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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Demnach wir in Erfahrung kommen, daß an etlichen Orten unsrer Grafschaft Mark viele abergläubische und böse Dinge annoch im Schwange gehen, als daß … Osterfeuer angezündet, Johanniskränze oder Kronen angehangen, auf Maitag das Vieh gequickt und Quickruthen an die Thüren und Hecken des Hofes aufgesteckt …, wie auch auf gewissen Tagen das Vogelschießen gehalten und andere dergleichen unterschiedliche so recht heidnische als sonst abergläubische und gottlose Dinge verübt werden, die bereits guten Theils von Uns verboten worden sind, und Wir denn solche und dergleichen abergläubische verbotene Sachen bei Unsern Unterthanen ohne Unterschied der Religion ganz und gar abgestellt, darüber festgehalten und die Verbrecher zur gebührenden Strafe gezogen wissen wollen, als ergeht Unser gnädigster und zugleich ernster Befehl hiermit an euch, hienach zu handeln und zu thun.“

Anfangs untersagte man diese Feste, weil sie doch „teuflischen Ursprungs“ wären; später verbot der Pfalzgraf Philipp Wilhelm nach dem Dreißigjährigen Kriege die Maibäume, weil die herzoglichen Forsten dadurch beraubt würden; Kurfürst Karl Theodor untersagte das nächtliche Maigeläute und die Maifeste bei Prügelstrafe und Gefängniß, ja, in den Jahren 1800, 1807 und 1809 erließ die bergische Regierung Verordnungen, in denen das Maistecken mit Geldbuße und Gefängniß bedroht wurde. Dazu kam noch in späteren Zeiten der vornehme gesellschaftliche Sinn, der bald in den Schnallschuhen und dem wohlgepflegten Zopfe, bald, je nachdem die Mode es vorschrieb, in den Pariser Glanzstiefeln und Frackschößen das allein menschenwürdige Dasein erblickte und, in die dumpfen Säle und engen Gärten gebannt, auf alles Volksthümliche so sehr von oben herabzuschauen beliebte.

Diesen vereinten Angriffen der kirchlichen und weltlichen Potentaten sowie einer auswüchsigen Civilisation unterlagen schließlich die heiteren Volksfeste, und schon gegen das Ende des Mittelalters war an den meisten Orten von ihnen nichts mehr übrig, als das volksthümliche Tanz- und Trinkgelage, wie es aus unserem heutigen wohlgelungenen Bilde des talentvollen J. Adam (vergl. Seite 380 und 381), welches uns in die Zeiten des sechszehnten Jahrhunderts zurückversetzt, dargestellt wird. Es währte aber nicht lange, und auch der städtische Patricier und der Honoratiorenmensch des Dorfes hielten es für unter ihrer Würde, mit dem sogenannten Volk in Berührung zu kommen. Da wären wir schließlich in der Gegenwart angelangt, wo Jeder für sich den Maigrafen abholt, wo Menschenschwärme nach dem Gebirge hin ausströmen, in enge Gesellschaftscirkel eingetheilt und scheu einander aus dem Wege weichend, wo die Sitte, das Haus mit Maien zu schmücken, zu recht profanem Marktgeschäft herabsank.

Nur in einigen Städten, in welchen die Veranstaltung des Festes von Innungen, Schützengilden und anderen Corporationen geleitet wurde, erhielt sich die alte Sitte, wiewohl in äußerst verzerrter Form. Welchen Wandlungen ein solches Fest im Laufe der Zeit unterworfen war, darüber belehrt uns ein nicht umfangreiches, aber für den Culturhistoriker sehr interessantes Werkchen „Das Mai-Abendfest in Bochum“ von Max Seippel. Ist es doch in dieser Stadt schließlich soweit gekommen, daß der Einfachheit und Bequemlichkeit halber nicht der Maibaum, auf welchen den Bochumern ein ausdrückliches Anrecht zugestanden war, aus dem benachbarten Walde abgeholt, sondern der dortigen Schützengilde eine Abfindungssumme von acht Thalern gezahlt wurde.

Die sogenannten besseren Stände ziehen sich heute wieder mehr als jemals von den Volksfesten zurück, indem sie über die zunehmende Rohheit der Massen klagen. Aber sie vergessen dabei leider nur allzu oft, daß sie daran zum großen Thema selbst schuld sind; denn wenn die besseren Elemente von den öffentlichen Festen fernbleiben, so gewinnt bei diesen natürlich der Pöbel die Oberhand, und man darf sich unter solchen Umständen nicht wundern, daß die Kluft des Standesunterschiedes sich immer mehr erweitert und die Rohheit in den sich selbst überlassenen unteren Schichten der Gesellschaft zunimmt.

