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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

müßten furchtbar unglücklich werden … Ich will nicht von mir sprechen,“ fuhr er, näher tretend, mit leidenschaftlichem Tone fort, „ich darf es heute noch nicht, und Sie müssen auch ganz frei sein, um diese Erbärmlichkeiten von sich zu stoßen. Sehen Sie hinaus!“ er deutete auf das strahlende Leben draußen „drei Tage nur in dieser Luft voll Freiheit und Schönheit – und Sie sollen den Gedanken unmöglich finden, Ihre Seele der F…er Börse zu verkaufen.“

Leontine, die nicht leicht über Etwas erstaunte, fand doch diese Sprache ihres neuen Freundes höchst wunderbar und noch wunderbarer, daß sie selbst keine Regung des Zornes darüber empfand.

„Verzeihung, daß ich so spreche!“ setzte er rasch hinzu, indem er ihre Hand faßte und an seine Lippen zog, „ich konnte nicht anders. Seien Sie mir nicht böse darum!“

Sie war ihm nicht böse – im Gegenteile sie empfand es als eine Art von Erleichterung, ihm, was auch später kommen mochte, die Wahrheit über sich gesagt zu haben. Sie war nicht immer so scrupulös gewesen, wo sie sich überschätzt fühlte … aber dieser war auch anders, als die Anderen … und daß er trotzdem im Banne ihres Lächelns blieb, wußte sie gut genug.

Deshalb erhob sie mit der kinderhaften Unbefangenheit, welche bei ihrer großen Schönheit gefährlicher wirkte, als alles kokette Schmachten, die Augen und sagte in reizend freimütigem Tone:

„Sie sind gut und mein Freund, deshalb dürfen Sie mir sagen, was Sie wollen. Bessern werden Sie mich schwerlich; ich fürchte, ich bin unheilbar. Aber,“ fuhr sie rasch fort, als er Einsprache thun wollte, „ich will Ihnen versprechen, hier in Venedig sehr artig zu sein und mich von Herzen glücklich zu fühlen. Es sieht auch wahrhaftig jetzt schon Alles ganz anders aus, als heute Morgen, wo ich da draußen saß. – Wollen wir uns heute auf dem Marcus-Platze zum Beginne der Wanderung treffen? Ich will Ihnen nur gestehen, daß ich noch gar nichts gesehen habe, es war mir – nun einerlei, aber meine erste Fahrt hier möchte ich mit Ihnen thun.“

Dann hatte sich Erich – natürlich mit einem „Ja!“ verabschiedet; dann war er gegangen – – der süße Klang von Leontinens Worten tönte noch immer in ihm nach; er lebte auch jetzt in seinem Herzen, jetzt, während er im „Grand Hotel“ ruhlos, rastlos auf und ab schritt; ja dieser Klang übertönte Alles, was sich sonst von Mißklängen darin regen wollte, und hielt auf seinen Lippen das glückliche Lächeln fest, das Frau Erminia von ihrem Lehnstuhle aus beobachtete. Ninette saß neben ihr auf einem Schemel; die Sonnenlichter spielten durch das Epheudach über ihr gesenktes Köpfchen und die kleinen, fleißig arbeitenden Hände hin; dann und wann unterbrach sie sich, um die Hand der Kranken zu fassen, ihr mit den warmen, liebevollen Augen in’s Gesicht zu sehen und in leisen Schmeicheltönen nach ihrem Befinden zu fragen. Zwischendurch blitzte auch wohl einmal ein halb unwilliger Blick zu dem hartnäckigen Spaziergänger hinüber, der offenbar heute Nachmittag gar keine Augen für seine ehemalige kleine Freundin hatte; früher, wenn er so brütend stillschwieg, war sie freilich stets ohne Umstände zu ihm gelaufen, nur seine Hand zu fassen, und hatte solange mit ihrem unermüdlichen Zünglein fortgeplaudert, bis er Notiz von ihr genommen und sich nun seinerseits in tausend übermütigen Possen ergangen hatte. Aber jetzt war sie ein großes Mädchen, und er - er dachte offenbar mit keinem Gedanken mehr an sie; er sprach ja nur noch so im Vorbeigehen mit ihr. Früher hatte er sie oft genug mit dem Scherz geneckt: sie sei nicht nur eine halbe, sondern eine ganze Deutsche, wodurch er das Kind stets zu so hellen Zornesausbrüchen gereizt hatte, daß sie mit funkelnden Augen ihr Italienerthum verteidigt hatte. Heute wäre diese Neckerei besser am Platze gewesen als damals; denn das leise Herzweh, das sich nur vermehrte, je länger Erich’s ahnungslose Unbefangenheit dauerte, sah sehr germanisch aus den dunkeln, träumerischen Augen Ninette’s hervor.

Es war so still in dem Gärtchen, daß man aus dem Atelierfenster deutlich Bartels’ schallende Stimme hörte; er war eben im besten Zuge, einem jungen Polen „heimzuleuchten“, welcher nicht, wie die Anderen, vor seinen unmenschlichen Grobheiten Reißaus nahm, sondern dieselben jeder Zeit unerschütterlich gelassen anhörte und mit einer unbegreiflichen, wenn auch etwas apathischen Zärtlichkeit vergalt. Im Augenblicke lag der blasse Jüngling mit halbgeschlossenen Augen auf dem alten Sopha und bemühte sich, den herumschießenden dicken Bildhauer von seinen Angriffen gegen einen dünnbeinigen Perseus abzulenken, der auf der Drehscheibe wie am Pranger stand.

