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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Wunsch und Sehnsucht gewesen war, fing an, feste Gestalt zu gewinnen; der Zweifel, ob sie ihn wirklich lieben könne, war der einzige in seiner unverdorbenen Seele gewesen; war dies aber möglich, dann mußte ja alles Andere von selbst kommen. Der Ausdruck dieser glücklichen Zuversicht leuchtete rein aus seinen Augen, als er ihre Frage mit Freuden bejahte, dann schritten die Beiden, scheinbar gleichgültige Reden tauschend, die kurze Strecke nach dem Hause zu – ein so für einander geschaffenes Paar, daß es kein Wunder war, wenn auch Herr Nordstetter auf diese naheliegende Idee verfiel und eine sehr unangenehme Empfindung darüber in sich aufsteigen fühlte.

Der „junge Mensch“ kam ihm heute bedeutend eingebildeter vor, als er ihn von gestern in der Erinnerung hatte. Als er an der Thür nun gar von Leontinens Lippen ein heiteres „Adieu denn, halten Sie sich in einer Viertelstunde bereit!“ vernehmen mußte, und Erich's enthusiastischen Abschiedsblick auffing, da kostete es ihn alle Mühe, mit gewohnter Höflichkeit den Hut zu lüften, und erst drinnen im Salon der Fürstin, wo er sich mit aller möglichen Auszeichnung behandelt fühlte, kamen die aufgeregten Wellen seines Inneren wieder zur Ruhe.

Aber noch zwei anderen Augen war der Anblick der Beiden ein stechender Dorn gewesen. Die arme Nina hatte sich, als die Gesellschaft an ihnen vorüberschritt, fester gegen die Mutter geschmiegt und mit allen Qualen der plötzlich erwachten Eifersucht die vornehme Dame und Erich’s strahlende Mienen betrachtet.

„O, wie schön sie ist!“ flüsterten ihre Lippen leise der Mutter zu, die zärtlich bekümmert mit der Hand über die glänzend braunen Flechten ihres Lieblings strich. Keine von Beiden sprach lange Zeit mehr ein Wort. Bartels aber, der gleichfalls seine Augen bei sich hatte und recht ausgezeichnete Ohren dazu, nahm den zurückkehrenden Erich unter den Arm und sagte ihm, als sie am Ende des Gärtchens angekommen waren.

„Höre, mein Junge, was ich gerade dem Mondkalb da drinnen gesagt habe, das gilt nicht für Dich! Wenn ich mir Deinen verklärten Habitus betrachte und diese herzlose Aristokratenschönheit und den Baron von Habenichts dazu, dann kann ich mir nicht verhehlen, daß Du auf dem besten Wege scheinst, eine große Dummheit zu machen, und das sollte mir um Deinetwillen leid thun.“

„Ich danke Dir für Deine Warnung,“ erwiderte Erich mit verstelltem Ernst, „sie ist aber, wie Du mir glauben kannst, gänzlich überflüssig.“

„Jawohl, o ja! Das kann ich mir denken, es wäre auch das erste Mal, daß Einer darauf hörte. Die Sirenen sind ja sehr angenehme Frauenzimmer, und tiefer als bis auf den Knochen kann man sich nicht verbrennen, und es ist übrigens –“

Er sah sich um und bemerkte, daß Erich sich aus dem Staube gemacht hatte, was ihn veranlaßte, seine Predigt ohne weitere Ceremonie zu beschließen. –

Herrn Nordstetter’s Aerger in dem Gärtchen der Casa Bertucci sollte für jenen Nachmittag nicht sein einziger bleiben. Wohl strahlte die Sonne vom blauen Frühlingshimmel auf die bereits im buntesten Flaggenschmuck prangende Stadt hernieder und schnitt die Prachtornamente der alten Palastfacaden scharf wie mit dem Messer aus tiefen Schatten heraus, wohl war es ein entzückendes Gefühl, in der Gondel auf dem großen Canal dahingleitend, jeden einzelnen dieser Wunderpaläste langsam heranziehen zu sehen und beim Klang ihrer stolzen Namen der großen Vergangenheit zu gedenken, zugleich aber auch den Athemzug seiner eigenen modernsten Gegenwart in dieser wonnevollen Luft als süßen Genuß zu empfinden; aber zu alledem gehört größere Harmlosigkeit, als sie einem Manne beschieden sein kann, der seinen vierten Gondelplatz extra deshalb eingenommen zu haben schien, um sich von seinem glücklichen Rivalen einen unfreiwilligen Cursus in der Eroberungskunst ertheilen zu lassen, und dazu noch in Anbetracht der Umstände bescheidentlich schweigen muß. Denn das seit dem Dogenpalast, wo sie gerade herkamen, zwischen Erich und Leontine geführte lebhafte Gespräch über die Kunst der Renaissance hatte für Herrn Nordstetter der Klippen und Untiefen zu viele, als daß er sich hätte hineinwagen mögen, außerdem waren die Worte gänzlich unverfänglich, aber der Ton! – der Ton, welcher das unbedeutendste Wort zum Liebesgeständniß macht, war in den Reden, und Herr Nordstetter bemerkte sehr wohl den großen Gegensatz zu Leontinens gleichgültigem Accent ihm gegenüber.

