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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


und namentlich der letzte Präsidentenhaushalt konnte in jeder Beziehung dem amerikanischen Volke als ein nachahmungswürdiges Muster dienen. Demokratische Einfachheit und fürstliche Etiquette finden sich im Weißen Hause, wenn auch nicht verschmolzen, doch neben einander gereiht. Wenn auch weder Fässer mit Orangenpunsch noch Käselaibe zur Bewirthung des Volkes aufgestellt werden, so hat doch jeder anständig gekleidete, nüchterne und sauber gewaschene Mensch freien Zutritt in das Wohngebäude des Präsidenten und zu den gewöhnlichen Audienzstunden von Morgens zehn bis Nachmittags zwei Uhr zu dem Präsidenten selbst. Man kann dort täglich, namentlich zur Zeit der Congreßsitzungen, Schaaren von Bürgern und Bürgerinnen, oft unter Führung des Congreßrepräsentanten ihres Bezirks, das Audienzzimmer betreten und dem Präsidenten durch ein Schütteln der Hand ihre Achtung bezeigen sehen, und während der Saison - das heißt im Januar und Februar - giebt die Gemahlin des Präsidenten öffentlichen Empfang, welcher jeden Samstag von drei bis fünf Uhr Nachmittags stattfindet. Um diese Zeit sind alle Empfangszimmer geöffnet, und Vornehm und Gering, Reich und Arm hat Zutritt und marschirt im Zuge bei der Präsidentin vorbei, welche, von den besonders hierzu eingeladenen Damen der Minister, Senatoren und sonst bevorzugter Personen umgeben, jedem und jeder Besuchenden die Hand giebt und sich mit Einzelnen unterhält.

Eigentliche Staatsdiners giebt es wenige, und da die Gemahlin des vorigen Präsidenten Hayes in ihrem Hause den Gebrauch von Wein nicht duldete, so waren diese Diners in der letzten Zeit fast ein Gegenstand der Verspottung. Nur als vor einigen Jahren die russischen Großfürsten mit dem russischen Kriegsgeschwader in die amerikanischen Gewässer kamen und ihnen zu Ehren ein Gastmahl im Weißen Hause gegeben wurde, setzte es der Staatssecretär durch, daß trotz der Schrullen der Frau Präsidentin den Gästen, wie dies bei solchen Gelegenheiten an königlichen Tafeln gebräuchlich, Wein credenzt wurde, während der Präsident selbst und seine Familie sich mit Kaffee begnügten.

Außer einigen Empfangsabenden des Präsidenten, zu denen Jedermann Zutritt hat, findet einmal im Winter zu Ehren des diplomatischen Corps ein Lever statt, zu welchem nur die höheren Civil- und Militärwürdenträger, die Mitglieder des Senates und Repräsentantenhauses und hervorragende Bürger mit ihren Familien eingeladen werden. Das Ceremoniell ist dem bei fürstlichen Soirées sehr ähnlich. Die Gäste ziehen bei dem Präsidenten und seiner Gemahlin vorüber und werden von dem als Ceremonienmeister fungirenden Beamten aus dem Haushalte dem Präsidenten vorgestellt, welcher dem so Vorgestellten die Hand reicht und ihn dann seiner Gemahlin vorstellt. Im Uebrigen geht es so wie etwa an dem gastfreundlichen Hofe des Königs von Sachsen zu.

Die hauptsächlichste officielle Feierlichkeit, bei welcher förmliche Hofetiquette mit republikanischer Einfachheit Hand in Hand geht, ist der Neujahrsempfang im „Weißen Hause“. Wie in den monarchischen Residenzstädten durch gedruckte Hof-Ansagen, so wird in der Bundeshauptstadt der Vereinigten Staaten das am ersten Tage des neuen Jahres in dem Hause des Präsidenten zu beobachtende Ceremoniell in den Zeitungen bekannt gemacht. Zu dieser Feierlichkeit wird das „Weiße Haus“ mit Allem, was die Treibhäuser des botanischen Gartens, des landwirthschaftlichen Departements und der mit der Präsidentenwohnung verbundenen Gärten liefern können, geschmückt und die Musikcapelle des Marinecorps in ihren glänzenden Uniformen in der geräumigen Vorhalle stationirt, damit sie während des Empfanges durch Vorträge nationaler Melodieen die feierliche Stimmung erhöhe.

Statt der an fürstlichen Höfen bei solchen Gelegenheiten aufgestellten Livréebedienung fungiren hier Polizisten der Hauptstadt in ihren einfachen, aber kleidsamen Uniformen, um sowohl vor als in dem Hause ordnend und leitend einzugreifen. Der Empfang, welcher programmgemäß vier Stunden dauert, von denen die beiden ersten den officiellen Persönlichkeiten und die beiden letzten dem Volke gewidmet sind, wird um 11 Uhr Vormittags durch die Cabinetsmitglieder und das diplomatische Corps eröffnet, denen in Zwischenräumen von je 15 Minuten die Mitglieder des obersten Bundesgerichtes, die Senatoren und Congreßrepräsentanten, dann die Officiere der Armee und Flotte und die sonstigen höheren Beamten folgen. Wenn man die glänzenden Uniformen der Diplomaten und die nicht minder glänzenden der höheren Armee-Officiere bei dieser Gelegenheit betrachtet, so möchte man wirklich zweifeln, ob man an einem „republikanischen Hofe“ sich befindet.

