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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

angehörte und auch nicht durch locale Aneignung, da er bis zu seinem Ende ein „Kosmopolit“ geblieben ist im besseren und auch im weniger guten Sinne dieses Wortes.

Der Literarhistoriker freilich hat es nicht leicht, dem Todten gerecht zu werden, wenn er nicht den Muth besitzt, sich Franz Dingelstedt in zwei Gestalten vor das Auge zu rücken, in der Gestalt des „Nachtwächters mit den langen Fortschrittsbeinen“, wie ihn einst Heinrich Heine nannte, und in derjenigen des Hofrathes und Barons Franz von Dingelstedt mit den zahlreichen Orden. Ja, für den Literarhistoriker ist eigentlich nur der „kosmopolitische Nachtwächter“ vorhandenen; denn in dem deutschen Schriftthume werden Dingelstedt’s Lieder in dem Maße Geltung behalten, als sie zur Physiognomie der politischen Lyrik gehören, jener politischen Lyrik, die vor vierzig Jahren das Zeichen und den Anstoß gab zu freierem Denken und Streben in Deutschland. Neben Herwegh und Prutz, Freiligrath und Hoffmann von Fallersleben hat Dingelstedt als Dichter seine Stelle; mit ihrem Andenken wird das seinige leben und sterben. Was er später an Gedichten und Romanen schuf, war rasch vergänglich. Aber um Gerechtigkeit zu üben, muß man die Persönlichkeit Dingelstedt’s psychologisch zu erfassen suchen, und tieferer Betrachtung zeigt sich dann auch schon in den Anfängen die Brücke, welche vom „kosmopolitischen Nachtwächter“ zum Hofrathe und Freiherrn hinüberführte.

Es hat vielleicht niemals einen geistreicheren Pessimisten gegeben, als Franz Dingelstedt. Er spottete über Alles und nahm sich selbst davon nicht aus. Als er, ein gemaßregelter Gymnasiallehrer im Hessenlande, zur Feder griff, war es die Misère der deutschen Kleinstaaterei, welche seinen Spott erregte; er geißelte sie in den „Liedern eines kosmopolitischen Nachtwächters“. Pathos und Humor, Gemüthstiefe und Verstandesschärfe vereinigten sich in diesen Liedern, um ihren Schöpfer mit Einem Schlage zum berühmten Manne zu machen. Damals war gar bald ein Märtyrer, wer in Deutschland ein aufrichtiges Wort öffentlich zu sagen wagte, und so wurde Dingelstedt fast ohne sein Hinzuthun zum gefeierten Dulder. Aber in dem hochgewachsenen, von dem heißen Bemühen um jedwede Art von Eleganz und Weltläufigkeit erweckten Manne hatte sich nicht sowohl der Schmerz über das politische Elend seines Volkes, als vielmehr die eingeborene Skepsis zum poetischen Ausdrucke durchgearbeitet. Diese Skepsis war es auch, welche wenige Jahre später denselben „Nachtwächter“ in der „Augsburger Allgemeinen Zeitung“ jene vernichtenden W. W.-Briefe (Wiener Währungsbriefe) schreiben ließ, in denen er mit gleicher Formvollendung in der Prosa die literarischen und gesellschaftlichen Zustände der nämlichen Stadt, die ihn jetzt so pietätvoll zum Grabe geleitet, erbarmungslos zersetzte.

Und wieder nach zehn Jahren war er Hoftheaterdirector, wobei es ihm nicht widerstrebte, die Formen des Hofmannes zu beobachten, obwohl unter der glatten Oberfläche stets von Neuem das Mißvergnügen über Alles und über Alle, über sich und die ganze Welt in den geistvollsten Aperecus hervordrang. Man hatte ihn eben mißverstanden, da man seine Nachtwächterlieder als politisches Glaubensbekenntniß angesehen, mißverstanden, da man in seinen Romanen und Novellen, in dem ersten Roman „Unter der Erde“, wie in dem letzten, „Die Amazone“, nichts als den selbstlosen Schaffensdrang einer genügsamen Dichterseele erblickt, mißverstanden endlich, da man ihn, weil er in Hofdienste trat und sich adeln ließ, des Abfalles beschuldigt hatte. Als Dichter von mehr formaler als schöpferischer Kraft, zum Politiker in jeder Beziehung untauglich, hatte er nichts gewollt und erstrebt, als kraft seines Geistes sich selbst eine bequeme Lebensbahn zu schaffen und allen Anderen, Groß wie Klein, Vornehm wie Bürgerlich, die Ueberlegenheit zu beweisen, welche sich aus dem Vereine einer blendenden literarischen Vielseitigkeit mit eleganter Weltläufigkeit ergiebt. Getäuscht hat er Niemanden als vielleicht sich selbst; denn es ist gewiß, daß er schließlich mit der Gestaltung seines Lebenslaufes keineswegs zufrieden war und daß er, je mehr ihm das Dasein sich neigte, sich selbst herber belächelte, als die Anderen. Soll man daraus einen Tadel herleiten, daß er nicht künstlich zu geben trachtete, was er von Natur aus nicht besaß? Daß er nicht sittliches Pathos, nicht politische Ueberzeugungstreue heuchelte, da sein ganzes Wesen ihn drängte, ästhetische Befriedigung zu suchen und in feinster Aeußerlichkeit, statt in formloser Vertiefung aufzugehen?

