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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Rechnet man hierzu noch die durch das Dynamit herbeigeführte enorme Förderung von Sprengarbeiten unter Wasser, die geringere Gefährlichkeit der Sprenggase desselben bei unterirdischen bergmännischen Arbeiten, die durch diesen Explosionsstoff vermittelte leichte Bewältigung von Eisstauungen in großen Strömen, endlich eine Reihe von Culturzwecken im eigentlichen Sinne des Wortes, welchen das Dynamit dient, nämlich Rodungsarbeiten und Tiefbodencultur von Ackerland, so rechtfertigt sich die vorhin aufgestellte Behauptung von den höchst anständigen Charakterseiten dieses Vielgefürchteten. Daß übrigens sowohl das Militär wie die Herren von der Marine in dem Dynamit ein sehr schätzbares Material beim Miniren wie auch beim Torpedowesen entdeckt haben, ist bereits genügend bekannt. Erwähnenswerth mag der Umstand sein, daß der französische Cavallerist zu seiner neuesten Ausrüstung auch ein Täschchen zur Aufnahme von zwei Dynamitpatronen erhalten hat, sodaß künftighin schon ein starkes Reiterdetachement Viaducte, Eisenbahnen, Brücken etc. wird zerstören können.

Sehen wir uns den Stoff, der so mannigfaltige Verwendung findet, einmal etwas näher an!

Lobrero, 1846 als junger italienischer Chemiker in dem Laboratorium von Pelouze in Paris thätig, entdeckte einen öligen, gelbbräunlichen und sehr giftigen Stoff, der durch verschiedene zufällige Explosionen seine ungeheure Kraft zeigte. Man nannte das Präparat Nitroglycerin, und es blieb praktisch unverwerthet, da es unmöglich schien, die Explosion mit einfachen Mitteln zu erzielen. Erst 1867 fand der schwedische Chemiker Alfred Nobel eine Methode, jene Kraft in einer Form zu verwerthen, welche die gefährlichen Eigenschaften beseitigte; ihm verdankt man das Dynamit.

Die Fabrikation des Nitroglycerins ist verhältnißmäßig einfach zu nennen. Die dazu erforderlichen Materialien sind: Glycerin, concentrirte englische Schwefelsäure und stärkste Salpetersäure von 45 bis 48 Grad Beaumé. Da die Salpetersäurefabriken diese Stärke gewöhnlich nicht herstellen, auch die Eisenbahnen dieselbe in dem angegebenen Stärkegrade nicht zur Beförderung annehmen, bereiten sich die größeren Nitroglycerinfabriken diese Ingredienz gewöhnlich selbst – und zwar in eisernen Retorten – aus gleichen Gewichtstheilen Chilisalpeter und Schwefelsäure. Einige Fabriken leiten die Dämpfe der Salpetersäure gleich in die Schwefelsäure; wo dies nicht der Fall, mischt man zwei Gewichtstheile Schwefelsäure zu einem Gewichtstheil Salpetersäure und läßt die Mischung vollständig erkalten. Dann setzt man das Glycerin hinzu. Bei diesem Zusatz muß jede zu starke Erhitzung vermieden werden, und die Temperatur darf beim Zusetzen höchstens 18 Grad Celsius betragen; bei einer zu niedrigen Temperatur wird indessen die Ausbeute zu gering. Behufs der Kühlung werden entweder die Mischgefäße mit Wasser und Eis umgeben, oder man läßt beständig kaltes Wasser durch zwei Kühlschlangen längs der inneren Wandung des mit Bleiblech ausgekleideten Mischbottichs gehen. Ist alles Glycerin von der Säure aufgenommen, so leitet man die Mischung mittelst einer Bleirinne in einen zur Hälfte mit Wasser gefüllten Bottich; das Nitroglycerin setzt sich dann am Boden an und wird von der darüber stehenden verdünnten Säure durch Ablassen getrennt. Sorgfältiges Waschen mit Wasser, mit Sodalösung und abermals mit Wasser entfernt jede Spur noch anhängender Säure. Aus erklärlichen Gründen werden die Operationen des Mischens, Waschens etc. in getrennten, möglichst weit aus einander gelegenen leichten Bretterschuppen vorgenommen.

Von der Verwendung des Nitroglycerins in unvermischtem Zustande ist man vollständig abgekommen; man läßt es vielmehr von festen pulverförmigen Körpern aufsaugen und fertigt aus dieser Masse Patronen, meist cylindrische, von zwei bis fünf Centimeter Durchmesser und drei bis zwanzig Centimeter Länge; die Umhüllung besteht aus Pergamentpapier. Die erwähnten pulverförmigen Körper sind entweder indifferenter Natur, wie z. B. Kieselguhr (Infusorienerde), Cellulose (gedörrtes Holzmehl), Tripel, Asche von Bogheadkohle, gebrannter Thon, oder sie sind selbst activ, indem sie die Wirkung des Nitroglycerins verstärken, wie z. B. gepulverte Steinkohle, Harz, Kali, Natronsalpeter etc. Die mit jenen indifferenten Substanzen hergestellten Sprengmittel heißen Dynamite; die andere Kategorie führt besondere Namen, wie Lithofracteur, Dualin etc.; auf diesem Gebiete ist kürzlich eine neue Mischung, die Sprenggelatine, aufgetaucht, welcher viel Rühmendes nachgesagt wird. Sechszig Gramm Gelatine haben die Wirkung von etwa hundert Gramm Dynamit, und namentlich sehr festem Gestein gegenüber dürfte die Sprenggelatine das Dynamit bald verdrängen.