Gegen gewisse Uebel unseres socialen Lebens bilden die öffentlichen Feste, an denen sich Jedermann betheiligen darf, ein gutes Heilmittel, und da unsere Zeit an echtem volksthümlichem Sinne so arm ist, sollten wir dahin streben, die alten Volksbräuche nach Kräften zu erhalten.

St. J.




Bruderpflicht.
Erzählung von Levin Schücking.
(Schluß.)


Vater und Sohn standen eine Weile einander schweigend gegenüber. In Aurel’s Mienen lag der Ausdruck einer tiefen Wehmuth; der alte Lanken sah ihm mit immer starrer und steinerner werdenden Zügen in’s Gesicht, und endlich murmelte er:

„Also sie hatten die Papiere. Lily hatte sie genommen, und wir klagten andere Menschen des Diebstahls an. Ist mehr, als ich vertragen kann, Aurel, viel mehr. Mach’, daß ich fortkomme! Geh’ in meine Wälder nach Michigan zurück. Ist keine gute Luft hier für mich, nicht gesund für unser eins! Aurel, für Dich wär’ es das Beste, Du kämst mit – mit mir hinüber.“

„Vielleicht,“ sagte Aurel gedankenvoll. „Wir werden sehen. Vielleicht! Für’s Erste habe ich hier eine heilige Pflicht zu erfüllen, eine schwere Pflicht, aber erfüllt soll sie werden.“

Er klingelte und verlangte nach seinem Wagen.

„Was willst Du, Aurel?“ fragte der alte Lanken.

„Als reuiger Mensch meine Schuld bekennen!“

„Ah – Du willst –“

„Thun, was ich dem Herzoge, dem Grafen schuldig bin!“

Der alte Thierarzt sah ihn an, schüttelte den Kopf, nickte und sagte dann mit einem herzhaften Seufzer:

„Bist doch ein ehrlicher Kerl geblieben bei aller Ministerschaft, Aurel!“

Als der Wagen vorgefahren war, eilte Aurel hinab und befahl seinem Kutscher:

„Zur Residenz des Herzogs.“ – –

Der Herzog war wenig aus Aurel’s Besuch gefaßt. Er empfing ihn mit einer ein wenig gerunzelten Stirn.

„Sie, Lanken?“ sagte er. „Ich dachte, wir hätten uns gegenseitig ausgesprochen, und es sei Alles gesagt.“

„Leider nicht Alles, Hoheit, etwas – das Sie von meinen eigenen Lippen hören müssen, noch nicht.“

„Und was kann das sein?“

„Ein Schuldbekenntniß und eine Ehrenerklärung. Ich habe Ihnen gesagt, Hoheit, daß die bewußten Documente gestohlen seien. Indem ich dies aussprach, erhob ich eine Anklage wider den Herrn Graf Gollheim. Darin liegt meine Schuld.“

„Ihre Schuld? Ich bin begierig –“

„Die Documente sind nicht gestohlen. Meine Schwester selbst hat sie, ohne mein und meines Vaters Vorwissen, an sich genommen und in die Hände des Rechtsanwalts Gruber gelegt. Gruber ist von ihr zur Annulirung ihrer Ehe mit Ludwig Gollheim bevollmächtigt.“

„Ah, ich denke, desto besser – für Euch Alle!“

„Vielleicht, Hoheit! In diesem Augenblick fühle ich nur die bittere Reue, vor meinem Fürsten eine ungerechte Anklage gegen einen seiner ersten Diener ausgesprochen zu haben. Ich werde mir das nie verzeihen.“

„Sie sind ein ehrlicher Mann, Lanken,“ sagte der Herzog, nachdem er Aurel eine Weile schweigend angeblickt hatten „ja, ein ehrlicher Mann, und ich weiß nicht,“ setzte er nachdenklich hinzu, „wer Sie mir ersetzen soll. Ihr Vater –“

„Ist auch ein ehrlicher Mann, Hoheit, und –“

„Ich will nichts wider ihn sagen, aber wäre er drüben geblieben –“

„Er wird, denk’ ich, zurückreisen.“

„Er wird zurückreisen? Dann – wissen Sie was, Lanken? Nehmen Sie einige Monate, ein Jahr meinethalben Urlaub! Wenn Sie wollen, werde ich Ihnen eine diplomatische Mission in’s Ausland geben, und nachher –“

„Hoheit,“ versetzte Aurel schmerzlich lächelnd, „in’s Ausland denke ich zu gehen. Ich werde meinem Vater zur Seite bleiben.“

„In der That? Nun, so gehen Sie! Aber kehren Sie zurück,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 382. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_382.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)