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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

hat der Stern des dreizehnten Jahrhunderts Licht in die Naturwissenschaften getragen, und von der Ceder bis zum Ysop die Pflanzen- wie die Thierwelt aufgehellt, obwohl er den Theophrast noch nicht kannte. Der Verfasser des „Kosmos“, Alexander von Humboldt, der seine Schriften nur dürftig kennen lernte, hat ihn so gewürdigt. In der Chemie zieht Albertus den Paracelsus nach sich, was er aber in Botanik und Physiologie geleistet, namentlich die Theorie vom Pflanzenschlafe, wird in den fünf Jahrhunderten bis Linné nicht überboten. Die außerordentlichsten Leistungen erzählte man sich von ihm in der Mechanik. Sein Jünger Thomas soll den ersten Automaten, eine wandelnde Bildsäule mit Sprechapparat, zertrümmert haben, weil er dieses Werk für Teufelsspuk hielt, da aber der Meister hinzukam, jammerte er. „Wehe mir! Du hast mich um die Arbeit meines halben Lebens gebracht.“

Wir befassen uns hier mit keiner Literaturgeschichte, sondern stellen tatsächlich die Geistesgröße des Mannes dar, welcher, nicht zufrieden, wie Augustinus, die Tiefen der Gottesweisheit zu ergründen, auch die weltliche Wissenschaft erweiterte. Mit überwältigender Kraft hat er auf allen Gebieten seine Zeit beeinflußt, sodaß die Spuren seines Daseins sich durch Jahrhunderte verfolgen lassen. Wir sind heute weiter gekommen, aber wenn die Sonne den Himmelsraum durchmißt und sich zur Abendröthe neigt, denken wir preisend an den Schimmer des Morgenrothes. Und war Albertus denn nur Gelehrter? Regensburg rühmt, daß er die dortige Dominikanerkirche erbaute, nicht minder Köln. Doch was sagen wir? Der Plan zum Kölner Dom, diesem Wunderwerk christlicher Architektur, im Vergleich mit welchem St. Peter in Rom ein kolossaler Mauerkasten ist, soll durch eine Vision ihm offenbart worden sein. In der That stellt der Chor der Barfüßerkirche in Köln den entsprechenden Grundriß der Kathedrale fest.

Achtzigjährig, wohnte er noch dem Unionsconcil zu Lyon 1274 bei. Zuletzt erging es ihm wie Newton, daß er, der in der Jugend anfänglich hart lernte, drei Jahre vor seinem Tode sein Gedächtniß einbüßte und nun um seine eigenen Schriften nicht mehr wußte. Der Kreislauf des Lebens schloß sich für den wieder zum Kinde Gewordenen am 15. November 1280; vielmehr soll er, im Starrkrampfe liegend, lebendig begraben und bei der Beisetzung in dem später erst fertig gestellten Dominikanerchor in veränderter Lage betend gefunden worden sein.

Den Zeitgenossen war bei seinem grenzenlosen Wissen fast unheimlich zu Muthe, und es fehlte wenig daran, daß sie ihm sogar ein Bündniß mit dem Bösen zuschrieben, wie Salomo dem weisen König, dem die Geister unterthänig. Er kommt darin Gerbert gleich, dem ersten Franzosen, der als Sylvester der Zweite den römischen Stuhl einnahm.

Gleich Virgil wird er der persönliche Träger der Zaubersage: nicht nur, daß er König Wilhelm von Holland zu Köln im Winter in den blühendsten Garten einführte und die Tafel mit den frischen Früchten aus allen Jahreszeiten besetzte (vergl. „Gartenlaube“ 1881, Nr. 9), er soll sogar Sturm erregt und die feindlichen Schiffe vertrieben haben, um den Papst vor seinem Gegner Manfred zu erretten, wofür ihm zum Danke Rom die Ausübung der Schwarzkunst freistellte. Der Mann der Geschichte wird, wie später Faust, als Repräsentant der wissenschaftlichen Reformbewegung mit dämonischem Nimbus umgeben, ja der Gottseibeiuns soll ihm, wie dem Dr. Luther auf der Wartburg, erschienen sein.

Er verstand als Alchymist die Kunst, Gold zu machen, und man dichtete ihm den Stein der Weisen an: das Museum zu Köln bewahrt noch seinen Zauberbecher. In Hildesheim hat er die Fliegen vom Kloster für ewige Zeiten verbannt, an verschiedenen Orten sich gleichzeitig sehen lassen und Messe gelesen – und die Scene in Auerbach's Keller in Leipzig geht auf ihn zurück. Selbst Wodan's Roß stand ihm zu Gebote: auf dem riesigen Lauinger Schimmel, dessen Abbild am Stadtthurme das Wahrzeichen bildet, soll er über die Mauern und die Donau durch die Luft gesetzt sein.

