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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

zeitweise aufgehoben, aber stets wieder erneut worden, und selbst in den gesetzlichen Bestimmungen über die Vereinigung Ungarns und Siebenbürgens von 1868 setzt der dreiundvierzigste Artikel Folgendes fest:

„§ 10. Behufs von Sicherstellung der Innerverwaltungsrechte der Stühle, Districte und Städte des Königsbodens, der Organisirung ihrer Vertretung und der Feststellung des Rechtskreises der sächsischen Nationsuniversität wird das Ministerium beauftragt, nach Anhörung der Betreffenden dem Reichstage einen solchen Gesetzentwurf vorzulegen, welcher sowohl die auf Gesetzen und Verträgen beruhenden Rechte, als auch die Gleichberechtigung der auf diesem Territorium wohnenden Staatsbürger gehörig zu berücksichtigen und in Einklang zu bringen haben wird.

§ 11. Die sächsische Nationsuniversität wird auch hinfort in dem den XIII siebenbürgischen Gesetzartikeln von 1791 entsprechenden Wirkungskreise unter Aufrechterhaltung des obersten durch das ungarische verantwortliche Ministerium auszuübenden Aufsichtsrechtes Sr. Majestät belassen, mit dem Unterschiede, daß die Universitäts-Versammlung in Folge der Veränderung in dem System der Rechtspflege die richterliche Jurisdiction nicht mehr ausüben kann.“

Diese beiden Paragraphen mußten wir hier abdrucken; denn sie bestehen noch zu Recht; sie sind nicht aufgehoben – aber von dem, was sie zusichern und zu beschützen versprechen, steht kein Stein mehr auf dem andern.

Was diese Sachsen siebenhundert Jahre lang festgehalten, was sie selbst aus der furchtbarsten Zeit der Türkenherrschaft über Ungarn und Siebenbürgen, „jenen entsetzlichen zweihundert Jahren voll Mut, Trümmer und Thränen, die mit der Schlacht von Mohacz (1526) begannen und erst mit der dauernden Herstellung habsburgischer Herrschaft (1691) endeten“ – was sie aus dieser Zeit treu und muthig gerettet: ihre deutsche Nationalität, sie soll in der und trotz jener Paragraphen –„durch eine ununterbrochene Kette der flagrantesten Rechtsverletzungen und des rücksichtslosesten Mißbrauchs der Macht“ eines hohnlachenden Magyaren-Parlamentes und eines siegschmunzelnden Ministers ausgerottet werden.

Daß „deutsch sein“ und „Verbrecher sein“ längst in der Logik des blinden Hasses bei den Magyaren gleichbedeutend geworden, zeigt die Hinrichtung des evangelischen Pfarrers Roth in Klausenburg am 11. Mai 1849 (vergl. „Gartenlaube“ 1862, Seite 407). Stand auch das Gericht unter dem Einflusse der Revolution, in welcher die Sachsen treu zum Hause Oesterreich gehalten hatten (um später das Schicksal Tirols von 1809 zu theilen), so ist doch das Charakteristischeste des Todesurtheils die Bemerkung des ungarischen Regierungscommissars Chány: daß Roth nicht einen, sondern zehn Tode verdient habe, „weil er an der Vertilgung der ungarischen Nation gearbeitet“, das heißt die Einwanderung Deutscher in Siebenbürgen gefördert habe.

Schon zu Anfang der fünfziger Jahre begann der Sturmlauf gegen die deutsche Rechtsakademie in Hermannstadt, und so „energisch“ ging man gegen die hervorragenden Persönlichkeiten derselben vor, daß durch die unaufhörlichen Kränkungen und Bedrückungen einer der edelsten Männer, Professor Heinrich Schmidt (der mit uns in Jena am „Ungarntisch“ gesessen und der Liebling Aller war) in Verzweiflung und Tod gehetzt wurde.

Dies Alles waren nur Vorspiele. Das Nationaltrauerspiel begann mit dem „Ausgleich“ von 1867, durch welchen Siebenbürgen in die Gewalt der Ungarn kam. Das Magyaren-Parlament ertheilte dem Minister des Innern sofort ein ganz neues Recht zu einem konstitutionellen Staate: das Recht der „freien Hand“ zum beliebigen Gebrauch aller Machtmittel, welche dem dermaligen obersten Staatszweck der Magyarisirung aller Unterthanen der Stephanskrone dienen.

Alle Maßregeln, welche zu diesem Behufe gegen „die Deutschen in Ungarn“ ergingen (vergl. unsern. Artikel in Nr. 25 von 1880), wurden auch auf die Walachen und Sachsen Siebenbürgens ausgedehnt. Nur fand man gegen letztere besondere Härten nöthig, und durfte zum Wohlgefühl der Rache – der Hohn nicht fehlen.