„Das afficirt mich Alles nicht,“ sagte er schmachtend, „ich habe heute schon viel schlimmere Dinge erlebt. Wenn Sie wüßten, was ich für eine große Dummheit gemacht habe!“

Bartels blieb stehen. „Bilden Sie sich nichts ein, mein Bester!“ sagte er, aus seinem groben Tone fallend, beinahe zärtlich; „zu einer großen Dummheit muß man gescheidter sein, als Sie, das bringt nicht Jeder fertig.“

„Na, hören Sie nur einmal –“

„Hab’s gehört,“ schrie nun der Alte, „war am Fenster oben, wie Sie unten bei der Kleinen abgefahren sind, mit Ihren einfältigen Redensarten – geschieht Ihnen gerade recht. – ‚Eine große Dummheit‘ – was der Mensch sich nicht Alles einbildet! Beethoven hat Dummheiten gemacht, und Michel Angelo hat sie gemacht, und – andere Leute ebenfalls,“ führ er mit einem selbstzufriedenen Bartstreichen fort, „aber Sie und Ihresgleichen, Ihr bringt es höchstens zu einer rechten Eselei; zu einer großen Dummheit habt Ihr nicht das Zeug.“

„Bartels!“ rief in diesem Augenblicke Erich, der den Zusammenhang rasch begriff, vom Fenster her, um den Frauen die weitere Erzählung zu ersparen „Bartels, komm doch einmal heraus! Man hört ja sein eigenes Wort nicht vor Deinem Gebrülle.“

Und als das rothe Gesicht unter der weißen Mütze auf der Schwelle erschien und mit dem Ausdrucke des tiefsten Seelenfriedens den blauen Frühlingshimmel und die Blütenflocken der Bäume ansah, faßte der junge Mann rasch nach dem Knopfe des staubigen Atelierkittels und sagte, indem er den Alten mit sich in den Lorbeergang zog:

„Höre, Bartels, wie wäre es nur zu machen, morgen im Vorderhause auf der Terrasse einen Platz für den Einzug der Majestäten zu bekommen?“

„Geht nicht, mein Sohn, geht nicht!“ erwiderte Bartels eifrig, „der ganze Piano ist an den Fürsten J. vermietet. Du kennst ja diese Aristokraten – steifes Volk! Man kann da nicht so ohne Weiteres einfallen.“

„Es läge mir viel daran,“ fuhr Erich zögernd fort, „es sind Fremde da –“

„Meine Stube im zweiten Stocke steht Dir zur Verfügung,“ sprach Bartels großmütig. „Etwas eng zwar wird’s werden; es kommen schon ein Stücker zehn, ungerechnet die Padrona und Ninette.“

„Nein, nein,“ wehrte Erich ab, „das ist unmöglich; es ist eine Dame dabei. Wie mache ich das nur?! – Sie wohnen in der Riva, ziemlich weit von der Piazetta; also können sie den Einzug von ihren Fenstern nicht sehen – aber Himmel!“ rief er mit einer plötzlichen Bewegung, „da ist sie ja selbst.“

Er sah im höchsten Erstaunen unter der offenen Gartenthür den wohlbekannten kleinen schwarzen Hut erscheinen und darunter zwei lachende Augen, die sich an seiner sprachlosen Verwirrung weideten. Baron Willek und Herr Nordstetter traten hinter ihr ein; der Erstere fragte mit einem zweifelhaften Blicke auf das winkelige Mauerwerk.

„Sind wir hier wirklich in der Casa Bertucci? Der alte Antonio behauptet, dies sei der Eingang.“

„Er ist es wirklich, Herr Baron,“ erwiderte Erich, indem er sich tief gegen Leontine verbeugte. „Und wohnt hier Fürst J.?“ „Im Vorderhause; hier sind Ateliers und Wohnungen für bescheidener situirte Sterbliche. Darf ich Sie hingeleiten?“

„Bildhauer Bartels, wenn ich nicht irre?“ fragte der Baron, nochmals stehen bleibend.

„Zu dienen, Herr Baron! Ich hatte vor einigen Jahren das Vergnügen, Sie in meiner Werkstatt zu sehen.“

„Wohin Sie mir und meiner Tochter einmal wieder zu kommen erlauben, nicht wahr?“

Herr Bartels verbeugte sich stattlich vor Leontine, welche nach einem flüchtigen Gruß sich rasch zu Erich wandte und im Weiterschreiten flüsterte:

„Hab’ ich’s recht gemacht? Auf dem Marcus-Platz konnte ich Sie nicht halten; da fiel mir dieser Ausweg ein. Aber nun begleiten Sie uns in einer Viertelstunde und bringen den Rest des Tages mit uns zu, nicht wahr?“

Erich’s Herz ging in raschen Schlägen. Was bis jetzt nur

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 423. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_423.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)