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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

den Montafuner gesehen? Habt Ihr? – nun, der hat dem Opfer den tödtlichen Streich versetzt; ich war nur sein Helfershelfer und theilte den Raub, und wollt Ihr auch wissen, warum er ihn erschlug? Ich will’s Euch sagen. Es gab eine Zeit, da war der Montafuner ein wohlhabender und ordentlicher Mann, er ließ sich mit dem Händler in Geschäfte ein, und der brachte ihn mit Spiel und Wucherzinsen um Alles, um Hab und Gut, um Ehre und häusliches Glück, denn er hat ihm auch sein Weib gestohlen. Verarmt und elend ist er in die weite Welt gegangen, und arm und elend kam er zurück, da hat er Rache genommen – jetzt wißt Ihr Alles.

„Und warum gebt Ihr den Mann an? Das ist ja grundschlecht von Euch.

„Warum ich ihn angebe?“ versetzte Hösch langsam und in seltsam höhnischer Weise. „Weil ich ihn los sein will, er hängt sich an mich, und ich will ihn los sein; er ist mein böser Stern; er wird mein Unglück werden, und ich bringe ihn nicht eher an, als bis er im Gefängnisse sitzt. Er wird mich angeben, alle Schuld auf mich wälzen – mög’ er’s thun! Wenn’s ihm was nützt, ist mir’s recht – innerhalb der acht Tage bin ich so weit, daß mich Eure Gerichte nicht mehr erwischen. Jetzt wißt Ihr Alles, jetzt Adieu! Ich hab’ Euren Schwur.“

Damit war der Hösch verschwanden.

Erschüttert stand Sebald da; ein furchtbares Geheimniß war auf seine Seele gebunden – er war Mitwissender einer Schuld geworden und hatte sich verpflichtet, diese Schuld tagelang bei sich zu behalten. Durfte er das? War er verpflichtet, seinen Eid zu halten? „Ja.“ sagte er sich, „ich muß und ich werde schweigen.“

Er blickte über sich. Die Zweige der Tannen verschatteten sich zu einem dunklen Gewölbe; kein Stern blickte durch. Er wußte sich’s zu deuten – wie sehr sehnte er sich nach einem mitfühlenden Herzen! Allmählich aber wich das Entsetzen vor Allem, was er eben erfahren hatte, einer weichen Stimmung; war er doch befreit von dem Alp, der ihn schier erdrückt hatte, von der wahnsinnfinsteren selbstmörderischen Gewissensunruhe. Der Schuldige war gefunden, es lag nur an ihm, das Gericht über ihn hereinbrechen zu lassen – in seiner Hand lag das Geschick des Mörders. Der Tag mußte kommen, an dem es sich erfüllte – jede Minute rann ihm unaufhaltsam entgegen.

Seine Arbeiten vollzog er in dieser Zeit wie immer pünktlich; seine Lebensweise ging den geordneten Gang, und nichts verrieth, was er Ereignißschweres in seinem Innern verschloß; nur eine gewisse Hast in seinem Benehmen, ein unruhiges Aufleuchten in seinen Blicken zeugte von der Ungeduld, die ihn nicht mehr verließ. Für seine vormalige Schülerin bemerkte er Folgendes:

„Der Redliche geht seines Weges und hat oft keine Ahnung von den Gefahren, die zu beiden Seiten dieses Weges liegen; er hört nur von fern das Gekrächz der Raben, welche auf Denjenigen warten, der fällt. Er weiß nicht, daß Schlechtigkeit und Unglück schon beinahe das Normale, Tugend und Heil die Ausnahmen geworden sind.“ An dem Tage, der ihn seines Eides entband, verfügte er sich in aller Frühe zu Gericht und gab seine Aussage zu Protokoll. Der Tag verstrich ihm in gewohnter Weise, und als er des Abends, recht froh, die Stadt verlassen zu können, des gewohnten Weges nach Hause eilte, sah er unter dem Hofthore der Schenke den riesigen Wirth stehen, der ihn anrief, einzutreten.

„Kommt herein! Ich hab’ Euch Mancherlei zu erzählen, es ist ohnehin ein Gewitter im Anzuge, das könnt Ihr am besten bei mir aushalten.

Sebald fand, daß er Recht habe, und trat ein. Sein erster Blick traf auf den Montafuner; er erschrak; wußte er doch, was in den nächsten Stunden über diesen Menschen hereinbrechen würde. Aber wie ward ihm erst, als der Wirth begann.

„Das wißt Ihr auch nicht, daß man den Hösch im Anstand aufgegriffen hat? Seine Papiere sollen nicht in Ordnung gewesen sein; man hat entdeckt, daß der Paß, den er bei sich trug, gefälscht war, und liefert ihn daher aus. Morgen bringen sie ihn.“

„Was, was, den Hösch? rief Sebald erstaunt. „Sein Fluchtversuch wird nun allerdings jeden Verdacht gegen ihn bekräftigen. Diesmal kommt er nicht mehr aus.“

„Nicht mehr, meint Ihr?“ rief höhnisch der Montafuner vom andern Dach herüber; „der Hösch ist schon aus schlimmern Fatalitäten glücklich davongekommen; der hat schon andere Riegel und Handschellen als die Eurigen durchbrochen.“

Der Wirth, der eben hinausgerufen wurde, sah den Sprecher verächtlich an, der aber nahm sein Glas und setzte sich in vertraulicher Weise an Sebald’s Seite.

