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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Und trotzalledem wollen diese Sachsen ihr Deutschthum nicht aufgeben, wollen sie ihr höchstes Glück, das Glück deutscher Bildung, deutschen Geistes, deutscher Sprache sich und ihren Kindern erhalten, wollen sie sich nicht in geistige Leibeigenschaft zwingen lassen.

Auch Oscar von Meltzl erklärt, daß die Erhaltung der Nationalität den einzigen Zielpunkt der sächsischen Politik bildet und die Sachsen, wenn es gilt die Nationalität zu retten, lieber gewillt sind die Freiheit zu opfern. „Die verlorene Freiheit,“ sagt er, „kann wieder erlangt oder zurück erobert werden, die verlorene Nationalität nie.“

Können und dürfen wir Deutschen im Reich einem solchen Heldenkampf von 200,000 Deutschen um ihr Deutschthum theilnahmlos zusehen? Darf sich der bequeme Einwurf breit machen: „Sie sind doch unrettbar verloren!“? Wer wollte behaupten, daß sie verloren sind? Hat Jemand in Deutschland geglaubt, daß die Lothringer zwischen Metz und Luxemburg je wieder deutsch würden? Sie waren in Deutschland längst vergessen und aufgegeben – und doch haben sie, ohne die Hülfe deutschen Unterrichts in der Schule, am Deutschen in der Familie festgehalten, wenn auch nur in ihrer Mundart. Ja, in jenen Bauerköpfen hielt man fester daran, als im Reich selbst, denn während unsere Landkarten längst nur ein „Thionville“ und „Nancy“ kannten, hörte der Verfasser dort aus dem Munde des Volks noch das alte „Diedenhofen“ und „Nanzig“ nennen. Die Nachkommen der Cimbern (Sette communi) bei Verona sprechen noch heute deutsch und die Sprachinsel von Gottschee, so getrennt von Deutschland, wie das Sachsenland, hat sich sein Deutsch erhalten. Wer deutsch bleiben will, der bleibt es! Und unsere Sachsen wollen deutsch bleiben.

Und thun sie etwa nicht recht daran? Sind wir nicht selbst überzeugt, daß unsere Nationalität es Werth ist, für sie das Aergste zu leiden und das Schwerste zu opfern?

Und wenn unsere Sachsen ihr deutsches Volksthum, deutsche Sprache und deutsche Bildung nur für ihr Haus, für die Familie retten, ist es nicht ein deutscher Gewinn, daß dort die Väter ihre Söhne zu braven deutschen Männern, daß die Mütter ihre Töchter zu guten deutschen Frauen erziehen? Das wollen sie, und unsere Pflicht ist es, ihnen dazu alle Hülfe zu bieten, die uns möglich ist. Deutsche Waffen braucht das Volk, deutsche Geisteswaffen – und daran ist in Deutschland Vorrath, ja Ueberfluß genug, um nicht damit kargen zu müssen.

Es gilt vielleicht nur, die Bitte öffentlich auszusprechen – und die Hülfe ist da. Darum sei hiermit gebeten: Erstens um Unterstützung der siebenbürgisch-sächsischen Presse. Die entschiedenste Kampfzeitung: „Das siebenbürgisch-sächsische Tageblatt“, das in Hermannstadt erscheint, sollte in keinem Lesecirkel, in keinem Zeitungszimmer des deutschen Reiches fehlen. Unsere guten politischen Blätter sollten in Tauschverhältniß mit siebenbürgischen treten, schon um die Nachrichten von dort für uns immer so frisch und vollständig wie möglich zu erhalten. Auch würde die Sendung von Freiexemplaren guter, auch illustrirter Zeitschriften aller Art für die dortigen Volksbibliotheken hoch willkommen sein.

Die zweite Bitte wendet sich an den deutschen Buchhandel, namentlich an die Herren Verleger. Wenn sie einen prüfenden Blick auf ihre Vorräthe werfen, so finden sie gewiß Bücher und Schriften belehrenden und erhebenden Inhalts, die sie ohne schweren Verlust entbehren und welche zu Quellen der Bildung und nationalen Ermuthigung für das vom deutschen Geisteswaffenplatze so hart geschiedene Völkchen werden können. Aber auch Private, die im Besitze bedeutender Bibliotheken sind, sichten nicht selten ihre Vorräthe: sollte sich dabei nicht manches Geeignete für den Bildungsstand unserer Sachsen finden, den man bei den trefflichen ehemaligen Schulen in der gegenwärtigen Generation ja nicht zu tief stellen darf?

Endlich richtet sich die dritte Bitte an die deutschen Kinder. Was sie zu leisten vermögen, haben sie vor elf Jahren gezeigt, als sie mir so freudig, so vaterlandsbegeistert halfen, den armen Kindern in Elsaß und Lothringen den deutschen Weihnachtsbaum als Versöhnungsgruß in’s wiedergewonnene Land zu bringen. Viele von denen, die damals Kinder waren, sind jetzt junge Männer Und Frauen, aber um so wärmer können sie die glücklichen Kleinen des Hauses ermahnen, ihren Vorrath von reizenden Bilder- und Märchenbüchern mit den armen sächsischen Kindern zu theilen. Wie dankbar würde Alt und Jung für solche Gaben der Liebe und der Freude dem alten großen Vaterlande sein! Nur um so treuer würde es sich an seinem Geiste erheben! Wer weiß – wenn einst auch diese Kinder der Gegenwart zu deutschen Männern und Frauen erwachsen sind – wie viel Uebermuth dann schon zu Schanden geworden ist!

