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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

und blickte nachdenklich durch die grünen Geraniumstöcke, welche die Wirthin da aufgestellt hatte, in’s Freie.

„Hat er nicht mehr die Macht?“ fragte sie jetzt halblaut. „Und welche Macht haben wir denn, Vater? Und wenn wir alle Macht hätten und könnten erreichen, daß wir alle Menschen hier uns zu Füßen liegen sähen, wie sie jetzt alle wider uns sind – was für ein Glück wäre das?“

„Was für ein Glück? Wunderliche Frage –“

„Sie ist gar nicht wunderlich,“ fiel, aus ihrer lässigen Ruhe jetzt plötzlich zur Heftigkeit übergehend, Lily ein – „begreifst Du denn nicht, daß ich gar kein Glück mehr darin sehen kann, in dem dunklen stillen Hause dieser Grafenleute zwischen Verwandten zu leben, die mich hassen und verfolgen, gezwungen, mit ihren Freunden zu verkehren, die mich verachten, weil ich nicht so vornehm bin, wie sie zu sein glauben? Begreifst Du das nicht?“

„Nun höre Einer diese Ideen der Grasmücke an!“ rief bestürzt der alte Thierarzt aus. „Aber ich bitte Dich, das wäre vorher zu überlegen gewesen, ehe Du die Hand dieses Windhundes von …“

(Fortsetzung folgt.)




Eine Sommerfahrt durch den Griechischen Archipel.

Von Ernst von Weber.
Von Alexandria nach Constantinopel. – „Fliegendes Kaffeehaus“ auf dem Schiffsdeck. – Land und Leute des Griechischen Archipels. – Die Spitzbuben von Constantinopel. – Die schönste Frau von Chios. – Die Metropole Kleinasiens. – Der Hafen von Smyrna sonst und jetzt. – Die Culturmission der Deutschen in Smyrna. – Das Brigantenwesen in Kleinasien. – Türkische Frauen und Kinder an Bord. – Dardanellen.

Nachdem ich vier lange Jahre unter dem strahlenden, sonnigen Himmel und in der balsamischen Luft der Hochebenen von Südafrika verlebt, hatte ich im Frühling 1875 meine Rückreise nach Europa längs der ostafrikanischen Küste angetreten und dabei einen längeren Aufenthalt innerhalb der sonnenglühenden Mauern von Zanzibar genommen. Hiernach hatte ich dann im Monat August den backofenähnlich erhitzten Kessel des Rothen Meeres durchzogen, im Lande der Pharaonen einige Tage der Ruhe gepflegt und schließlich mich auf einem Dampfer des österreichischen Lloyd nach Constantinopel eingeschifft.

Das Deck des Schiffes war, wie es ja gewöhnlich bei den Schiffen im Orient der Fall, zur Hälfte mit zahlreichen verschleierten türkischen Frauen angefüllt, die durch eine Barrière von den übrigen Passagieren abgesperrt waren. Ein Türke, und sei es auch der vornehmste, pflegt in der Regel nur den Deckplatz zu nehmen, da der Comfort und die Gesellschaft des Ersten Platzes ihn nicht reizen und überdies die eigene mitgenommene Kost von Brod, Zwiebeln, Gurken und Melonen seinem einfachen Geschmacke ungleich mehr zusagt, als die reichbesetzte Tafel der Ersten und Zweiten Kajüte. Wir hatten diesmal ausnahmsweise einen Pascha in der Cabine, der aber dessenungeachtet seinen mitreisenden Harem auf dem Deck schlafen ließ. Auch verschiedene türkische Officiere, theils in sehr abgeschabten, theils in brillanten neuen Uniformen, befanden sich an Bord; das Deck war überhaupt mit türkischen und griechischen Reisenden dermaßen überfüllt, daß man sich nur mit Mühe seinen Weg hindurchbahnen konnte durch diese eng zusammengeknäulte Masse von menschlichen Wesen, welche mit gekreuzten Beinen auf Hunderten von kleinen Teppichen zusammenhockten. Ein Kaffeewirth, der sein „fliegendes Kaffeehaus“ auf Deck aufgeschlagen hatte und zugleich Brod buk und Süßigkeiten verkaufte, lief fortwährend zwischen den bunten, rauchenden und still in sich versunkenen Gruppen hin und her, um seine Anwesenheit durch den unermüdlich wiederholten lauten Ruf: „Kaffeedschi! Kaffeedschi!“ allseitig in Erinnerung zu bringen und zugleich „Atésch“ (Feuer) herumzugeben. Die einfache und jedesmal nur wenige Kupfermünzen kostende Nahrung, welche der Kaffeedschi den türkischen Reisenden bietet, überhebt sie der kostspieligen Nothwendigkeit das Restaurant und die Table d’hôte des Schiffes in Anspruch zu nehmen, und was das Nachtlager betrifft, so ist dasselbe ja in heißer Sommerszeit ganz ungleich angenehmer auf dem kühlen Deck, als in den schwülen und engen, durchhitzten Cabinen.