„Geständniß bringen sie schon gar keines aus ihm heraus,“ fuhr er fort, „und ohne solches kann man ihm nichts anhaben.“

„Das ist noch sehr die Frage,“ antwortete kurz der Schreiber. „Hört, Herr Oberschreiber,“ fing der Zudringliche wieder an, es heißt, Ihr hättet ihm ein wenig hinausgeholfen.

„Ich.“ fuhr der so Interpellirte auf – „ich? nein!“

„Nun, nichts für ungut! Aber hört: ich brauchte eigentlich auch einen Reiseschein; möchte wieder einmal in meine Heimath, aber ohne was Schriftliches lassen die Grenzer mich nicht hinüber, gebt mir guten Rath! Könnte mir wer zu einem Paß verhelfen?“ „Wo habt Ihr den Euern? Ihr hattet doch einst gewiß eine Legitimation?“

„Ja,“ lachte der Vagabund, die hab’ ich in Australien vereufelt, hab’ sie dort einem verkauft, der sie nöthiger hatte als ich.“

„Ihr wart in Australien?“

„Manches Jahr, freilich – ja – bin längst todt gesagt zu Haus, längst verschollen. hab’ Niemand als ein armes Kind, das noch mein ist, aber auch das kennt mich nicht – möcht es auch mit mir heimbringen, aber ich bin ja todt gesagt.“

„Euer Kind. wo lebt das?“ fragte Sebald, zitternd vor einer Enthüllung, die ihn zerschmettern mußte. „Euer Kind?“ – eine Aehnlichkeit in den Gesichtszügen des Mannes, der neben ihm saß, mit jenen des sanften geliebten Wesens machte ihn schaudern.

„Wo mein Kind lebt?“ erwiderte heftig der Montafuner. „ich hab’ es gefunden – es lebt bei Eurer Schwester – Herr Oberschreiber.“

Todtenbleich war dieser aufgesprungen.

„So. Veronika ist Dein Kind – Ungeheuer, und Du bist der Mörder des Wildberger!“

Der so Angeredete sprang gleichfalls auf, Sebald packte ihn bei der Brust – „ist es so, bist Du der – dann fort – lauf was Du kannst! Ich will keinen Antheil an Deiner Strafe – fort!“ Er drängte den Menschen nach der Thür, der wie ein Trunkener ihn mit weitgeöffneten Augen anstarrte.

„Du bist verrathen,“ wiederholte er. „flieh! Sonst bist Du verloren. Hösch hat alles bekannt.“

Jetzt schien ihn der Unglückliche zu verstehen, er langte mit der Hand nach dem Dach. als such’ er eine Waffe und stürzte nach der Thür. Hier aber wurde ihm ein Halt entgegengerufen; zwei Gensd’armen nahmen ihn fest. Er widersetzte sich nicht und ließ sich wegführen. In Verzweiflung starrte ihm Sebald nach; er rannte hinaus. Das Gewitter war noch nicht ganz vorüber, schwere Wolken hingen am Himmel; hier und da blitzte es noch. Mitten auf der Straße blieb er stehen und rang die Hände.

„Schrecklich, schrecklich!“ rief er mehrmals aus, „ich habe den Vater des Kindes verrathen, das mein guter Engel war, das allein nur Trost und Leuchte gewesen ist. Wenn sie es erfährt, wenn sie alles erfährt – ihr Vater ein Mörder, zum Tode verurtheilt, und ich sein Verräther! O, wenn ich nur das von ihr abwenden könnte! Es ist nicht auszudenken, welcher Jammer es wäre, wenn sie ihr Unglück hörte.“

Er wandte sich und lief dem Gefangenentransport nach; vor dem Gefängniß suchte er um die Erlaubniß nach, allein mit dem Verhafteten sprechen zu dürfen. Es wurde ihm leicht bewilligt. da man wußte, daß er die Anzeige von der Thäterschaft des Montafuners gemacht hatte, allein auch dieser hatte das in Erfahrung gebracht und sah in dem Eintretenden seinen Todfeind vor sich. Er hörte schweigend und regungslos zu, als Sebald ihn bat, seines Kindes im Verhör nicht zu erwähnen. damit es nicht die Schande zu erdulden habe.

„Schande?“ lachte er wild auf, „die Schande ist Dein, Du Judas. Ich habe mich gerächt an einem Schurken, und mein Kind soll es wissen, wer sein Vater ist, daß er ein Mann ist und denjenigen erschlagen hat, der an meinem und auch an ihrem Unglück schuld ist. Macht, daß Ihr fortkommt, Schreiber!“

„Nein,“ antwortete er, „ich lasse nicht ab, Dich zu bitten und zu ermahnen. Denk’ an Gott und bereue Deine Sünde!“

„Was Sünde? Pack Dich weiter!“

„Bedenke, daß Du ein unschuldiges Leben um seinen zeitlichen Frieden bringst. Deine That ist nicht zu verbessern; nach menschlichen und ewigen Gesetzen bist Du ein Mörder.“

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