Der erste Mann im Sachsenlande, der von der Nation auf Lebenszeit freigewählte und von der Krone bestätigte Nationalgraf (Comes) konnte selbstverständlich nur ein unantastbarer Ehrenmann sein. Als solcher hatte Conrad Schmidt sich erwiesen und selbst im Reichstage die Hochachtung aller Würdigen sich errungen. – Kaum war dem ungarischen Ministerium „die freie Hand“ gegeben, so benutzte es dieselbe, um – ohne Angabe irgend welchen Grundes – den „für Lebenszeit gewählten und von der Krone bestätigten“ Comes C. Schmidt ohne Weiteres seines Postens zu entheben und an seine Stelle ein gefügiges Werkzeug des Magyarismus zu setzen, denn das genügte vollauf, die betreffende Person zum Vertrauensmann der ungarischen Regierung zu stempeln. Die höchste Würde des Sachsenvolkes aber war in den Staub getreten.

Das geschah im Februar 1868. Noch in demselben Jahre beorderte das Ministerium Andrassy einen mit diktatorischer Gewalt ausgerüsteten königlichen Commissar nach Siebenbürgen, welcher dasselbe mit „freies Hand“ zu verwalten hatte. Diese freie Hand löste sofort die gesetzlichen Vertretungskörper der sächsischen Nation auf und ertheilte einer großen Anzahl rumänischer Dörfer, die früher nicht zum Sachsenlande gehört hatten, das Wahlrecht zur sächsischen Nationsuniversität und folglich zum Mitgenuß des rein sächsischen Privatvermögens.

Mundtodt war die Sachsennation gemacht, aber sie lebte noch als solche, und auch das sollte ein Ende nehmen. Den Triumph dieses schwersten Schlages behielt sich das Ministerium Tisza vor und sicherte ihn durch seine neue magyarisch-constitutionelle Errungenschaft: die Parlaments-Allgewalt über Alles, was Gesetz und Recht heißt, auch wenn jenes noch so feierlich beschworen und dieses noch so fest verbürgt worden ist.

Mit dieser neuen Waffe in der „freien Hand“ legte das Ministerium Tisza zu Anfang des Jahres 1876 dem ungarischen Reichstag einen Gesetzentwurf vor, welcher die Zerreißung des Sachsenlandes und die beliebige Zuweisung der Bestandtheile desselben an die bestehenden oder an neu zu bildende Comitate in Siebenbürgen verfügt, das Amt des Sachsengrafen (Comes) für erloschen erklärt, den der sächsischen Nationsuniversität seit Jahrhunderten zugestandenen und noch vor Kurzem neu garantirten Wirkungskreis aufhebt und dieselbe zu einem bloßen Verwaltungsorgane bezüglich des sächsischen Nationalvermögens degradirt.

Es war ein Anblick zum Erbarmen und zum Bewundern, der viertägige Kampf der Sachsen für ihr Recht im ungarischen Landtage. Die Tage des 22., 23., 24. und 27. März 1876 bilden für die Geschichte des „Sachsenlandes“, des „Königsbodens“, das letzte Blatt, aber es bleibt für sie ein Ehrenblatt für alle Zeiten. Die tüchtigsten Männer und besten Redner der Sachsen traten hier in die Schranken. Was gediegenste Rechtskunde, Staatsweisheit und Vaterlandsliebe nur immer an geistigem Rüstzeug bieten konnte, ward von Männern, wie Gustav Kapp, Guido von Baußnern, Adolf Zay, Karl Gebbel, Emil von Trauschenfels und Eduard Steinacker in den Kampf getragen; in jeder gerechteren Versammlung hätten Inhalt, Werth und Wucht der Worte Eindruck machen müssen: hier stand das kleine Häuflein der fünfzehn „treuen“ Sachsen (zwei Sachsen: Friedrich Wächter und Fabricius, waren untreu geworden), und ihnen gegenüber standen die in ihrem Stolze und Hasse einmüthigen Magyaren, denen sich, weil es gegen die Deutschen ging, auch Rumänen, Slaven und magyarisirte Deutsch-Juden dienstwonnig anschlossen. Hier der glühende Eifer edler Männer – und dort die fanatische Masse, welche die Redner oft mit Lärm und Toben unterbrach, – bis endlich selbst Baußnern’s mahnender Appell an die Ehre der magyarischen Nation, die nicht durch Wortbruch sich schänden dürfe, mit Hohngelächter beantwortet worden war. Nach der Spiegelfechterei der Abstimmung, deren Resultat der Ministerpräsident Coloman von Tisza mit der Phrase, würdig der schlimmsten Tage des „Convents“, krönte: „Ueber der parlamentarischen Gewalt steht nur die allgemeine ewige Gerechtigkeit“ – verließen die Sachsen den Landtagssaal. Ihr Name war auf der Landkarte Ungarns ausgewischt.

(Schluß folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 378. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_378.jpg&oldid=- (Version vom 11.9.2022)