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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Noch einmal: Frauenwirken in den Gefängnissen. Ueber die Anforderungen, die an eine Aufseherin in sächsischen Strafanstalten gestellt werden, theilen wir auf zahlreiche an uns ergangene Anfragen zur Vervollständigung des Aufsatzes in Nr. 9 und der Briefkastennotiz in Nr. 13 des laufenden Jahrganges aus gutunterrichteter Quelle Folgendes mit: Unerläßliche Bedingung ist kräftige Gesundheit. Der Dienst, welcher des Morgens meist um fünf Uhr beginnt und mit einer anderthalbstündigen Unterbrechung am Mittage bis Abends nach neun Uhr dauert, zwingt die Aufseherin, sich unausgesetzt in der nächsten Umgebung der Gefangenen aufzuhalten. Zur Ueberwachung der einstündigen Bewegung der Delinquenten im Freien muß sie bei jeder Witterung still stehen, und zu den Beschwerden dieser Anforderungen kommen noch mancherlei Gemüthsaufregungen, denen die Aufseherin ausgesetzt ist. All dies und der Verkehr mit oft sehr rohen und leidenschaftlichen Personen, die Einförmigkeit des Tageslaufs, die häufig eine große Abspannung der Nerven hervorruft, stellt an die Gesundheit der Aufseherinnen große Anforderungen; auch der häufige Nachtdienst, bei dem die Aufseherin in der Nähe der Schlafsäle zu verweilen hat, gehört nicht zu den leichtesten Leistungen. Ungefähr der sechste Tag ist frei, wobei aber die freihabende Aufseherin während des Mittags drei Stunden die diensthabenden Aufseherinnen abzulösen hat. Urlaub wird alljährlich auf sieben bis vierzehn Tage gewährt. Als das geeignetste Alter zur Anstellung ist die Zeit vom fünfundzwanzigsten bis zum fünfunddreißigsten Lebensjahr zu bezeichnen. Wittwen, welche erziehungsbedürftige Kinder bei sich haben müßten, eignen sich zur Anstellung nicht, da der Dienst nicht nur die ganze Zeit, sondern auch die volle Aufmerksamkeit, welche durch häusliche Sorgen nur zu leicht abgezogen wird, erfordert. Neben guter Schulbildung, welche zur Anfertigung der vorkommenden schriftlichen Arbeiten, Anzeigen, Arbeitslisten, zur Nachhülfe beim Briefschreiben der Gefangenen etc. nöthig ist und den Beamten ein geistiges Uebergewicht über die durchschnittlich wenig gebildeten Gefangenen verleiht, wird auf häusliche Tüchtigkeit und gründliche Kenntniß der weiblichen Arbeiten Werth gelegt, da die Aufseherin erforderlichen Falls auch in der Küche, im Waschhause, bei der Näharbeit oder im Garten und Feld die Aufsicht zu führen und den Gefangenen Anleitung zu richtiger Ausführung der aufgetragenen Arbeiten zu geben genöthigt sein kann, wenngleich für die eigentlichen Facharbeiten, welche in Frauengefängnissen betrieben werden, meist eigene Werkführerinnen angestellt sind. Die Behandlung der Gefangenen erfordert Ruhe und Festigkeit, Geistesgegenwart und Umsicht, Strenge ohne Härte, Gerechtigkeit und Unparteilichkeit, vor Allem aber strengste Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit. So nothwendig es ist, daß eine Aufseherin nicht nur durch ihr eigenes musterhaftes Vorbild, sondern auch unmittelbar durch Zusprache und Aufmunterung einen bessernden Einfluß auf die Gefangenen zu gewinnen suche, so kann doch nicht dringend genug vor weichlichen und schwärmerischen Anschauungen gewarnt werden; denn die Verhältnisse einer geordneten Strafanstalt, welche in Deutschland überall etwas von militärisch strammer Zucht und Ordnung mit sich bringen, gestatten so etwas nicht.