Trotz allen Aergers, den ihm dies verursachte, schien sie ihm gerade in dieser bezaubernden Heiterkeit begehrenswerther als je, und der Vorsatz, die Sache rasch und energisch zur Entscheidung zu treiben, wurde mächtig in ihm. Von einer ernsthaften Rivalität dieses Menschen konnte ja doch keine Rede sein, aber es war jedenfalls Zeit, zu enden.

Der morgende Tag mußte ihn um ein großes Stück weiter bringen; noch vor einer Woche hätte der reiche Mann nicht gedacht, daß ihm mit der Einladung dieses unbedeutenden russischen Fürsten ein solcher Gefallen geschehen könne. Dorthin fand der Maler keinen Zutritt, wogegen er selbst Gelegenheit haben würde, sich bei den Einzugsfeierlichkeiten an Leontinens Seite als Berechtigter zu zeigen und den Rest des Tages auf bestmögliche Weise für seine Absicht zu nützen. Abends Feuerwerk auf dem Meere, eine Gondel zu Zweien im richtigen Augenblick genommen, es konnte nicht fehlen; und übermorgen mochte dann der junge Herr sehen, wie er seinen Glückwunsch anbrachte.

So weit war er in seinen Ueberlegungen gekommen, als man eben den Eingang der Akademie überschritt und in die Säle der alten Kunst eintrat; Nordstetter’s Gesicht sah so erheitert aus, daß Erich auf den Gedanken kam, es möge sich am Ende unter der nüchternen Außenseite des Banquiers einer der unbegreiflichen Enthusiasten für die Malerei aus der Zeit vor Rafael verbergen, welche Einem zuweilen unter der weltlichsten Hülle plötzlich aufstoßen. Er richtete eine darauf bezügliche Frage an ihn, welche jener, rasch gefaßt und in Erinnerung der anständigen Langeweile, die er in allen Hauptmuseen des Continents erduldet hatte, mit einem gedehnten „O ja – gewiß!“ beantwortete. Aber Leontine rief lachend dazwischen:

„Nein, nein, machen wir, daß wir aus der Region des Goldgrundes hinaus und zur Assunta kommen! Den Goldgrund kann man hier entbehren, hier in Venedig, wo Alles von Leben und Schönheit strahlt und die wunderbaren Tizian’s von allen Wänden niederschauen.“

„Da haben Sie den wunderbarsten von Allen,“ sagte Erich, ein paar Stufen in den Saal der Assunta heruntertretend.

Lange Minuten verstummte jedes Gespräch vor der überwältigenden Herrlichkeit dieses Eindrucks. Der Baron saß auf einem der bereitgestellten Stühle und genoß mit halbgeschlossenen Augen, voll kennerhafter Gourmandise. Nordstetter, auf einem andern, studirte anscheinend gewissenhaft das rothe Buch und warf von Zeit zu Zeit einen Blick zu der Rampe, die das Bild vom Saale trennt, hinüber, wo Erich und Leontine wortlos neben einander standen. Die Augen hatten Beide auf das leuchtende Farbenwunder vor ihnen geheftet, und sie glaubten auch, sich allein damit zu beschäftigen Aber die neue Wonne des Glückes, welche sie den ganzen Tag über durchdrang und alles Gesehene und Genossene mit einem ganz eigenen Zauber umfloß, sie entsprang nicht aus Tizian’s berauschender Farbenglorie, sondern aus der süßen Gewißheit des noch unausgesprochenen Einverständnisses, welches jeden Blick von einem Auge in’s andere zu einer stummen Liebesbotschaft macht und vielleicht die schönste Tageszeit der Liebe ist.

Leontine hatte die schmale Hand im hellen Handschuh leicht auf die Rampe gestützte Erich konnte der Versuchung nicht widerstehen und berührte ein paar Secunden lang mit seinen Fingern leise und unbemerkt die ihrigen. Sie fühlte es wie einen elektrischen Funken – aber es erfolgte keine Zurückweisung. Im Gegentheil, wie magnetisch gezogen kehrten sich die beiden schönen Augenpaare einander zu, und ein langer stummer Blick voll leidenschaftlicher Bitte und kaum verhüllter Gewährung wurde getauscht, ohne daß die Anderen es bemerken konnten.

So verfloß Beiden der Rest des Tages in dem Genuß der Herrlichkeit dieser einzigen Stadt. Strahlte das ganz ungewohnte selige Wärmegefühl aus Erich's blauen Augen oder wuchs es langsam aus den Denkmälern dieser reichen und freien Lebensschönheit empor – Leontine hätte es nicht zu sagen gewußt, aber sie gab sich ihm rückhaltslos, wie sie es selbst nicht für möglich gehalten hätte, und mit absichtlichem Vergessen alles Anderen hin. Wie die Gondel, welche sie und ihre Liebe trug, über den Wassern, so schwebten die Empfindungen der Beiden hoch über dem alltäglichen Leben. Künstlerisches Entzücken, Wonne des gegenseitigen Anblicks und ein Gefühl, als müßten nun immer noch goldenere Tage folgen bis in's Unabsehbare – alles das zusammen schuf den überwältigenden Rausch, der das Leben plötzlich zu ungeahntem Werthe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 424. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_424.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)