen deren Trümmern die Karawanenführer und Kameeltreiber nach prähistorischen Steinwerkzeugen suchen, die sie mit nach Timbuctu nehmen, wo die Negerweiber diese Steine sehr gern für den Hausgebrauch benutzen.

Die Nahrungsmittel in Timbuctu sind ganz vorzüglich; man findet dort vortreffliches Weizenbrod, gute Butter und Honig, Fleisch vom Rind, Schaf, Ziege, Wildpret und Hühner; auch giebt es vortreffliche kleine Boutiken an den Straßenecken, in denen außer diesen Lebensmitteln noch getrocknete Fische, Früchte, namentlich Melonen, Milch, Eier, Süßigkeiten etc. verkauft werden. Was die Münzverhältnisse betrifft, so bedient man sich zur Bezahlung des Goldes, und — wie an vielen Stellen der Erde — der Schalen der Kaurischnecken. Als Einheit für das Gold dient ein „Mitkal“, dessen Werth gegenwärtig in Timbuctu 11 bis 12 Franken beträgt; für die Hälfte dieses Preises erhält man etwa 5000 Kauris. Mit der letztern Münze werden alle kleineren Bedürfnisse bezahlt; beispielsweise erhält man für etwa 20 Kauris ein Ei. Man kann sich über den Werth des Muschelgeldes noch eine weitere Anschauung durch die Nachricht Dr. Barth's verschaffen, der mittheilte, daß er für 10,000 Kaurischnecken ein großes Boot zu ausschließlichem Gebrauche miethete, welches ihn während der letzten Woche seiner Fahrt auf dem Niger bis nach dem Hafen von Timbuctu zu fahren hatte. Timbuctu liegt nämlich nicht selbst an diesem Strome, sondern es befindet sich etwa eine Tagereise davon entfernt und hat nur zur nassen Jahreszeit eine Wasserverbindung dorthin. Sehr auffällig war es Dr. Lenz, daß er von der arabischen Bevölkerung in Timbuctu den Niger ausschließlich als „Nil“ bezeichnen hörte, und er erklärte sich dies dadurch, daß sich hier die alten Traditionen der römischen und griechischen Schriftsteller noch erhalten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_431.jpg&oldid=- (Version vom 10.9.2022)