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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Zwar soll, der behördlichen Anordnung gemäß, die Fahrgeschwindigkeit des Wagens zwanzig Kilometer per Stunde nicht übersteigen; dennoch hat er bei den Probefahrten die ganze Strecke der Anlage, die vorläufig von dem Bahnhofe Groß-Lichterfelde bis nach der zweieinhalb Kilometer entfernten Central-Cadettenanstalt reicht, in fünf Minuten zurückgelegt, gewiß ein glänzendes Zeugniß seiner Leistungsfähigkeit.

Ebenso wie dieser Wagen in seiner ganzen Form und Einrichtung denjenigen der Pferdebahn vollkommen entspricht, unterscheidet sich auch der Bahnkörper der elektrischen Eisenbahn, der ein Werk der Berliner Civilingenieure Gerding und Birnbaum ist, sichtbar in nichts von dem einer Secundärbahn. Wir haben einen ganz gewöhnlichen Unterbau vor uns, auf dem die Stahlschienen, wie bei Eisenbahnen üblich, auf Holzschwellen befestigt sind, welche aber hier gleichzeitig als Isolatoren wirken, indem sie das Uebergehen der Elektricität aus den Schienen in den Erdboden verhüten.

Da dieselbe stromerzeugende dynamische Maschine selbst zwei Geleise in einer Länge von etwa zwanzig Kilometer mit Kraft zu versorgen vermag und außerdem die Einrichtung getroffen werden kann, daß auf demselben Geleise zwei oder mehrere Wagen, entweder zu einem Zuge vereinigt oder mit Zwischenräumen hinter einander zu fahren vermögen, so darf man wohl nach dem glänzenden Erfolge dieses ersten Versuches die Vermuthung hegen, daß der elektrische Bahnbetrieb in nicht zu langer Zeit umgestaltend in unser gesammtes Verkehrswesen eingreifen wird. Wenn man erwägt, daß der Wagen der elektrischen Bahn von der drückenden Last eines Motors befreit ist, somit ein viel wirksameres Bremsen gestattet, daß die Verwendung von stationären Dampfmaschinen für den Eisenbahnbetrieb den Vortheil bietet, nicht nur eine günstigere Kesselheizung zu ermöglichen, sondern auch die Dampfkraft für einen anderen Betrieb abzweigen zu können, daß man endlich dort, wo genügende Wasserkraft vorhanden ist, die elektrische Bahn ohne Aufwand von Brennmaterial betreiben kann, wenn man alle diese Punkte zusammenfaßt und schließlich noch erwägt, welcher Verbesserungen die neue Schöpfung noch fähig ist: so kann man nicht anders, als derselben eine bedeutende Zukunft in Aussicht stellen, um so mehr, als Werner Siemens, der geistvolle Schöpfer dieses Werkes, nicht der Mann ist auf den wohlverdienten Lorbeeren auszuruhen.

Schon jetzt ist er wieder mit einem neuen, nicht minder genialen Project aufgetreten. Er beabsichtigt nämlich den elektrischen Betrieb auch für den Verkehr auf Straßen und Chausseen einzurichten und hat bereits vollständig ausgearbeitete Pläne den maßgebenden Behörden eingereicht. Da die Anlegung von erhöhten Schienengeleisen auf einer Straße den Verkehr zu sehr belästigen würde, so hat er die Schienen in Gestalt von zwei neben einander laufenden Telegraphendrähten nach oben verlegt. Auf diesen Drähten bewegt sich ein kleiner Contactwagen, der vermittelst eines elastischen Seiles mit einem entsprechenden, auf der Straße stehenden Gefährte in Verbindung gesetzt ist. Wird nun aus einer dynamo-elektrischen Maschine ein Strom in die bewußten Drähte geleitet, so theilt er sich dem Contactwägelchen mit, wird aus ihm durch das Seil in die elektrische Maschine des Gefährtes auf die Straße geführt, setzt diese in rotirende Bewegung und bringt dadurch den Wagen in Gang, der gleichzeitig vermittelst des Seiles von dem Contactwagen stetig begleitet wird. Da das Seil in sich die beiden Leitungsdrähte birgt, so ist auch der elektrische Kreislauf vollständig hergestellt. Das Unternehmen dürfte wohl dem Ruhmeskranze seines Schöpfers neue Blüthen hinzufügen.

Mit gerechtem Stolz müssen wir auf unser deutsches Vaterland blicken, das der Welt hier wieder den vollgültigen Beweis liefert, daß es seine Lorbeeren nicht nur auf dem blutigen Felde der Ehre, sondern auch auf der goldenen Bahn des Friedens zu erringen vermag, und welches jetzt dazu berufen ist, der Welt das nahende Zeitalter der Elektricität zu verkünden.

Paul Hirschfeld.




Dynamit.

War das ein Schrecken im preußischen Abgeordnetenhause, als dort vor einigen Jahren die Gefährlichkeit des Dynamits auf’s Tapet kam und ein Abgeordneter, dieselbe bestreitend, den gemüthlichen Vorschlag machte: er persönlich wolle auf der Rednertribüne eine Dynamitpatrone in der Hand halten, dieselbe anzünden und sie aufbrennen lassen! Die Nachbarn des guten Herrn wichen entsetzt von ihm zurück, in der Meinung, er könne unversehens eine Quantität des „höllischen Materials“ aus der Tasche ziehen und sofort seine Beweisführung beginnen.