Von diesen Dynamitsorten kommen vorzugsweise in den Handel: das Kieselguhr-Dynamit, mit respective 35, 45 und 75 Procent Nitroglycerin, und das Cellulose-Dynamit, nur in einer Sorte mit etwa 75 Procent Nitroglycerin. Letztere nimmt bis zu 40 Procent Wasser auf, ohne die Sprengwirkung zu verlieren, und findet bei bergmännischen Arbeiten fast ausschließlich Verwendung.

Um die Explosion zu bewirken, wird der Dynamitpatrone eine Sprengkapsel, das heißt ein Zündhütchen, Knallquecksilber enthaltend, aufgesetzt und mit einer eigens hierzu construirten Zange festgekniffen; eine galvanische Batterie oder ein elektrischer Zündapparat beschafft sodann die Zündung.

Tritt dieser Apparat nicht in Thätigkeit, so ist das Dynamit äußerst schwer zur Explosion zu bringen. Die in dieser Hinsicht öffentlich angestellten Versuche haben zu Resultaten geführt, welche das lebhaftere Staunen der Zuschauer erregten. Hier einige Proben! Unter ein Gewicht von 42 Pfund wurde eine mit Dynamit gefüllte Patrone gebunden. Das Gewicht mit der Patrone fiel aus einer Höhe von 19 Fuß auf eine festgelegte Granitplatte. Die Patrone wurde vollständig breit und platt gequetscht, die Granitplatte sogar zertrümmert, ohne daß das Dynamit explodirte. – Ferner wurde ein hölzernes Faß mit 15 Pfund Dynamit auf einen Holzstoß gelegt und letzterer angezündet. Einer der Fabrikanten und der Fabrikmeister traten später, als das Faß herunter zu gleiten drohte, mit größter Ruhe an das Feuer heran, um ersteres wieder zurecht zu legen. Sobald das Faß an einer Stelle durchgebrannt war, entzündete sich das Dynamit, zersprengte durch die sich bildenden Gase die Reifen des Fasses und verbrannte rasch und ohne jeden Knall oder jede Explosion in ähnlicher Weise wie angefeuchtetes Schießpulver. Daß die Hantirung mit Dynamit weniger gefährlich ist, als diejenige mit Schießpulver, hat die Erfahrung längst gelehrt.

Wesentlich verschieden von der Art, wie Schießpulver explodirt, ist die Explosionsart des Dynamits. Das Pulver erfordert bekanntlich allseitige Umschließung, wenn die volle Wirkung erzielt werden soll, und lose hingelegtes Pulver verpufft fast wirkungslos in der Luft. Das Dynamit dagegen äußert auch ohne Umschließung seine zerstörende Wirkung nach allen Seiten hin; offen auf einen massiven Eisenblock gelegt und elektrisch entzündet, zersprengt es denselben in Atome. Bei Sprengungen von Felsen unter Wasser genügt es, die Patrone hart an das Gestein zu legen und sie elektrisch zu entladen; bei Berg- und Tunnelarbeiten ist um mehr als ein Drittel weniger Handarbeit beim Bohren der Sprenglöcher nothwendig, als früher.

Woher entstehen nun, im Gegensatz zu den oben geschilderten Experimenten, die durch Dynamit verursachten Unglücksfälle, von denen man von Zeit zu Zeit hört? Zunächst gewiß durch die an das Unglaubliche streifende Unvorsichtigkeit einzelner Arbeiter, die durch stetes Umgehen mit diesem Sprengstoffe alle Furcht vor demselben verloren haben. Die Dynamitpatrone muß vor starkem Druck bewahrt werden, da sonst das Nitroglycerin austritt und schon ein geringer Stoß oder Schlag auf letzteres die Explosion hervorrufen kann. Im Uebrigen ist die Praxis der Bergarbeiter, von der manchmal Unkundige mit Schaudern erzählen, die Patronen in der Westen- oder Hosentasche zu tragen, völlig ungefährlich. Dies geschieht, um das Dynamit „aufzuthauen“, das heißt: es knetbar zu machen, da dasselbe schon bei 8 Grad Wärme nach Celsius „gefriert“, das heißt: erstarrt und eine hellere, schmutziggelbe Farbe annimmt; in diesem Zustande ist seine Wirkung bei der Explosion wesentlich geringer. Zur vollen Explosionsfähigkeit bedarf es etwa 11 Grad Wärme, und in geschlossenen Gefäßen erhitzt, explodirt es bei 150 Grad Celsius. Werden größere und namentlich eingeschlossene Mengen entzündet, so bringt die sich entwickelnde sehr hohe Wärme eine Explosion des noch unverbrannten Restes hervor. Mehr als ein schrecklicher Unglücksfall ist durch das entsetzlich leichtsinnige Erwärmen der bereits mit Zündschnur, ja selbst mit Zündhütchen versehenen Patronen auf heißen Oefen entstanden. Endlich sei noch erwähnt, daß in der Zeitung „Der Berggeist“ vom 21. December 1877 die Bergleute davor gewarnt werden, statt der sicher fungirenden Zange zum Festkneifen des Zündhütchens an der Zündschnur – die Zähne zu gebrauchen, da schon mehrfach hierdurch Unglücksfälle entstanden seien. Sollte man eine derartige Sorglosigkeit für möglich halten?!

Die Vorsichtsmaßregel, daß Dynamit nur unter besonderen Vorkehrungen auf Eisenbahnen wie auf Land- und Wasserstraßen transportirt werden darf, muß gebilligt werden; das absolute Verbot

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 396. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_396.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)