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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Schlosse; denn in dem Ueberreste seiner Mauern – es war fast nichts mehr als ein alter Thurm, der noch stand – wohnte ein Jäger mit zwei Söhnen, denen das Allerschlimmste nachgesagt wurde. Sie waren überdies die vertrautesten Freunde und Spießgesellen des Hösch. Niemand jedoch wagte es, einer Muthmaßung Worte zu leihen – da erschien auf einmal Einer, den man nicht erwartete. Hösch selber war es, der sich mitten unter die Menge hineindrängte, den Todten aufmerksam betrachtete und dann mit kalter Gelassenheit erklärte, was er von der Sache halte.

„Da waren ihrer Mehrere dabei!“ rief er aus. „Seht, das da ist einmal eine Stichwunde, und dies hier ist eine Schußwunde; das hat nicht Einer allein gethan! Verrücke ja Niemand die Lage des Ermordeten! Ich gehe und mache beim Landgericht die Anzeige.“

Damit ging er weg mit einer Ruhe und Sicherheit, als wäre er der Untersuchungsrichter selbst. Die Leute sahen ihm erst stumm nach, dann aber nahm ein alter Bauer das Wort und sprach.

„Ich nehme Euch Alle zu Zeugen, daß aus zwei von den Wunden hier, so lange der Hösch dagestanden, Blut geflossen ist. Ich für meinen Theil weiß jetzt den Mörder; von Euch mag Jeder denken, was er will, aber das Blut habt Ihr Alle gesehen“

„Ja, das haben wir,“ hieß es einstimmig, „und das Gericht soll es hören und erfahren.“

Die Nachricht von dem schrecklichen Vorfall kam nach wenigen Stunden auch dem Schreiber Sebald zu Gehör, und auch er zweifelte nicht, daß Hösch der Mörder sei. Sein Principal warnte ihn jedoch, eine belastende Vermuthung auszusprechen; man könne darum verklagt werden, und wenn der Schuldige höre, daß man ihn im Verdacht habe, so könne er sich bei Zeiten davon machen. Sebald merkte sich das und schwieg. Daß die Unthat auf dem Wege geschehen war, den er jeden Abend zu gehen, den er kaum ein paar Stunden vor dem blutigen Ereigniß selbst noch zurückgelegt hatte, das erschütterte ihn tief, ja es erfüllte ihn mit unsäglichem Schrecken. Als aber nun Hösch wirklich verhaftet wurde, da triumphirte er. Mit fieberhafter Spannung horchte er auf jedes Wort über den Verlauf des Verhörs und faßte Alles zusammen, was die Schuld an den Tag bringen konnte. Er ging auf dem Lande bei den Bauern umher und sammelte Indicien; er machte verschiedene Anzeigen und ergriff jede Gelegenheit, neue Verdachtsgründe herbeizubringen. Am glücklichsten wäre er gewesen, wenn man ihm die Leitung der ganzen Angelegenheit übertragen hätte. In dieser rastlosen, aufreibenden Thätigkeit gönnte er sich weder Ruhe noch Erholung, und mehr als je schlug er die Codices nach und recapitulirte das peinliche Verfahren.

Eines Nachts aber überkam ihn ein seltsamer Traum. Ihm war, es sei wieder an jenem Sonntagsmorgen; der Todte lag an der Straße; er kam dazu, und wie er näher trat – o Schrecken – da fingen die Wunden des Erschlagenen an zu bluten. Aller Augen richteten sich nach ihm; er hatte das Gefühl, daß man ihn für den Mörder hielt, und wie er sich vertheidigen wollte, versagte ihm die Stimme; er brachte kein Wort hervor. Er erblaßt und flieht, und Alles ruft ihm nach. „Er ist’s – er ist der Mörder. Ergreift ihn!“ Mit heftigem Herzklopfen und in Angstschweiß erwachte der arme Mann.

Der Traum ging ihm nicht aus dem Sinne er hatte sich so lange mit all den Anzeigen und Anzeichen des Mordes und der Möglichkeit einer gewichtigen Anklage zu thun gemacht, daß er jetzt vor sich selbst erschrak, sich sagen mußte, wenn man so durchdringend, so unablässig vorgehe, wie er, so könnte am Ende Niemand mehr sicher sein und sogar er selbst, wie im Traum, schuldig erscheinen müssen. Dieser Gedanke setzte. sich nach und nach so in ihm fest, daß er sich nicht wieder von ihm befreien konnten doch hütete er sich sorgfältig, Jemandem davon Mittheilung zu machen; und um so tiefer schlug der Argwohn gegen sich selbst in ihm Wurzel und drohte, seine Vernunft völlig zu überwältigen.

Eines Tages sagte sein Principal ganz unbefangen zu ihm.

