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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


compromittirten. Es war dies nun schon das zweite Mal. Zunächst aber mußte gehandelt werden, um ihn seiner mißlichen Lage rasch zu entziehen; deshalb ließ Aurel sofort seinen Wagen anspannen und warf sich, als dieser vorgefahren war, hinein, um sich auf die Polizeidirection bringen zu lassen.

Als er auf dieser ankam, deren Hauptgeschoß die Wohnung des Directors enthielt, wurde er diensteifrig in den Salon hinausgeführt, einen etwas düster und streng aussehenden Raum mit einer bescheidenen, altfränkischen Einrichtung, die aber heute ein heiteres Bild gewährte, da sie durch eine wohlbesetzte Frühstückstafel belebt war, an der zwei alte Herren sich niedergelassen hatten; sie waren in lebhafter Conversation begriffen: und diese beiden alten Herren waren Niemand anders, als der gestrenge Polizeichef der Residenz und der alte Thierarzt selber, der seinem Sohne bei dessen Eintreten heiter und vergnügt zunickte. Der Polizeidirector sprang auf. „Excellenz sind es selber,“ rief er, Aurel entgegengehend, „in der That, ich kann mir Glück wünschen zu diesem kleinen Ereigniß, welches mir die Ehre verschafft, die beiden Herren hier zu einem morgendlichen Symposion zu vereinigen – ich darf doch bitten, mit uns vorlieb zu nehmen.“

Es war ein gemüthlicher dicker Herr mit einem rothen Gesichte, der Polizeidirector, in seinem Wesen und Plaudern die Harmlosigkeit selber – nur die ungewöhnlich lebhaften runden, grauen Augen leuchteten von etwas wie einer energischen Intelligenz, der nicht ganz „über den Weg zu trauen“ war.

Aurel reichte ihm die Hand und nahm zwischen den beiden Grauköpfen, die sich so gut und friedlich zu unterhalten schienen, Platz, um sich nun zunächst das Vorgefallene erzählen zu lassen. Der Polizeidirector hatte erst am gestrigen Abende spät aus dem ihm überbrachten Tagesrapporte die Namen der Verhafteten ersehen, und nun Lanken schon am frühen Morgen sagen lassen, daß er ihn bei sich zu sehen wünsche und zu seinem Frühstücke heraufzukommen bitte. Beim Frühstücke hatte sich dann das Verhör in eine harmlose Conversation einkleiden lassen, deren Ende nur Entschuldigungen des gestrengen Polizeihauptes für seine Myrmidonen waren – die Commissare und Polizisten hatten eben strenge Befehle, gegen Ruhestörungen jeder Art bei den Arbeiterversammlungen unnachsichtlich und ohne Ansehen der Person einzuschreiten. Daher das Vorgefallene!

Auch Aurel mußte dies gelten lassen, und nachdem man sich darüber ausgesprochen, hörte er mit Interesse, daß der Director und sein Vater eigentlich gute alte Freunde waren; denn in dem Sturmjahre des „Völkerfrühlings“ hatte der Director, der damals noch sehr jung gewesen, auch ein wenig in die „Farbennuance“ – „Welche die Ochsen nicht vertragen können,“ fiel der alte Lanken lachend ein – hinübergeschillert, und mit dem Thierarzte auf einem gar nicht üblen Fuße gestanden. Jetzt gedachte er nur lächelnd dieser „röthlichen Ansichten“. „In der Jugend,“ sagte er, „freut sich der Mensch an Giebelbauten und denkt, es komme Alles auf die Spitze an; wenn er reifer wird, lernt er einsehen, daß die Spitze nicht so wesentlich ist, daß eine Krone da oben ein recht gutes, beruhigendes Ding, aber das Leben auch unter einer Dogenmütze oder einem Präsidentencylinder erträglich ist, und daß Alles auf das Fundament des Staatslebens ankommt, welches da ist ein richtiges und verständiges Wahlgesetz. Das Volk ist das Material des Staatsbaues,“ demonstrirte der rothe gemüthliche Herr mit den funkelnden Aeuglein eifrig weiter; „und wer ein richtiger Baumeister sein will, der sieht sich das Material an, ehe er es benutzt, verwendet das gute, tüchtige, und wirft das schlechte bei Seite. Das sollten unsere Gesetzgeber und Constitutionenmacher sich zum Muster nehmen. Das allgemeine directe Stimmrecht gewähren – das heißt als Baumeister Hausteine, Quadern, Ziegel, Brocken, Klötze, Geröll und Geschiebe unterschiedlos zum Baue verwenden! Wird feste Mauern geben, haltbare Arbeit das! Werden’s ja sehen!“

Das waren nun bureaukratische Anschauungen, gegen welche der alte Thierarzt jeder Zeit bereit gewesen wäre sehr lebhaft zu polemisiren, an denen aber längeren Antheil zu nehmen Aurel heute nicht in der Stimmung war; und so drängte dieser denn nach einer Weile, nachdem er den Chef des Sicherheitsdienstes wiederholt versichert hatte, daß er seinen Organen die stricte Ausführung ihrer Instructionen durchaus nicht verdenken könne, zum Aufbruche. Der alte Lanken würde sich eigentlich recht gern noch ein Weilchen mit dem gestrengen Manne, der ihn hatte einsperren lassen, in gemüthlichen Discussionen ergangen haben, zu innigerer gegenseitiger „Anbiederung“. Aber Aurel mahnte ihn daran, daß es die höchste Zeit sei, heim zu eilen, um Lily zu beruhigen, die wegen des nächtlichen Ausbleibens ihres Vaters in großer Unruhe sein müsse.

