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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

und Niederrollen der Stirnfalten versicherte er seinen von liebenswürdiger Begeisterung erglühenden Zuhörerinnen, daß, „was die Welt auch immer vermocht, sie treue Liebe nicht unterjocht, daß über der Wellen und Stürme Wogen sich diese Seelen zugeflogen etc.“, was denn bei den Zuhörerinnen ein ekstatisches Entzücken hervorrief, das nicht eher ein Genüge fand, bis der Dichter jeder Einzelnen eine besonders für sie gefertigte Abschrift des Gedichts versprach.

Und damit verlassen wir Lily und stellen ihre weiteren Schicksale dem lieben Gott anheim. Wird er sie doch auch ferner noch ernähren, wie eine seiner Lilien auf dem Felde, obwohl sie nicht spinnen und nicht arbeiten; denn auch von Lily ist anzunehmen, daß sie in Zukunft als „höhere Natur“ nur mit dem zahlen wird, was sie ist, und sich mit dem Ruhme begnügen wird, eines jener bevorzugten Wesen dargestellt zu haben, welche veraltete Lebensprincipien gering schätzen, eines jener Wesen, die unser fortgeschrittenes Jahrhundert oben auf die schwindelnd hohe Pyramide seiner Bildung als zierendes Büschel und grünen Maienzweig gesteckt hat: das moderne Kind. –

Dieselbe Sonne, welche zur Feier von Lily’s Hochzeitstage so gefällig das Rheinthal illuminirt hatte, schien übrigens ganz um die nämliche Stunde jetzt ebenso hell in die melancholischen Räume des gräflich Gollheim’schen Hotels in unserer Residenzstadt, aber hier war die Wärme, welche sie ausstrahlte, schon um so viel geringer, daß im Wohnzimmer Regina ein tüchtiges hellflackerndes Kaminfeuer hatte entzünden lassen, vor dem jetzt ihr Bruder Ludwig in einem niederen Sessel ausgestreckt ruhte und sich müßig die Füße wärmte. Regina saß rückwärts von ihm am Fenster und benutzte das hereinscheinende abendliche Sonnenlicht für die feine Stickerei-Arbeit, mit der sie sich eifrig beschäftigte.

Ludwig war seit vielen Wochen wieder im Vaterhause. Als er durch briefliche Mittheilungen Regina’s Kunde von der Wendung erhalten, welche die Dinge daheim genommen, war er von seiner Alpenwanderung zurückgekehrt und hatte seinen Frieden mit seinem Vater gemacht: er hatte bereitwillig in Alles eingestimmt, was die Scheidung seiner Ehe mit Lily, welche Doctor Gruber vor dem Gericht betrieb, beschleunigen konnte. Was er innerlich dabei empfand, was er im Stillen dabei in sich verarbeitete, das gelang Regina erst nach und nach zu durchschauen. Erst nach und nach ließ er sie auf den Grund seines Herzens blicken, obwohl er es offenbar liebte, in ihrer Gesellschaft zu sein, und das stete Bedürfnis verrieth, in allen Tagesvorkommnissen und Angelegenheiten sich mit ihr in Uebereinstimmung zu fühlen. Er saß heute lässig vor dem Kaminfeuer ausgestreckt und rauchte langsam eine Cigarette nach der andern. Nachdem er lange nachdenklich in die Flammen geschaut, sagte er:

„Das Beste ist, daß der Mensch klüger wird durch seine Erfahrungen, Regina. Wenn ich nicht so schrecklich klug geworden wäre durch die Entdeckung, was eigentlich diese kleine Grasmücke werth war, würde ich längst auf dem Wege sein, um den Burschen, der sie entführt hat, zu fordern und ihm womöglich eine Kugel vor den albernen Kopf zu schießen.[WS 1] Wäre mir’s eigentlich selber schuldig gewesen – solch ein Beispiel von Courage, nachdem ich der Welt ein – kann mir’s ja denken, wie man darüber glossirt hat – ein Beispiel von … sagen wir: von auffallender Friedensliebe gegeben.“

„Ich bitte Dich,“ fiel Regina ein, überrascht, ihn auf diesem Gedankengange zu ertappen; „Du denkst hoffentlich nicht daran, der jungen Dame auch noch ein tragisches Lüstre zu geben?“

„Nein, ich denke in der That nicht daran; die Welt wird sich, ohne diesen obligaten Couragebeweis von mir zu erhalten, weiter helfen müssen. Ein tragisches Lüstre? Für Lily? Nein – es paßt wahrhaftig nicht für sie – wäre schade, wenn sie Schwarz tragen müßte – ist nur auf helle Stoffe, luftige Farben eingerichtet, das ganze Figürchen und das ganze Seelchen!“

Regina erhob die Augen zu ihrem Bruder, um in seinen Zügen zu lesen. Sie hörte durch seine anscheinend so ruhige Stimme doch die tiefe Bitterkeit zittern.