Zum Schlüsse sei noch, gegenüber der Angabe in Nr. 9 berichtigend bemerkt, daß in Sachsen den Aufseherinnen außer einem Anfangsgehalt von 900 Mark, welcher bis 1200 Mark aufsteigen kann, keinerlei Nebenvergünstigung, z. B. unentgeltliche Dienstwohnung oder freie Station gewährt wird. Uebrigens wird bei Anstellung von Aufseherinnen auf die Staatsangehörigkeit zwar keine Rücksicht genommen, wie in Nr. 13[WS 1] angedeutet wird, jedoch werden bei den wenigen Anstalten, die hierbei in Frage kommen, von im Ganzen etwa fünfzig Stellen selten mehr als fünf in einem Jahre neu besetzt.

Unter dem sächsischen Ministerium sind nur bei den neuen Gefangenenanstalten zu Dresden, Leipzig und Chemnitz, welche nach dem Muster größerer Strafanstalten eingerichtet sind, besondere Aufseherinnen angestellt, während in den Arresthäusern die Besorgung der weiblichen Gefangenen, so weit nöthig, fast ausschließlich den Ehefrauen der Arresthausinspectoren anvertraut ist. In Preußen dagegen bestehen bei den Strafanstalten 18 Stellen für Oberaufseherinnen mit je 1080 Mark und 188 Stellen für Aufseherinnen mit 660 bis 900 Mark, wozu noch freie Wohnung kommt.




Der Polarfisch auf dem deutschen Markte. Schon seit einer Reihe von Jahren versuchen die deutschen Volkswirthe sowohl die Fischzucht wie den Fischhandel zu beleben, um dadurch dem Volke ein den Fleischgenuß ersetzendes gesundes Nahrungsmittel zu billigen Preisen zu verschaffen. Ermuthigt durch dieses Vorgehen und vor Allem durch die letzte internationale Fischerei-Ausstellung in Berlin, bringen jetzt auswärtige Händler Seefische auf unsern Markt, und es ist die Pflicht der Presse, diese Bemühungen zu unterstützen, um das Vorurtheil des Volkes gegen die Fischnahrung beseitigen zu helfen.

Aus diesem Grunde machen wir heute unsere Leser auf einen neuen Waarenartikel aufmerksam, welcher unter dem Namen Heinrich Meyer’s Polarfisch in diesem Jahre zum ersten Male in größeren Mengen nach Deutschland gebracht wurde. Es ist dies ein sehr großer, fetter Dorsch, norwegisch Skrei genannt, aus dessen Leber auf den Lofoden-Inseln der bekannte Medicinalthran bereitet wird. Der Fisch wird von Mitte Januar bis Mitte April in großen Mengen an der Westküste Norwegens gefangen und von hier nach den verschiedensten europäischen Ländern verschickt. Von diesen Polarfischen, deren Gesammtfang jährlich im Durchschnitt 70 Millionen Stück im Gewicht von 3½, bis 4 Millionen Centner beträgt, wurden bedeutende Mengen nach England, Portugal, Spanien, Italien und Oesterreich exportirt, während Deutschland für denselben bis jetzt fast kein Absatzgebiet bildete. Dies ist um so mehr zu bedauern, als der Fisch, der fetteste von der Gattung Dorsch, sich durch wohlschmeckendes und nahrhaftes Fleisch auszeichnet.

Man bereitet den Skrei entweder als Klippfisch oder als Stockfisch, und da die letzte Sorte in Deutschland bereits bekannt ist, so möge hier nur über den Klippfisch einiges Nähere mitgetheilt werden. Die frisch geschlachteten Fische werden äußerlich vom Schleim befreit und ausgenommen; die große Rückengräte wird alsdann bis auf das unterste Ende entfernt und das Fleisch hierauf nach sorgfältiger Reinigung eingepökelt. Soll der Skrei monatelang aufbewahrt werden, so bleibt er in dichtgeschlossenen Fässern in der Salzsoole liegen und heißt dann „Laberdan“, während für den unmittelbaren Verbrauch vor Kurzem eine neue Bereitungsmethode eingeführt wurde: Die frisch geschlachteten Fische werden in durchlöcherten Holzfässern eingesalzen, sodaß die sich bildende Salzsoole jederzeit abfließen kann.

