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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Für uns allerdings sind diese 264 Quadratmeilen mit ihrer Vogesengrenze und mit den beiden starken Festungen Straßburg und Metz von unschätzbarem Werthe, nicht zu Zwecken der Eroberung und Vergrößerung auf Kosten unseres westlichen Nachbars, wohl aber zur sicheren Abwehr derartiger Gelüste von Seiten jenes so leicht erregbaren und so ehrgeizigen Volkes.

Treffend sagte schon bei den Friedensverhandlungen von 1815 der preußische General von Knesebeck in einer Denkschrift zur elsässischen Frage: durch das immer weitere Vorrücken und durch die Gewinnung immer günstigerer strategischer Positionen gegen Deutschland hin seien die Franzosen daran gewöhnt worden, die fortschreitende Ausdehnung ihres Gebiets und ihrer Macht nach Osten als etwas Natürliches und Selbstverständliches zu betrachten. Sie würden, setzte Knesebeck hinzu, ihr Gelüste nach dem linken Ufer des Mittel- und Unterrheins nicht eher verlernen, als bis auch der Oberrhein ihren Blicken für immer entzogen sei und statt des leicht überschreitbaren Flusses ein wohlbefestigter Gebirgskamm ihren Horizont gegen Osten begrenze.

Und hoch bedeutungsvoll war der Wink, welchen ebendamals mit anerkennenswerther Offenheit ein süddeutscher Fürst, der spätere König Wilhelm der Erste von Württemberg, hinsichtlich der Lage Süddeutschlands gab.

Die süddeutschen Staaten, sagte er, könnten, gleichsam unter den Kanonen der französischen Festung Straßburg liegend, kaum anders als sich mit Frankreich möglichst gut stellen; ihre eigene Sicherheit gebiete ihnen das; ihre Zugehörigkeit zu Deutschland werde daher so lange niemals eine ganz zuverlässige sein, als nicht Straßburg aus einem französischen Ausfallthor gegen Deutschland, speciell Süddeutschland, in eine Schutzwehr dieses letzteren gegen einen französischen Angriff verwandelt sein werde.

Der patriotische Sinn Süddeutschlands hat im letzten Kriege mit Frankreich uns vor der Schmach eines neuen Rheinbundes bewahrt, und die fabelhafte Schnelligkeit, mit der unsere kriegsbereiten Heere nicht blos die süddeutsche Grenze gegen Frankreich deckten, sondern auch bald genug in Feindesland ein- und, von Sieg zu Sieg, darin vorrückten, hat diesen Ländern selbst eine Wiederholung der Scenen erspart, deren Schauplatz sie so oft, wie in den Zeiten Ludwig’s des Vierzehnten, so wiederum in den Feldzügen der ersten Jahre dieses Jahrhunderts, gewesen sind. Aber um weder ihre Treue so harten Proben, noch ihre Sicherheit so schweren Gefahren auszusetzen, um auch das französische Volk des Gedankens an das „linke Rheinufer“ gründlich zu entwöhnen, mußte das Ausfallthor Straßburg ihm entrissen, mußte die deutsche Grenze vom Rhein vorgeschoben werden bis zur Mosel und zu den Vogesen.

Mit dieser Verstärkung unserer militärischen Grenze gen Westen und mit der gleichzeitigen festeren Einigung Deutschlands im Innern – der schönen Doppelfrucht des Jahres 1871 – aber ist nicht blos die Sicherheit Deutschlands nach außen gewahrt und die Gefahr einer abermaligen feindlichen Gegenüberstellung von Nord und Süd (durch Hereintreibung eines fremden Keils zwischen beide von außen her) abgewendet, sondern es ist damit auch – zum Heil des Gleichgewichts und des Friedens Europas – der Schwerpunkt der europäischen Politik dahin gelegt, wohin er naturgemäß gehört, in das seinem Naturell nach friedliebende germanische Volk, in das seinen ganzen Einrichtungen und seiner bundesstaatlichen Gestaltung nach für eine offensive Politik durchaus nicht angelegte deutsche Reich.

Deutschland wird, je gesicherter gegen jeden Angriff von außen her es ist, um so weniger ohne Noth oder muthwillig der angreifende Theil sein. Ja es wird nicht für sich allein und von sich aus den Frieden, so weit es nur immer kann, aufrecht erhalten, sondern es wird auch ein starker Hort und ein aufmerksamer Wächter des allgemeinen Friedens sein. Fern von der Anmaßung, als „Schiedsrichter Europas“ eine überragende Rolle zu spielen, wird es nur um so sicherer dieses ehrenvolle Amt sich durch das Vertrauen der andern Mächte entgegengebracht sehen, wie das bereits die Erfahrung dieser ersten zehn Jahre bekundet. Achtunggebietend durch seine ruhige Kraft, wie durch seine Uneigennützigkeit und Mäßigung, wird es den Schwachen ein willkommener Schutz und Rückhalt und selbst dem Stärksten ein gefürchteter Gegner sein.