„Bin überhaupt nicht für’s Tragische, Regina,“ fuhr Ludwig jetzt fort. „Als die Sache tragisch wurde, rettete ich mich – wahrhaftig nicht aus Feigheit, sondern aus Abscheu vor aller Tragik. Stelle Dir vor, welche Scenen uns, wenn ich geblieben, erblüht wären: auf der einen Seite dieser brutale Mensch von einem Roßarzt und auf der andern dieser zornige, harte gräsliche Herr Vater, der Eine dreinschlagend und Sturm laufend, um seiner Tochter Recht, und der Andere wie ein Löwe kämpfend um die Zukunft seines Sohnes, um die Glorie seiner jungen Gräflichkeit! Stelle Dir das vor! Hättest Du Lust gehabt, als ihr Kampfobject zwischen ihnen in der Mitte zu stehen? Zwischen diesen harten Mühlsteinen Dich wie ein weiches Korn zu Mehl, zu Staub zerreiben zu lassen? Nein, lieber auf und davon in die Weite, in den Frieden, in die Freiheit –“

„Nun ja, die Freiheit hast Du ja auch errungen, bald und gründlich!“ sagte Regina mit einem leisen Seufzer.

„Die Freiheit – ja,“ wiederholte Ludwig mit einem trübsinnigen Lächeln. „Ich weiß nur nicht, ob das ein befriedigender Schluß für eine Herzensgeschichte ist; ich fürchte, nicht ganz, Regina! Du kannst ja darüber mitreden. Wie denkst Du – die Du Dich auch mit dieser Freiheit trösten mußt – darüber?“

„Ich?“ fragte Regina zögernd zurück. „Was soll ich Dir darauf antworten? Ich bin nicht so frei, wie Du glaubst.“

„Nicht frei? Du, Regina?“

„Nein. Aurel wird ein Jahr lang jenseits des Meeres bleiben, bis sein Vater sich dort in irgend einer neuen Lage zurecht gefunden. Dann wird Aurel zurückkehren. Er hat es dem Herzog versprochen. Und dann werde ich die Seine werden.“

„Das hast Du ihm versprochen?“

„Ja! Bevor er schied, habe ich es ihm versprochen!“[WS 2]

„Du könntest mir nichts Besseres ankündigen, Regina,“ rief Ludwig aufspringend und ihr die Hand hinstreckend aus. „Wahrhaftig, hast Du alsdann noch mit dem Vater zu kämpfen, so sollst Du sehen, daß Dein Bruder nicht – ein Feigling ist.“




Karl Egon von Ebert.

Ein Festesgruß zu seinem achtzigsten Geburtstage.

Karl Egon von Ebert feiert am 5. Juni dieses Jahres seinen achtzigsten Geburtstag. Die „Gartenlaube“ will nicht unterlassen, durch eine einfache und schmucklose Würdigung des ausgezeichneten Dichters auch ihr Scherflein zu dieser Feier beizusteuern. Scheint ihr eine solche Würdigung heute doch keineswegs unangebracht; denn obschon Ebert die volle Anerkennung unserer hervorragendsten Geister, das Lob eines Goethe, den Beifall eines Uhland genoß, und obschon alle Mustersammlungen deutscher Lyrik glänzende Proben seiner poetischen Begabung enthalten, so hat dennoch sein Name nicht ganz die allgemeine Schätzung und Verbreitung gefunden, die er verdient. Allein das erklärt sich leicht. Als Ebert begann, sich literarisch zu bethätigen (Anfang der zwanziger Jahre), entfaltete sich auf dem deutschen Parnasse gerade eine so reiche und üppige Fülle von Begabungen, daß Einzelne unter diesen Dichtern, wenn sie bescheiden eigene Wege gingen und weder Stimmung noch Gelegenheit fanden, sich einer herrschenden Richtung oder Schule anzuschließen, in diesem Gewoge von Talenten und Namen nur mühsam sich hervorzuthun vermochten. Schiller’s patriotisches Pathos, das in der Kriegslyrik von 1813 zu mächtigem Ausdruck gekommen war, klang noch herzbewegend in allen Geistern nach und erregte im tiefsten Innern selbst Goethe, der mit seinem erhabenen Ansehen die Zeit beherrschte. Unter seinen Augen brauten und wirrten die tollen Romantiker, von denen sich die schwäbische Dichterschule in sich läuternder Klarheit abzweigte. Endlich begann auch das sogenannte Junge Deutschland sich zu erheben, das mit wuchtigen Schlägen an die Pforte eines neuen Jahrhunderts pochte.

Zwischen diesen Extremen hin schritt Karl Egon von Ebert. Sein Schönheitsgefühl und seine Verehrung für den hohen Meister trieben ihn zu Goethe’s Füßen, mit dem er die Liebe zu Schiller theilte. Ein kurzer Aufenthalt in Karlsruhe und persönliche Beziehungen zu Uhland, Schwab, Kerner näherten ihn der schwäbischen Dichterschule und der verführerische und lockende Reiz, den Heine’s Auftreten ausübte, so wie seine liberale Gesinnung zogen ihn vorübergehend auch in dessen Bann und in die Kreise des Jungen Deutschlands.

Anmerkungen (Wikisource)

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 384. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_384.jpg&oldid=- (Version vom 17.12.2020)