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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

und „Mich“ sprechen zu hören; denn gänzlich hat er die Muttersprache nicht vergessen, obwohl er des Lesens und Schreibens unkundig ist. Ich mußte unwillkürlich an unsern Feldmarschall Wrangel denken, als ich „Krüger Bey“ zum ersten Male sah.

Unsern Spaziergang fortsetzend, winden wir uns kreuz und quer durch die engen, doch sauber gepflasterten Gäßchen der Vorstadt mit ihren niederen, nach der Straße zu fensterlosen, meist einstöckigen Häusern; hier wohnen arme Leute. Dort in einer breiteren Gasse wird eine Art Nachmittagsbazar abgehalten; abgetragene Kleidungsstücke, zerbrochene, im Schutte aufgelesene Hausgeräthe, altes Eisen und tausenderlei werthlose Nichtigkeiten bilden die Verkaufsartikel; unter dem Publicum bemerken wir auffallend viele Soldaten, Lastträger und Neger. Trotz allen Gedränges und Lärmens herrscht eine gewisse Ordnung, aufrechterhalten nicht etwa durch Polizisten, sondern vielmehr durch Käufer und Verkäufer selbst. Nicht weit davon sehen wir einen großen Kreis Neugieriger auf einem freien Platze, und man macht uns gern Raum, als wir zu erspähen versuchen, was es hier Sehenswerthes giebt. Es ist ein Schlangenbeschwörer, welcher sich producirt; sein Gefährte begleitet die Vorstellung mit einer eintönigen Musik, welche er auf der zweisaitigen Guitarre hervorbringt. Der Zauberer hält bald mit ihm Wechselreden, bald spricht er zu den Umstehenden, fortwährend mit seinem halben Dutzend Schlangen von respectabler Länge beschäftigt; dann sucht er das nach seiner Versicherung giftigste Reptil aus und steckt dessen Kopf in seinen Mund: siehe da! es läßt ihn unverletzt. Er erzählt grausige Geschichten von der Gefährlichkeit dieser Schlangen, von durch ihren Biß Getödteten, von der ihnen innewohnenden Zauberkraft und ihrer übernatürlichen Weisheit. Wir werfen einige Charruben in den Kreis und setzen unsern Weg fort, um bald durch eine ähnliche Gaukelei aufgehalten zu werden. Hier erzählt ein wild aussehender, ärmlich gekleideter Mann dem Volke die Heldenthaten des Abd el Kader, und Alle lauschen seinen Worten mit gespannter Aufmerksamkeit; auch er hat einen Musikanten bei sich, der die kurzen Pausen mit Gesang und Spiel ausfüllt. Der Erzähler begleitet seine Rede durch entsprechende Gesten, wechselt oft seinen Platz, ja, springt umher, wenn er z. B. den Beginn des Kampfes mit der überlegenen Feindesschaar ausmalt, und kennzeichnet das Niederschmettern derselben durch unnachahmlich energische Armbewegungen.

Die Straßen werden ansehnlicher; die Häuser sind nun höher, reicher verziert, die Portale schön decorirt und die Thorflügel geschmackvoll geschnitzt. Dicht vergitterte Fenster lassen uns mit Recht vermuthen, daß sie zu den Frauengemächern, den Harems, gehören. Wir befinden uns in einem Stadttheile, der von vornehmen und reichen Arabern bewohnt wird. Allein bald ändert sich die Scene auf die crasseste Weise. Welch entsetzlicher Schmutz in den immer enger werdenden Gäßchen! Welch betäubende, widerliche Gerüche dringen uns aus den niederen Pforten entgegen! Kein Zweifel: wir befinden uns im Judenviertel. Den unglaublichsten Schmutz kann man als das auffallendste Merkmal dieses häßlichsten aller Stadttheile von Tunis bezeichnen. Die Männer sind ebenso gekleidet wie die Mohammedaner, doch viele der Jüngeren ziehen die europäische Tracht vor, nur die Scheschieh, die rothe Mütze mit langer Seidenquaste, beibehaltend, während die Weiber es lieben, sich mit den buntesten Farben aufzuputzen, und natürlich nicht verschleiert sind; das Familienleben concentrirt sich auf den Höfen der Häuser, doch ist auch da nicht viel Erbauliches zu sehen, und wir sind froh, alsbald bei Bab Carthagena auf die breite Straße zu stoßen, welche uns zum Marinethor zurückführt.