Um 1. Uhr des Nachmittags wird das Haus dem Volke geöffnet, und jetzt beginnt der echt demokratische Theil des Festes. Jeder anständig aussehende Mensch, Mann oder Frau, hat jetzt Zutritt zu dem obersten Beamten des Landes. In langen unabsehbaren Reihen, ohne Unterschied des Ranges oder des Standes, der Hautfarbe oder des Geschlechtes, in vollkommen demokratischer Gleichheit, bewegen sich die Bürger und Bürgerinnen durch die Säle und schütteln im Vorbeizuge ihrem Präsidenten die Hand, welcher, umgeben von seiner Familie und den geladenen Damen, mit derselben freundlichen Miene, die er für den reichsten Bürger zur Verfügung hat, den armen anspruchslosen Neger und Schuhputzer begrüßt. Wer dir heute Morgen den Bart geschoren oder die Stiefel geputzt, ist jetzt vielleicht dein Vormann in der Reihe; denn er ist früher als du auf dem Platze gewesen und die Neuankommenden haben sich dem Ende der Reihe anzuschließen.

So wird man empfangen „am Hofe“ der durch die Werke der friedlichen Arbeit gewaltig emporwachsenden amerikanischen Republik.

L. B.




Deutschlands Kampf mit der Nordsee.
Wie wir unsere Nordsee-Inseln schützen.

Während der Festländer den klaren Landsee oft mit einem Auge vergleicht, nennt umgekehrt der seegewohnte Küsten- und Inselbewohner viele jener Eilande, welche unsere Nordseeküste umsäumen, in poetischer Deutung des Bildes, das sie gewähren, „Oog“, d. h. Auge. Wangeroog, Spiekeroog, Langeoog bringen in der letzten Silbe ihres Namens jenen Vergleich zum Ausdruck. Und wahrlich! als ob ein Stück Meeresboden, müde der ewigen Nacht, einmal einen Blick hätte hineinwerfen wollen in die sonnenbeschienene Welt, so ragen die grauen Dünenhäupter aus den Fluthen empor - unheimlich und fremdartig.

Wie ein gelblicher Streifen zieht sich, an hellen Tagen vom Festlande aus deutlich erkennbar, jene Inselkette längs der Küste hin. In starrer Eintönigkeit reiht sich ein Eiland an das andere, von diesem getrennt durch einen breiten Wasserstreifen, das sogenannte „Seegat“.

Es ist ein seltsames Gemälde, das sich beim Betreten einer dieser Inseln vor uns entrollt. Weithin erstreckt ein grauer Strand sein ungastliches Gestade, und halb im Sande versunken, lagern die Gerippe einiger Wracks, deren dunkle Umrisse sich scharf abheben von der blendenden Sandfläche. Allmählich steigt diese empor, den Uebergang zur eigentlichen Insel, den Dünen, bildend, und statt des üppigen Grün, das in den reichen Marschgegenden des benachbarten Festlandes das Auge erquickt, fristet hier nur der Sandhafer ein kümmerliches Dasein. Finster und ernst blicken die Sandriesen hinab auf die weite See, zu ihren Füßen aber rauscht die Brandung ihr eintöniges Lied - heute wie vor Tausenden von Jahren. Alles schweigt ringsum, nur der unangenehme Schrei einer Möve unterbricht hin und wieder die traurige Einförmigkeit. Der Geist der Verlassenheit lagert über dieser Landschaft, die, jeder Cultur unzugänglich, dazu bestimmt erscheint, zahllosen Schiffen und Seeleuten ein frühes Grab zu bereiten.

Und doch sind gerade diese Inseln für unser Vaterland von unschätzbarem Werth; denn wie gewaltige Forts einer Festung erheben sie sich vor unseren Küsten und gestatten dem drohenden Feinde, der stürmischen Nordsee, nur einen schmalen Durchgang durch die sie trennenden Zwischenräume, die „Seegaten“. Zweimal täglich ergießt das Meer durch diese Oeffnungen hindurch seine Fluthen über das zwischen der Inselkette und den Deichen des Festlandes belegene Fluthgebiet, und ebenso oft innerhalb vierundzwanzig Stunden strömen jene Wassermassen in die eigentliche See zurück. Ihr Kommen und Gehen ist an ewige Gesetze gebunden; denn mit dem Augenblick der tiefsten Ebbe beginnen die Fluthen hinein zu brausen auf das Watt, um nach genau sechs Stunden und zwölfeinhalb Minuten den umgekehrten Weg anzutreten und nach Verlauf derselben Zeit abermals zurückzukehren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 344. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_344.jpg&oldid=- (Version vom 12.12.2020)