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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Räderwerk ebenfalls bestimmte Drehung annimmt; dadurch entstehen ebenso reizende wie unmöglich mit der Hand auszuführende Muster der „rocher de bronze“ an welchem alle Nachahmer scheitern. Die fertigestellten Platten, für jeden Schein natürlich doppelt, wandern dann in die galvanoplastische Abtheilung, um dort auf mechanischem Wege vervielfältigt zu werden.

Wir betreten jetzt das Heiligthum der Reichsdruckerei, jenen Saal, wo uns in märchenhafter Weise zwar nicht das Gold, wohl aber das Geld, wenn auch nur das papierne, in mächtigen Ballen und Paketen entgegenlacht; kein Unberufener darf die Schwelle überschreiten – hier ist des Papiergeldes wahrer Himmel. Nachdem die erwähnten, zahlreich vervielfältigten Platten mit Farbestoff versehen und mit dem Papier belegt worden sind, kommen je vier derselben unter eine hydraulische Presse, um einem Druck von vielen tausend Pfund ausgesetzt zu werden – wenige Secunden später, und die Cassenscheine begrüßen das Tageslicht – mit gleichgültiger Miene legen die Drucker Bogen auf Bogen, unbekümmert ob die Zahl 1000 oder nur 5 zu lesen ist.

Welche Werthzeichen hier geboren werden, mögen folgende Zahlen illustrieren. Im Etatsjahre 1879 bis 1880 wurden hergestellt: 1,714,000 Reichsbanknoten im Werthe von rund 171 Millionen Mark, 584,000 Reichscassenscheine gleich 29 Millionen Mark, 325,000 Schuldverschreibungen von Reichs- beziehentlich preußischen Anleihen gleich 466 Millionen Mark, 881,000 sonstige Werthpapiere gleich 295 Millionen Mark. Die Gesammtsumme der überhaupt produzierten Werthzeichen betrug 1879 bis 1880 800 Millionen Stück im Werthe von mehr als 1000 Millionen, oder etwa 2 2/3 Millionen Stück im Werthe von 3 1/3 Millionen Mark täglich. Angesichts dieser fast unheimlichen Summen möchte wohl Mancher fragen: Wie steht es aber um die Ehrlichkeit dieser Leute gegenüber solcher Versuchung?

Abgesehen von der Thatsache, daß die moralische Qualität der dort Angestellten über jeden Zweifel erhaben ist, würde eine eventuelle Veruntreuung eines Werthzeichens absolut unmöglich sein. Vor Beginn der Arbeit wird jedem die Zahl der Bogen gegen Quittung übergeben, durch Controlleure werden die fertigen Scheine in bestimmten Zeitabschnitten, wiederum gegen Unterschrift, abgehoben und am Schluß des Tages summirt und nachgezählt; im Uebrigen ist die Theilung der Arbeit der Art durchgeführt, daß dem Einzelnen nur ein kleiner Bruchtheil der Herstellung zufällt. Zu weiterer Betriebssicherheit darf Niemand (außer den Setzern) während der Arbeitszeit (sieben bis fünf Uhr) das Gebäude verlassen, und muß Jeder die üblichen Erholungspausen innerhalb der genannten Räume verbringen, wie auch mit Rücksicht auf diese Maßregel die Einrichtung einer Speise-Anstalt aus dem Grundstück der Reichsdruckerei beabsichtigt wird, wo das Personal seine Mahlzeiten gegen einen verhältnismäßig billigen Preis einnehmen kann.

Jetzt öffnen sich die Pforten zu einem großen Oberlichtsaal, in welchem nicht weniger als neunzehn Schnellpressen sausen, um jene kleinen weltumfassenden Werthzeichen, Freimarken, beziehentlich Freicouverts und Postkarten herzustellen. Die dazu nötigen Stempel werden in weichen Stahl graviert, gehärtet und dann auf einer lithographischen Presse vervielfältigt. Auch auf dem Freimarkengebiet entwickelt die Direction in Folge vielfacher Mißbräuche eine erhöhte Thätigkeit, um Schädigungen der Post zu verhindern.

Bekanntlich wird vielfach die Entfernung des schwarzen Poststempels vorgenommen, um die Marke von Neuem zu verwerten. Solchen, übrigens recht gefährlichen Manipulationen wurde neuerdings durch die Direction Schach geboten, indem die Farbe der Marke auf einer besonders präparierten Schicht ruht, die im Wasser oder bei mechanischen Eingriffen sofort zum Verräter wird. Die Production der Postwerthzeichen hat einen erstaunlichen Umfang angenommen. Während des letzten Etatsjahres wurden hergestellt 750 Millionen Stück im Werthe von rund 84 Millionen Mark (täglich 2½ Million Stück, darunter 400,000 Stück Postkarten), 30 Millionen Wechselstempelzeichen und 24 Millionen Werthzeichen zur Erhebung der statistischen Gebühr. Um die Freimarken etc. mit dem nötigen (übrigens durchaus unschädlichen) Klebestoffe zu versehen, sind täglich 76 Pfund Gummi Arabicum erforderlich. Mittelst Schneidemaschinen erhalten die Postkarten das Format, und besondere Maschinen durchlöchern die Freimarkenbogen; im nächsten Augenblicke werden sie von Mädchenhänden verpackt, um an die Post abgeschickt zu werden. Zur Versendung dieser Werthzeichen wurden 1879/1880 16,024 Kisten im Gesammtgewichte von 542,613 Kilogramm, täglich also im Durchschnitt 53 Kisten von 1780 Kilogramm Gewicht benutzt.