Prächtig sinkt die Sonnenscheibe im Westen hinab. Wunderbare Farben glühen am Horizonte, und ein leiser Seewind spielt in den Blättern der Palmen und Bananen, während von den Minarets die Gläubigen zum Gebete gerufen werden. Der Christ verläßt um diese Tageszeit nicht mehr sein Quartier, ebenso der Ebräer, und bald sind die Straßen wie ausgestorben: nur selten huschen eilige Gestalten durch’s Dunkel, der Herr seinem die Laterne tragenden Diener folgend. Nur ein Gebäude im Christenquartier, von außen unscheinbar und häßlich, vereinigt in seinen Sälen zuweilen die Blüthe der europäischen und einheimisch jüdischen Gesellschaft bis spät in die Nacht hinein; es ist das Local der „Società filarmonica“, einer erst seit Kurzem zum Zweck der Pflege der Tonkunst bestehenden Gesellschaft. Auch in zwei kleinen, doch eleganten Cafés befindet sich oft noch bis Mitternacht ein Kreis von späten Gästen, und selbst die Araber kommen dorthin gern und häufig; mit dem Biere, welches sich nunmehr schon bis an die Grenzen der Wüste Bahn gebrochen, haben sie sich allerdings noch nicht befreundet; der Wein ist ihnen verboten, und öffentlich scheuen sie die Uebertretung dieses Verbots; so halten sie sich denn an Mastica, wie sie Anisette benennen, an Wermuth und vielerlei andere Arten Liqueur.

Wie rauh ist Tunis durch die politischen Vorgänge in diesem Jahre aus seiner Ruhe aufgerüttelt worden! Welchem Schicksal geht es entgegen? Diese Frage bewegt alle Gemüther, und der Araber kann und will es nicht glauben, daß sein Loos dasselbe werden solle, wie dasjenige der Stammesgenossen jenseits der algerischen Grenze. Er ist stolz auf sein Tunis, die herrliche Jungfrau, welche schon oftmals umworben wurde, doch „immer frei bleiben wird“. Vielleicht straft die Vorsehung diesen Glauben Lügen, und wiederum verschwindet ein Stück Originalität vom Erdboden.

P. R. Martini.




Das neue kaiserliche Paket- und Zeitungspostamt in Leipzig.


Um sich eine Vorstellung zu machen von der riesigen Thätigkeit der deutschen Reichspost, braucht man sich nicht die Rechnungsabschlüsse eines Jahres mit den stolzen Zahlenreihen von Hunderten von Millionen zu vergegenwärtigen; ein viel anschaulicheres Bild von dem imposanten Thätigkeitsgebiete der deutschen Reichspost gewinnt man, wenn man eine ganz kurze Spanne Zeit festhält und innerhalb des so gewonnenen Kreises die kolossale Arbeit des rastlos wirkenden Apparates überblickt. In einer Minute versendet die deutsche Reichspost bei Tag und Nacht 2247 Briefe, 1072 Zeitungsnummern, 57 außergewöhnliche Zeitungsbeilagen, 198 Pakete, 125 Postanweisungen, 10 Postauftragsbriefe und 21 Postnachnahmen; in jeder Secunde gehen von der deutschen Post nicht weniger als 55 Sendungen ab. Das ist der gewaltige Verkehr, wie er sich bei dieser Reichsanstalt im verflossenen Jahre gestaltete, und der gegenwärtig noch immer im Wachsen begriffen ist.

In hervorragender Weise tritt nun Leipzig in diesem Postverkehre auf; denn es nimmt nach der Reichshauptstadt Berlin im Verhältniß zu seiner Einwohnerzahl den ersten Rang unter den deutschen Postanstalten ein. Allein durch seinen Zeitungspostverkehr – es werden jährlich circa 10 Millionen Zeitungsnummern abgesetzt – übertrifft es Länder wie Griechenland, Portugal, Norwegen etc. Sein Postwesen ist in den letzten Jahren geradezu riesig gewachsen.

Bis zum Jahre 1863 bestand in Leipzig eine einzige Postanstalt, das „Königliche Oberpostamt“ am Augustus-Platz, welches, in den Jahren 1836 bis 1838 erbaut, anfangs Raum genug bot, um außer den Post- noch verschiedene andere sächsische Behörden aufzunehmen. Der Postverkehr wuchs aber, besonders seit 1871, in welchem Jahre die „Deutsche Reichspost“ entstand, derartig, daß das große Postgebäude, trotz mannigfacher Erweiterungsbauten, nicht mehr genügte. Es mußten in den verschiedenen Stadttheilen Zweigpostanstalten errichtet werden,[1] aber auch diese reichten nicht

  1. Wie groß trotzdem der persönliche Verkehr des Publicums im Hauptpostamte blieb, davon giebt eine Zählung, welche vom 21. bis mit [412] 23. April 1873 vorgenommen wurde, den deutlichsten Beweis. Es betrug die Zahl der in diesen drei Tagen an den Schaltern etc. behufs des Postverkehrs erschienenen Personen 18,289, also durchschnittlich für einen Tag 6069 Personen.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 411. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_411.jpg&oldid=- (Version vom 4.1.2021)