Der Schreiber dieser Zeilen ist kein Mann der blassen Furcht, gesteht aber offen, daß ihm etwas unheimlich zu Muthe wurde, als einstmals in seiner nächsten Nähe ein Dynamitfabrikant ganz in der oben erwähnten Weise experimentirte, indem er eine aus jenem Sprengstoffe fabricirte Patrone frei in der Hand hielt, sie anzündete und abbrennen ließ, als wär’s ein Fidibus. Wenige Minuten später wurde eine zweite Patrone gleicher Größe auf einen Granitstein von 1 Meter Länge, 0,8 Meter Breite, 0,5 Meter Dicke frei aufgelegt und mittelst elektrischen Drahtes und Zündhütchens entzündet – das gab freilich eine andere Wirkung: sie zerschlug das Felsstück in unzählige Trümmer.

Es ist eben etwas Wunderbares um die Doppelnatur dieser merkwürdigen Masse: sie kann harmlos bleiben, und sie kann mit furchtbar zerstörender Kraft wirken, je nachdem man mit ihr umgeht. Jene letztere Eigenschaft ist allgemein bekannt, die erstere nicht, und daher darf es dem nicht technologisch veranlagten Menschenkinde wohl kaum verdacht werden, wenn es vor dieser Substanz ein gelindes Grauen hegt und sie mit injuriösen Bezeichnungen belegt, welche entschieden dem Verdachte Raum geben, als sei Urian oder Beelzebub der Vater dieser Erfindung der Neuzeit.

Sie ist indessen à la Maria Stuart besser als ihr Ruf. Daß derselbe ein so arger wurde, verursachten wesentlich zwei schlimme Affairen, deren eine indessen vielleicht mit Unrecht auf Rechnung des Dynamits gebracht wird. Daß die Höllenmaschine des Amerikaners Thomas, richtiger Thompson, welche am 11. December 1875 in Bremerhaven fast 200 Menschen tödtete oder verstümmelte (vergl. „Gartenlaube“ 1876, Nr. 2), mit Dynamit geladen war, ist nie erwiesen worden, ja es ist nach allen vorliegenden Daten sehr unwahrscheinlich. Daß dagegen die Nihilisten sich zur Ermordung des Czaren Alexander des Zweiten des Dynamits bedienten, unterliegt keinem Zweifel.

Letzteres sensationelles Ereigniß hat denn auch alle die Stimmen wachgerufen, welche schon bei der Thomas-Affaire nach strengster Polizei-Ueberwachung oder gar Verbot der Dynamitfabrikation schrieen. Dazu wird es selbstverständlich nie kommen; denn abgesehen davon, daß ein solches Verbot nicht durchführbar wäre, hat doch das vielgeschmähte Dynamit neben jener Sündenlast auch ein ansehnliches Conto von Wohlthaten aufzuweisen, durch die es sich jahraus jahrein um die Menschheit so sehr verdient gemacht, daß die Wagschale der Gerechtigkeit tief zu seinen Gunsten sinken muß. Das wird Manchem überraschend klingen, ergiebt sich aber mit unzweifelhafter Gewißheit schon bei einem Blicke auf die Bedeutung, welche das Dynamit für die Bergindustrie und den Wegebau gewonnen hat. Bei allen Gesteinsprengungen hat es seiner größeren Energie halber den Vorrang vor dem früher verwendeten Schießpulver erhalten. Die zu diesem Zwecke jährlich verbrauchten mindestens 100,000 Centner Dynamit entsprechen an Kraft etwa 250,000 Centnern des alten Schwarzpulvers. Vergleicht man nun die Wirkung dieser beiden Sprengstoffe hinsichtlich ihrer Preise, so ergiebt sich, wiewohl das Pulver billiger ist, daß das Dynamit der Menschheit jährlich rund 15 Millionen Reichsmark erspart, um welche Summe sie Erze und Kohlen billiger erhält, Tunnels und Einschnitte wohlfeiler herstellt als früher.

Schon das darf eine respectable Leistung genannt werden. Jedoch diese Geldersparniß ist nur der geringere Theil des Nutzens, den das Dynamit schafft. Viel wichtiger ist der Gewinn an Zeit, die Beschleunigung der bergmännischen Arbeit, die geringere Anforderung an der zu der gefährlichen Bohr- und Sprengarbeit erforderlichen Menschenkraft und damit endlich die Verminderung des Verlustes an Leben und Gesundheit zahlreicher Arbeiter. Drücken wir auch dieses Verhältniß in Zahlen aus, so ergiebt sich nach mäßiger Berechnung, daß gegenwärtig etwa 70,000 Menschen weniger der in so hohem Grade gefährlichen bergmännischen Sprengarbeit ausgesetzt sind, als wenn man das gleiche Quantum Gestein mit Schwarzpulver sprengen wollte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 395. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_395.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)