Lauingen hat den Mohr im Wappen – dieser Mohr hat seine Schuldigkeit gethan. Dem Manne, der den Stolz des Schwabenlandes ausmacht, wurde zum sechsten Säcularfest seines Todes in der reizenden Donaustadt, welche noch sein Geburtshaus weist, der Grundstein zum Monumente von Erz gelegt, wobei das Standbild von acht Fuß mit dem Postament von Syenit auf dreifache Höhe zu stehen kommt. Die Albertus-Statue ist soeben vollendet worden und kommt in diesem Sommer zur Aufstellung.

Der Gedächtnißtag des verwichenen Jahres gestaltete sich zu einem Feste der ganzen Christenheit. Rom beging es mit, indem der deutsche Cardinal Hergenröther die Festpredigt hielt. Köln restaurirte nicht blos die Grabcapelle in der Dominikanerkirche, sondern beging dazu auch noch eine achttägige Festfeier. Beiträge zum Monument wurden aber bis aus Tokio in Japan eingesandt. Das Erzdenkmal ist nach Modell und Guß aus der berühmtesten Erzgießerei der Gegenwart Ferdinand von Miller's, hervorgegangen. Der Meister pflegt das letzte Geheimniß seiner Kunst bei sich zu behalten, hier aber hat er, bevor er seinen Lebenslauf vollendet, es in Anwendung gebracht, und einen Zauber mit der Statue dessen verbunden, welcher dem Mittelalter selber als Magier erschienen. Es gilt unsern Albertus Magnus und Magus würdig zu ehren und in der Volkssage zu verklären. Ein Buch hält er in der Rechten, das die Fülle seines Wissens enthält; sein Blick ist aber zur Beobachtung in die weite Welt gerichtet. Merke man wohl: so oft ein Jahrhundert abläuft, wird ein Blatt in diesem Buche sich umwenden. Geht es mit uns vorwärts, so wird ein neues Blatt aufgeschlagen und mit dem Griffel der Klio die Geschichte der deutschen Nation in großem Stile eintragen. Kommen wir aber – was Gott verhüte! – wieder rückwärts und auf die früheren Zustände der Zerrissenheit, dann schlägt ein Blatt oder es schlagen mehrere verkehrt um, und der alte Text erscheint. Wer Mittags um 12 Uhr am 1. Januar 1901, wenn das zwanzigste Jahrhundert anbricht, auf dem Albertus-Platze vor dem Schlosse in Lauingen steht, kann zum ersten Male diesen Vorgang beobachten.

Dr. Sepp.




Der Culturkampf in der protestantischen Kirche.

3. Der moderne Protestantismus und die Kirche.[1]
Vom Prediger Dr. Kalthoff.

Es ist das Kennzeichen jedes echten geistigen Strebens, daß es nicht mehr unterdrückt werden kann, sobald es sich einmal aus der Tiefe des Geistes hervorgerungen hat und als wirksamer Factor in das Leben der Geschichte eingetreten ist. Alle geistlichen und weltlichen Gewalten sind gegen den Protestantismus in’s Feld gerufen worden. Aber weder die Heere Alba’s und Tilly’s, noch die Grausamkeit der Inquisition, noch die Verschlagenheit des Jesuitenordens vermochten die Geister wieder zu bannen, die durch die Reformation wachgerufen worden waren. Und was der brutalen Gewalt oder der listigen Schlauheit der Gegner nicht gelang, das wurde ebenso wenig bewirkt durch den Unverstand und die Thorheit der eigenen Freunde des Protestantismus. Wohl haben die falschen kirchenpolitischen Maßnahmen protestantischer Fürsten, die Engherzigkeit und der Fanatismus protestantischer Theologen dem Protestantismus tiefere Wunden geschlagen als alle Angriffe seiner Gegner zusammen. Doch der Protestantismus ist auch an diesen Wunden nicht verblutet. In neuer Waffenrüstung steht er heute seinen Gegnern von jenseits oder diesseits der Berge gegenüber, um sie in die Schranken zu rufen zum großen Kampfe der Geister.

Fast alle Lebensgebiete sind gegenwärtig in diesen Kampf mit hineingezogen. Der moderne Staat, der sich als Rechtsstaat seiner eigenen Selbstständigkeit bewußt geworden ist, sucht sich loszuringen von der erdrückenden Umklammerung der Kirche. Die moderne, auf dem Recht und der Freiheit des Einzelnen beruhende Gesellschaftsordnung liegt im Kampfe gegen erneuerte Versuche, die ständische Gliederung der Gesellschaft, wie sie sich im Mittelalter im engsten Anschluß an die hierarchischen Tendenzen der Kirche gebildet hatte, wieder in’s Leben zu rufen.

Für unsere Aufgabe kommt es indeß hauptsächlich darauf an,

  1. Vergleiche Nr. 17 und Nr. 20.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 398. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_398.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)