Von dem Gedanken an die Grasmücke ergriffen, sprang denn auch der alte Herr lebhaft von seinem Stuhle auf – es drängte ihn nun auch, sich dem Polizeidirector zu empfehlen, und nachdem dies mit einer Wärme geschehen, die nur der aufrichtigsten Versöhnlichkeit entstammen konnte, bestiegen Beide Aurel’s Wagen, um nun ohne Verzug die Wohnung Lanken’s zu erreichen und Lily’s Sorgen ein rasches Ende zu machen.

„Ich habe die ganze Nacht an sie gedacht, die arme Mücke!“ sagte, als sie im Wagen saßen, der alte Herr. „Hätte mir sonst wenig daraus gemacht, einmal das Innere solch einer menschenfreundlichen Anstalt kennen zu lernen. Habe gesehen, außer der Ehre der Einladung ist die übrige Bewirthung nicht groß und nicht viel Aufhebens davon zu machen. Aber habe die Nächte schon übler zugebracht in meinem Leben, und wenn mir nicht all das Gift, das ich hier in den letzten Tagen habe schlucken müssen, am Herzen gefressen, hätt’ ich auf dem Strohpfühl geschlafen so gut wie daheim – und dann die arme Lily, das arme Geschöpf! Wie unsäglich besorgt sie sein wird! Sie ist so gut gegen ihren ‚dear Governor‘, wie sie mich nennt; sie hängt an mir mit der vollen Innigkeit ihres Herzens –“

„Die Du doch auch voll erwiderst, Vater,“ fiel Aurel ein; „denn im Grunde war es für Dich doch kein geringes Opfer, Deine Farm, die Du geschaffen und gepflegt und an der sicherlich Dein ganzes Herz hing, zu verlassen und fremden Menschen zu übergeben, blos weil Lily’s Köpfchen nun einmal darauf gestellt war, einen jungen Blondin von Weltfahrer zu lieben –“

„Nun,“ unterbrach der alte Lanken seinen Sohn, „was das Herz angeht und was die Farm, so sind es zwei verschiedene Dinge; jenes, siehst Du, ist mir darüber nicht gebrochen, daß ich diese für ein recht gutes Stück Geld losgeworden bin. Was aber das Herüberziehen, die Rückwanderung in diese von Gott verlassenen Himmelsstriche angeht – na, hätt’s wissen können, daß ich für die Welt hier nicht mehr tauge – aber siehst Du, Aurel, mußt’ ja schon, mußt’ der Grasmücke nun einmal folgen; denn was hab’ ich sonst auf der Welt noch als das Kind? Ist nun einmal mein Herzblatt, das Kind,“ fuhr er mit einem Tone fort, in welchem eine ihn überkommende tiefe Rührung zitterte, „und was kommt es viel auf einen solchen abgenutzten und verschlissenen Invaliden der Arbeit, wie ich einer bin, an – wenn nur das Kind glücklich wird! Von meinem Kind könnt’ ich mich nicht trennen, Aurel, niemals, niemals!“

(Fortsetzung folgt.)




Aus dem Reiche San Marco’s.

Poesie und Sage haben über manche Epoche des Mittelalters einen bestrickenden Zauber ergossen, der uns wie ein duftiger Schleier das wahre Bild jener Zeiten verbirgt. Aber nehmt den Schleier hinweg – und was Ihr seht, kann nicht anders als abscheulich genannt werden.

Solch ein duftiger Schleier liegt auch über Venedig ausgebreitet. Von früher Kindheit an wird unsere Phantasie durch glänzende Bilder von der märchenhaften Lagunenstadt genährt, unser Sehnen und Verlangen vor anderen Städten auf diese gelenkt.

„Ja, schon als Knabe liebt’ ich sie – sie lebte
Wie eine Feeenstadt in meiner Brust –“

singt Childe Harold, der Vielgewanderte.

Und wirklich! wenn wir die grandiosen Marmorpaläste der wunderbaren Stadt, ihre schimmernden Kirchen durchwandern, wenn wir vom Marcus-Thurm auf das fluthenumrauschte Gewirr von Häusern und Kuppeln niederschauen und dabei ihrer Vergangenheit gedenken, so fühlen wir uns zur höchsten Bewunderung hingerissen für diesen Staat, der seine Herrschaft nach allen Küsten der Adria

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 340. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_340.jpg&oldid=- (Version vom 31.5.2022)