Die Passagiere des Zweiten und Dritten Platzes hatten, wie dies auf solchen Schiffen trotz der gedruckten Verbote zu geschehen pflegt, rücksichtslos das ganze Hinterdeck überschwemmt, sodaß diejenigen des Ersten Platzes selten einmal eine Bank frei fanden, um sich darauf auszuruhen. Es waren zwar einige Lehnstühle mit der Aufschrift „Primo Posto“ aufgestellt – welcher Passagier Erster Classe möchte aber wohl so ungalant sein, eine ruhebedürftige Dame von einem dieser bequemen Stühle gewaltsam wegtreiben zu wollen? Auf der anderen Seite jedoch wurde für mich der plebejische Charakter dieses Lloyddampfers dadurch wieder aufgewogen, daß letzterer als ein deutsches Schiff (denn Triest ist und bleibt in meinen Augen eine deutsche Stadt) mich nach so langer Abwesenheit vom lieben Vaterlande außerordentlich angenehm anheimelte, und überdies hier den Passagieren in Bezug auf Toilette und sonstige Befindlichkeiten viel weniger Zwang auferlegt wurde, als auf den großen, sichtlich hauptsächlich für Nabobs und Millionäre bestimmten englischen Prachtschiffen.

Am zweiten Tage nach unserer Abfahrt von Alexandria schwammen wir in den Griechischen Archipel ein. Ich kenne kaum etwas Angenehmeres, als auf einem comfortablen Schiffe bei glatter See und hellem Sonnenschein durch diese malerische Inselwelt hindurchzudampfen, namentlich in den Frühlingsmonaten, wenn ein frisches Grün diese malerischen Bergformen umkleidet und die letzteren daher noch nicht die braune, verbrannte Färbung des Sommers und Herbstes angenommen haben.

Geht auch diesen Eilanden der Reiz einer üppigen Baumvegetation vollständig ab, wie solche z. B den Inselarchipel im Lake George in Nordamerika so paradiesisch schön erscheinen läßt, so tragen doch auf der andern Seite die elegant geschwungenen Linien ihrer mächtigen Bergformen, welche oft auf ihren höchsten Punkten mit weiß herüberglänzenden Häuschen oder dunkeln Klöstern gekrönt sind, ferner die zu den verschiedenen Tageszeiten so anmuthig wechselnden goldgelben, dunkelbraunen, blauen, violetten, rosenfarbenen und purpurnen Lichter, welche Berge und Thäler so mannigfaltig umkleiden, vor Allem aber die großen Erinnerungen, die aus grauer Vorzeit her alle diese Plätze mit einem geheimnißvollen Schleier von Poesie umweben, mächtig dazu bei, dieser Inselwelt einen bestrickenden Reiz zu verleihen. Namentlich in den stillen Nächten, wenn unser Schiff mit seinen funkensprühenden Schloten wie ein feuriger Drache über die schwarzen Fluthen dahinglitt, ein bleiches Mondlicht die Bergspitzen mit silbernen Nebeln umspann und hier und da an den dunkeln Ufern und auf den kühngezackten Bergkämmen helle Lichter und Feuer aufblitzten – dann versank ich immer in ein phantastisches Träumen, angeregt durch den zauberhaften Anblick dieser sagen- und erinnerungsreichen Küsten und eingewiegt durch den gedämpften Rhythmus unserer Dampfmaschine.

Die ionischen Inseln und Chios bieten dem Auge wahrhaft paradiesische Landschaften, von denen schon der geistvolle Fürst Pückler sagte, daß er sich so und nicht anders „die Gefilde der Seligen“ vorstelle. Syra, Tinos, Naxos und die übrigen südlicher gelegenen Cycladen und Sporaden, sowie Rhodos entbehren zwar den größten Theil des Jahres hindurch des schönen grünen Vegetationskleides, bieten aber dafür andere Reize, z. B. das schillernde Bild der fortwährend wechselnden Sonnenlichter und Schattenreflexe, welche die malerisch geformten Berggruppen und zerrissenen Seitenthäler und Klüfte mit prächtigen brennenden Farben umkleiden. Von den zahlreichen Bergspitzen dieser Inseln sieht man oft eine ganze Reihe von Nachbarinseln tief unter sich, von glühend blauem Aetherdufte umflossen, aus dem silbernen Meeresspiegel heraufleuchten; diese herrlichen Aussichten bilden die Hauptreize der griechischen Inselwelt.

Des Abends sahen wir hier und da rothglühende Feuerstreifen auf den Meereilanden, die sich langsam schlängelnd längs der Bergabhänge fortbewegten – ein Zeichen, daß auch hier Jahr für Jahr der verderbliche Gebrauch des Abbrennens des verdorrten alten Grases fortgesetzt wird, über den ich mich schon in den Ländern der Kaffern von Südafrika so oft geärgert hatte und welcher gewiß die Hauptschuld daran trägt, daß auf diesen Inseln kein junger Baumwuchs mehr aufkommen kann, und daß sie, die in der schönen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 326. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_326.jpg&oldid=- (Version vom 9.7.2019)