„Nun Hösch ist freigelassen; der Verdacht hat sich gegen ein anderes Individuum gerichtet.“

„So,“ erwiderte Sebald ärgerlich, „so – gegen ein anderes Individuum? Wenn es nur kein unschuldiges ist – die Wege der Justiz sind unerforschlich.“

„Ei,“ versetzte der Anwalt, „von Ihnen hätte ich ein solches Mißtrauensvotum gegen uns Juristen am wenigsten erwartet.“

Dem unglücklichen Schreiber kam es vor, als ob der Blick seines Principals durchdringend aus ihn gerichtet fei; er fühlte etwas wie Zorn in seinem Herzen und unmuthig erwiderte er:

„Nun wenn man solch erwiesene Verbrecher freigiebt, dann dürfte sich wohl Niemand mehr sicher fühlen.“

„Ja, ja,“ lachte der Principal, „besonders wenn es nach Ihren Principien ginge und die Tortur wieder eingeführt würde. Aber was ist Ihnen, sind Sie nicht wohl?“

„Ich? O nein, mir ist ganz wohl,“ murmelte Sebald und setzte sich, indem er Feder und Papier zurecht legte, um seine Aufregung zu verbergen.

Was war die Ursache? Sein Unwille über die Freilassung des Hösch, oder hatte er an seinen Traum gedacht? Indem er seine Feder zuschnitt, zitterte seine Hand, sodaß er sich verletzte und einige Tropfen Blut auf den Aermel spritzten

Eben trat der Gerichtsdiener in's Zimmer, der sich gern einen Scherz über den Schreiber erlaubte, weil dieser für einen geizigen Hagestolz galt.

„Ei,“ rannte er ihm zu, „das Blut waschen Sie ja gleich weg! Sonst bringen Sie die Flecken nicht mehr heraus, und man hält Sie am Ende gar für einen Mitschuldigen des Hösch.“

Sebald lächelte, drückte aber das Gesicht tiefer in’s Concept; die Stichelreden des groben Menschen hatten ihn verletzt; er wurde über und über roth.

„Wenn auch noch der Spürhund hinter Dir her ist,“ sagte er zu sich selbst, „dann ist es um Dich und Deinen ehrlichen Namen geschehen.“

So geängstigt und gedrängt von innerer Unruhe, wie er war, konnte ihm nichts angelegener sein, als daß der wirkliche Schuldige möglichst bald entdeckt würde. Er nahm sich vor, ein kleines Wirthshaus, das auf seinem Heimwege lag, zu besuchen, weil er wußte, daß dort allerlei anrüchige Leute zusammen kamen, von denen leicht etwas zu erfahren war – um so mehr, da die Freigebung des Hösch das Stadt- und Landgespräch bildete.

Sonst war er nur mit Grauen und Abscheu an der Thür der verrufenen Kneipe vorbeigegangen; heute zog es ihn mächtig dahin. Die beiden Söhne des Försters kehrten häufig dort ein; von ihnen war vielleicht etwas zu erfahren, wie er es wünschte, aus leichtsinnigen oder frechen Reden vielleicht, die von Anderen nicht beachtet wurden, ihm aber wichtige Anhaltspunkte gaben; dafür war er der Mann; er hatte Praxis in solchen Dingen.

Bei seinem Eintritt erblickte er sogleich die Gesuchten. Die Wirthin grüßte ihn mit besonderer Aufmerksamkeit.

„Eine seltene Ehre,“ redete sie ihn an, „daß der Herr Oberschreiber bei uns einkehrt. Haben Recht. Der Weg ist weit, und einige Stärkung wird Ihnen nöthig sein; die Arbeiten bei Gericht haben sich zu sehr gehäuft, hört man sagen. Was ist gefällig?“

Sebald ließ sich einen Schoppen Wein vorsetzen; sein Blick überflog die Anwesenden. Da waren außer den Jägern noch ein Hausirer aus dem Montafun, ein schwarzbärtiger breitschulteriger Mann aus dem romanischen Berglande, ein paar heimkehrende Maurer und ein sogenannter Wegmacher, ein Steinklopfer von der Landstraße. Oben an der Ecke des Daches saß der Wirth, den Arm seiner Gewohnheit gemäß aufgestützt, als wäre er immer in Bereitschaft sich Platz mit dem Ellenbogen zu verschaffen. Er war ein riesiger Mann und, wie man ihm ansah, von ungewöhnlicher Stärke; sein Gesicht war glatt rasirt, sein Scheitel dünnbehaart, aber ein Büschel rother Haare saß auf seiner gleichfalls rothen Nase, was ihm ein seltsames Aussehen gab. Trotz seiner hünenhaften Gestalt und Körperstärke hatte er doch nie das Faustrecht geübt, sondern alle seine Streitigkeiten vor den Civilrichter gebracht und in seinem Leben mehr Processe als irgend ein Christenmensch geführt. Er war deshalb auch ein ebenso guter Jurist, wie der Schreiber des Advocaten, vor dem er stets großen Respect an den Tag legte.

„Das allein freut mich,“ rief er aus, „daß sie den Hösch wieder freigeben mußten; ich halte zwar selbst nichts Gutes von dem Spitzbuben, aber auf solche Indicien hin Einen zu verhaften, das ist unerhört. Was – weil Blut aus der Wunde des Gemordeten floß – deshalb? Ist das nicht eine Schande für unser aufgeklärtes Jahrhundert? Schöne Justiz das!“

Damit ließ er seine Faust auf den Tisch prallen, daß die Gläser klirrten.

„Erlaubt mir,“ fiel der Schreiber ein, „nicht deshalb hat man

den Hösch festgesetzt, sondern weil sein Benehmen, seine Aeußerungen

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