Zum Schluß noch einen geschäftlichen Wink: Wer nicht einen Freund oder Bekannten im Sachsenlande hat, an den er seine Gaben richten kann, der benutze als Adresse die Firma der Buchhandlung von F. Michaelis in Hermannstadt! Seine Sendung kommt dann immer in die rechte Hand.

Möchten Alle, die nicht zu den Vaterlandslosen gehören, sondern für alles Deutsche ein treues Herz haben, diese Bitten nicht blos lesen – sondern sofort zur That schreiten! Es thut dringend noth, daß unsere jetzt von aller Welt verlassenen Sachsen recht bald erfahren, daß die Nation des deutschen Reiches bereit ist, ihnen in ihrem schweren Kampfe wenigstens mit ihren geistigen Waffen beizustehen.

Friedrich Hofmann.




Blätter und Blüthen.

Vom Lande der Glaubenseinheit. Aus Südtirol, von den rebenbekränzten Abhängen der Etsch und Eisack und allen darein mündenden kaum weniger romantischen Seitenthälern, dringen heute wiederholte Klagen über die stetig wachsende Armuth der ländlichen Bevölkerung, insbesondere der Weinbauern, häufiger denn je in die Oeffentlichkeit. Sämmtliche Berichte stimmen darin überein, daß die wachsende Armuth des Kleingrundbesitzes hauptsächlich auf das stramme Kirchenregiment zurückzuführen ist, welches durch starre Festhaltung der vielzähligen Feiertage die sonst betriebsamen Bewohner vom Landbau weit mehr zurückhält, als mit dem materiellen Wohle des Volkes sich verträgt.

Wer da weiß, daß in diesem glaubensfesten Berglande jeder Kirchentag nach gottesdienstlicher Feier auch dazu benutzt wird, leiblichen Genüssen zu fröhnen, den darf es nicht Wunder nehmen, wenn der verarmte Bauer behauptet, durch solche Gebote seiner heiligen Kirche vom eigenen Dienstgesinde allmählich aufgezehrt zu werden. Ein seit urdenklichen Zeiten überkommener Gebrauch bestimmt, daß den Dienstleuten an jedem Sonn- und Feiertage ein mehr als zuträgliches Maß Wein vom Dienstgeber verabreicht wird.

Nun werden auf den sonnigen Südabhängen der Tiroler Alpen außer den zweiundfünfzig Sonntagen auch noch die zweiundfünfzig Freitage des Kalenderjahres als kirchliche Bußtage und überdies sechszehn hohe Feiertage der Kirchenpatrone, Landespatrone, Kirchweihen etc., im Ganzen hundertzwanzig Tage, oder mit anderen Worten: der dritte Theil des Jahres, gottesdienstlich gefeiert.

Sehen wir uns ein wenig genauer an, was eine so fromme Sitte, die an den Feiertagen in unmäßigem Beten, Essen und Trinken gipfelt, für das Volkswohl bedeutet! Der Mai ist in diesen Gebirgsgegenden ein besonders günstiger Arbeitsmonat für Weingärten, Wiesen und Felder, der in Folge der Vegetationsentwickelung naturgemäß die angespannteste Thätigkeit erfordert. In den genannten Monat des vergangenen Jahres fielen fünf Sonntage, und zwar am 2., 9., 16., 23. und 30., vier Feier- und Freitage den 7., 14., 21. und 28., drei hohe Kirchenfesttage, die Himmelfahrt am 6., der Pfingstmontag am 17., das Frohnleichnamsfest den 27., drei Bitttage am 3., 4, und 5. Mai und endlich zuguterletzt ein Kirchenpatronfest, St. Bonifaz, am 14. Mai. – Demnach bestanden einunddreißig Maitage in Welsch-Tirol: aus sechszehn Feier- und fünfzehn Arbeitstagen.

Solchen mittelalterlichen Gebräuchen folgt der volkswirthschaftliche Verfall freilich auf dem Fuße; es ist nicht abzusehen, daß für die nächste Zukunft von dem tiroler Volke selbst eine Besserung dieser Verhältnisse werde angestrebt werden, und das zeither geübte geistliche Regiment hütet sich wohl, das Gemeinwohl durch eine Neuerung im Sinne ökonomischer Thätigkeit zu heben. Der von amtswegen privilegirte Müßiggang, der ohnedies die Trägheit der dienenden Classen begünstigt, überhand nehmende Trunksucht und andere gesellschaftliche Mißstände haben sich dort nachgerade zur Unerträglichkeit gestaltet. Alle öffentlichen Schmerzensschreie über dieses Uebel verhallten aber leider bisher völlig. Um so mehr hat die Presse die Pflicht auf diese Zustände hinzuweisen.

Z.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 404. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_404.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)