Unsere Wanderung führt uns weiter in die Schriftgießerei, deren sämmtliches Material die Anstalt aus eigener Kraft stellt und das ein Gewicht von 6662 Centnern repräsentirt. Diese Vorräthe werden jetzt umgeschmolzen, um ein einheitliches System, das metrische, herzustellen, und wir sehen daher zu Tausenden die einzelnen Buchstaben entstehen; allenthalben rauscht und zischt es, und eine drückende Atmosphäre lagert über den Bleikesseln, welche stets bereit sind, jene unheimlich blitzenden Metallströme zu versenden; bei dem Abschleifen und Sortiren der Typen sind nur Frauen thätig. Besondere Pflege erfährt die Stereotypie, und die dazu verwendeten Platten bestehen aus feinen mit Schlemmkreide und Stärkekleister verbundenen Papierschichten, auf denen das flüssige Blei erstarrt, ohne Verbrennung zu hinterlassen.

Jene beiden, mit Wellblech gewölbten Setzersäle zu je 100 Plätzen dürften von manchem in schlechter Luft und fraglicher Beleuchtung arbeitenden Buchdrucker wegen ihrer ungewöhnlichen Dimensionen und fast blendender Lichtfülle mit stillem Neid betrachtet werden. Hier entsteht das amtliche Coursbuch in jährlich acht Ausgaben, wahren Meisterwerken der Setzkunst und Correctur, zu denen die Typen allein einen Werth von 27,000 Mark repräsentiren. Unser Blick bleibt auf einigen Ballen kunstvoll gedruckter Papiere haften, von denen nicht wenige wie Bücher und Menschen ihre bewegten Schicksale haben – es sind Actien nebst Talons und Coupons.

Durch Handschlag ist das Druckerpersonal verpflichtet, über die Herstellung jener Werthpapiere oder anderer Aufträge Schweigen zu bewahren – wir sind selbstverständlich ebenso diskret, betrachten aber sinnend diese Actienstöße, auf welche vielleicht schon jetzt die Börse als auf eine fette Beute lauert. Hunderte fleißiger Hände regen sich unbekümmert um das Schicksal oder die Bedeutung der hergestellten Drucksachen. Es befinden sich darunter Patentschriften, Beschreibungen neuer Erfindungen, die im Auftrage des Patentamtes in den Druck gegeben wurden, ferner die bekannte „Provinzial-Correspondenz“, Amtsblätter, Gesetzsammlungen, Druckarbeiten für den Bundesrath, das Herrenhaus etc. und Formulare für Post und Militär.

Wer je einen Blick in die Verwaltungsmaschine der beiden letzteren Staatsfactoren gethan hat, wird die Bedeutung und Unentbehrlichkeit der Formulare, der Seele des ganzen Organismus, verstehen; denn unter den jährlich von der Reichsdruckerei gelieferten hundert Millionen Bogen bildet sie einen bedeutenden Procentsatz. Von den für Post- und Telegraphenzwecke gelieferten Drucksachen, für die 1879 und 1880 an Herstellungskosten 1,440,900 Mark gezahlt wurden, entfielen auf Druckformulare 14½ Millionen Bogen und 28 Millionen Stück in Heften oder Karten.

Unsere Wanderung führt uns weiter durch Säle für Steindruck zur Herstellung von Karten etc. nach dem fast nur in den Dienst der reproducirenden Kunst gestellten photographischen Atelier. Hier erregt ein in Deutschland früher nicht angewendetes Kupferlichtdruckverfahren (vergl. „Gartenlaube“ Jahrg. 1878 Nr. 50) unsere ganze Aufmerksamkeit; durch dasselbe werden die Originale von Zeichnungen, Drucken etc. auf photographisch-galvanischem Wege derart auf eine Kupferplatte übertragen, daß das Bild, in ähnlicher Weise wie durch den Grabstichel, sich vertieft in die Platte einprägt und von der letzteren als Kupferstich abgezogen werden kann. Die Originalzeichnung wird dabei in größerer Schärfe und Reinheit, als durch den gewöhnlichen Steinlichtdruck wiedergegeben, ein Verfahren, von dem namentlich auch seitens der Verwaltung der königlichen Museen in Berlin, und zwar für die Herausgabe des Jahrbuches der königlich preußischen Kunstsammlungen, Gebrauch gemacht wird. Nachdem wir auch noch die Buchbindereisäle durchwandert haben, wird uns schließlich gestattet, Einsicht von dem Haushalt des Instituts zu nehmen. Im Etat für 1881 und 1882 ist die Einnahme mit 3,253,500 Mark, die Ausgabe mit 2,191,980 Mark, der Ueberschuß mit 1,061,520 Mark vorgesehen. „Es ist mit Zuversicht zu erwarten“, so schließt ein Actenstück des Archivs für Post und Telegraphie, herausgegeben im Auftrag des Reichspostamtes, „daß das Institut auch ferner sich gedeihlich entwickele.“ Möge dem so sein!

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_427.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)