Und je mehr sich jenes schöne Kaiserwort erfüllt, nach welchem der Kaiser ein „Mehrer des Reichs“ sein soll „nicht in kriegerischen Eroberungen, sondern in Werken des Friedens, auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Freiheit und Gesittung“, je befriedigter im Innern unser Volk im Genusse gesetzlich verbürgter Freiheit, je vorgeschrittener in jeder Art edler Bildung und soliden Wohlstandes es sein wird, desto gewisser wird das deutsche Reich nach außen in immer steigendem Maße das Vertrauen und die Achtung aller Nationen gewinnen und sich bewahren; wird Deutschland immerfort, auch ohne sich dessen anzumaßen, den ersten Rang unter den Völkern Europas einnehmen.

Karl Biedermann.




Vernünftige Gedanken einer Hausmutter.[1]
Von C. Michael.
14. Ich bin glücklich.

„Er hat Glück,“ sagt man wohl von Dem oder Jenem; seltener schon wird man von einem Menschen sagen hören: „Er ist glücklich,“ und noch viel seltener wird Jemand – im ruhigen Gange des alltäglichen Lebens – von sich selbst behaupten: „Ich bin glücklich.“

Und doch – die „Vernünftige Hausmutter“ der „Gartenlaube“ wagt es, dieses vermessene Wort zu sprechen, und wenn ihr erst verstehen werdet, wie ich es meine, wird’s euch so gar übermüthig nicht mehr klingen.

In meinem ganzen Leben habe ich noch nie einen Menschen angetroffen, mit dem zu tauschen es mich gelüstet hätte; muß ich also nicht so glücklich sein, wie man es unter den Verhältnissen unseres Erdenlebens nur wünschen und verlangen kann? Ihr glaubt gewiß, ich habe kürzlich einen Haupttreffer in der Lotterie gemacht oder ich sei eine junge Frau in den Flitterwochen? Nichts von alledem! Ja nicht einmal die häufigste Art des Erdenglückes, das Ringen und Streben nach solchen Zielen, ist mein Antheil; ich suche und ersehne kein Glück, weil ich es schon fest und sicher in meiner Hand halte, und es stets darin gehalten habe, so lange ich denken kann.

Dieses mein „Glück“, von dessen reicher Fülle ich so gern allen Unbefriedigten austheilen möchte, ist kein zufälliges Geschenk des Schicksals, keine günstige Verkettung äußerer Umstände; es ist einfach eine Eigenschaft, und zwar eine mir anerzogene, angelernte Eigenschaft, die ebenso fest sitzt, wie etwa die Wahrheitsliebe oder sonst eine der gewöhnlichsten, unserer Seele anerzogenen Eigenschaften. Meine Mutter hat mich von klein auf daran gewöhnt, glücklich zu sein – und darum bin ich es.

Wohl hat es viele Tage in meinem Leben gegeben, die traurig waren bis zum Sterben, andere, die mich völlig rathlos fanden, unglücklich aber bin ich niemals gewesen, und fast glaube ich, ebenso leicht könnte ich lügen und stehlen wie mich unglücklich fühlen.

Noch bis vor einem Jahrzehnt war das freilich keine Kunst für mich; der Himmel hatte mir Alles beschert, dessen ein Frauenleben bedarf, um „glücklich“ genannt zu werden. Mit Wehmuth denke ich jenes Christabends, an dem mir mein Gatte Leopold Schefer’s „Laienbrevier“ bescherte und ich, neugierig zuerst meinen Geburtstag aufschlagend, für diesen Tag folgende Verse verzeichnet fand:

„Wer schon des Lebens beste Güter hat,
Begehre nicht die kleinen auch zugleich!
Im Großen und im Ganzen segnet ihn
Sein Gott, und: macht die Sonn’ ihm hellen Tag,
Was soll ihm aller kleiner Kerzenschein?“

Im Glanz der Weihnachtslichter zeigte ich meinem Mann die Verse, und mit leiser Stimme sagte er:

„Ja, was soll uns aller kleiner Kerzen Schein? Recht hat der Dichter da, und vermessen wäre es, auch die Kerzen noch zu begehren, wenn man schon die helle Sonne hat.“

  1. Wir ergreifen mit Vergnügen die Gelegenheit, hier noch einmal auf C. Michael’s kürzlich in Buchform erschienene „Vernünftige Gedanken einer Hausmutter“ (Preis broschirt 3 Mark, gebunden 4 Mark, Leipzig, Ernst Keil) so warm wie nachdrücklich hinzuweisen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 318. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_318.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)