Die Menschen, welche mit ihm verkehrten, wissen, daß er sich selbst nicht verkannte. Es war ihm oft zum Weinen, während er lächelte, und wie alle Pessimisten konnte er wahrhaft grausam sein gegen die Anderen, die er tief unter sich zu sehen vermeinte, ohne daß ihm irgend welche böse Absicht die Worte eingab.

Ein Schauspieler kam, um sich zu beschweren, daß der Theaterdiener ihm alle Rollen abgefordert.

„Haben Sie ihm die Rollen gegeben?“

„Gewiß, Herr Director; er sagte: auf Befehl.“

„Nun, dann sind Sie ja außer aller Verantwortung.“

Heinrich Laube entwickelte ihm einst seine theatralischen Zukunftspläue mit feuriger Beredsamkeit. Dingelstedt hörte aufmerksam zu; dann unterbrach er plötzlich den Sprecher:

„Mir scheint, Sie nehmen die Sache ernst?“

Ein hervorragendes Mitglied des Burgtheaters kam, um Beschwerde zu führen, daß ihm ein anderes Mitglied eine Rolle weggeschnappt hatte. Kaum hatte er begonnen, so fiel Dingelstedt ihm in die Rede:

„Sie wollen mir Grobheiten sagen; da haben Sie Tinte, Feder und Papiere schreiben Sie Alles auf! Da können Sie mir mehr sagen, und Ihnen wird leichter werden.“

Der tägliche Verkehr mit großen und kleinen Schauspielern und Schauspielerinnen, die Sorge um die Scheinwelt der Decorationen und Coulissen sind eben nicht geeignet, die Anlage zum Spotte in einem hervorragenden literarischen Manne zu mindern, wie sie auch die dichterischen Gaben, die er besitzt, eher zu zerstöreu als zu fördern vermögen. Es ist kaum irgend etwas charakteristischer für das gleiche Maß von Ironie, mit welchem Dingelstedt sich selbst und die Anderen bedachte, als das Wort, das er einst einem Journalisten sagte, der von ihm für eine lobende Recension bedankt sein wollte: „Sie glauben gar nicht, mein Freund, wie viel Lob ich vertragen kann.“

Und trotz alledem war in diesem malitiösen Spötter bis in die letzten Tage seines Lebens ein stark patriotischer Zug, der bisweilen fast ergreifend zum Ausdrucke kam. Hatte die Politik ihm niemals unmittelbar die Seele bewegt, so wurde er sich doch in verstärktem Maße seines Deutschthums bewußt, da in diesen jüngsten Zeiten die Slaven in Oesterreich sich ungeberdig in den Vordergrund drängten, und in einer poetischen Mahnung an seine Enkel schrieb er halb stolz, halb müde:

„Ein babylon’scher Sprachenbrei,
Was soll Großvaters Deutsch dabei?
Doch Ihr erlebt, wenn’s Gott gefällt,
Daß deutscher Geist beherrscht die Welt.
Dann ruft Ihr hoch- und wohlgemuth:
In uns auch fließt das deutsche Blut.
Der Großpapa, nun manches Jahr
Schon todt, ein deutscher Dichter war.“

So geht, wie immer er auch beschaffen sein mag, durch des Dichters Herz der Riß der Welt. Und ein deutscher Dichter war Franz Dingelstedt trotz der Verwandlung aus dem „kosmopolitischen Nachtwächter“ in den österreichischen Baron. Die Orden und Decorationen vermodern mit seinem Leibe in dem kühlen Verließ unter der Erde, aber es wird ja nicht immer so sein, daß es einem Dichter als undeutsch erscheinen wird, in Oesterreich zu leben. Heute mag es diesen Anschein haben; denn es ist wenig Anlaß zu nationalem Stolze für die österreichischen Deutschen vorhanden. Doch der Dichter ist ein Prophet. Wenn’s Gott gefällt, so erleben die Enkel, daß deutscher Geist die Welt beherrscht - und ein liberaler deutscher Geist! Denn leider darf man sich nicht verhehlen, daß es eine illiberale Zeit war, die traurige Jugendepoche Dingelstedt’s, die Epoche der Blüthe des deutschen Bundes, welche manche glänzende Begabung nach kurzem Aufleuchten zerstörte oder von der rechten Bahn ablenkte. Sie ist verantwortlich für Alles, was Dingelstedt seinem Volke schuldig blieb. Er besaß, wenn wir ihm auch eine eigentlich schöpferische Kraft bereits absprachen, manches was zum Poeten gehört: ein wunderbares Formgefühl, eine leicht erregbare Empfindung, eine vortreffliche Darstellungsgabe, ein hohes Maß von Bildung – nur die Fähigkeit, zu dulden, fehlte ihm. Und gerade die mußte ein deutscher Dichter vor vierzig Jahren besitzen um nicht zu irren. Sie sind ja nun Alle todt bis auf Zwei, die in jenen Zeiten gesungen und gelitten. Innerhalb eines Jahrzehnts sind sie hingegangen, zuerst Prutz, dann Hoffmann von Fallersleben, Herwegh, Freiligrath, nicht „ohne Spur“, wie

Herwegh ergreifend klagte, aber allerdings mit „stückweis gebrochenem Herzen“. Nur Gottfried Kinkel lebt und Einer, der nicht ganz

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 415. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_415.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)