Unseren Leserinnen werden noch folgende Angaben erwünscht sein. Will man den Polarfisch kochen, so zerschneidet man ihn in Streifen von circa vier Centimeter Breite und legt dieselben in kaltes Wasser, in welchen, der Fisch vierundzwanzig Stunden lang unter mehrmaliger Erneuerung des Wassers ausgelaugt wird; hierauf setzt man ihn kalt an und kocht ihn in einer halben Stunde gar. Als Sauce nimmt man zerlassene Butter mit Petersilie, Senfbutter oder holländische Sauce etc. Der Preis des Fisches stellt sich beim directen Bezug von Heinrich Meyer in Christiana in Kistchen à zwanzig Kilogramm Nettogewicht auf etwa fünfundzwanzig Pfennig per Pfund Fleisch ohne Gräten, und es ist nur zu wünschen, daß auch der deutsche Zwischenhandel diesen Preis adoptiren möge; denn nur als billige, aber wohlschmeckende Nahrung für breite Volksschichten kann der Polarfisch auf dem deutschen Markt als gangbarer Artikel sich behaupten.




Zwei Lieder von Karl Stieler.[1]

Heimweh.

Durch die öde Nordlandhaide
Reit ich hin im müden Schritt;
Ohne Ende, ohne Freude,
Schweigend zieht mein Knappe mit.

5
Kein Geläute darf ich hören,

Keine Saaten schaun ringsum;
Hier und dort nur niedre Föhren,
Erd’ und Himmel – alles stumm!

Kein Gebäu, kein Fels, kein Hügel,

10
Nur der kühle Haideduft!

Eine Mühle dehnt die Flügel
Fernhin in der leeren Luft.

Also bin ich hingezogen,
Müd’ die Seele und die Hand;

15
Herzdurchwogt – ich kenn’ dies Wogen –

Heimweh heißt’s im deutschen Land.




Minnelied.

Du bist’s. Du schöne Traute,
An der mein Herz ward wund;
An der mein Frohsinn welkte,
An der verstummt mein Mund.

5
Fort ist der Jugendschimmer;

Verloschen ist die Zier –
Und immer noch, noch immer
Hängt all mein Herz an Dir.

Und an dem Leidgewinne,

10
Den ich bei Dir gewann –

So selig ist die Minne;
So thöricht ist ein Mann.




Daniel Sanders’ Verskunst. Je mehr sich heutigen Tages in der Anwendung der technischen Gesetze der Dichtkunst eine gewisse Zerfahrenheit der wissenschaftlichen Standpunkte geltend macht, um so freudiger muß man eine klärende Bewegung begrüßen, welche sich in jüngster Zeit auf den, Gebiete der Verslehre immer kräftiger bekundet. Zu den hervorragendsten Vorkämpfern für die Wissenschaft des Verses gehört ohne Frage der verdienstvolle Verfasser des großen „Wörterbuchs der deutschen Sprache“, Professor Daniel Sanders, auf dessen neuestes Buch „Abriß der deutschen Silbenmessung und Verskunst“ wir unsere Leser hiermit hinweisen möchten. Das sehr beachtenswerthe Werk behandelt seinen Gegenstand in übersichtlicher Anordnung und lichtvoller Darstellung und schafft sowohl durch scharfe Präcisirung einer Reihe von bisher nur in allgemeinen Umrissen ausgesprochenen prosodischen und metrischen Regeln wie durch verständnißvolle Erschließung neuer Versgesetze eine feste und sichere Basis für die heutige deutsche Verskunst. Ohne hier auf die Einzelnheiten des vortrefflichen kleinen Buches eingehen zu können, beschränken wir uns darauf, zu bemerken, daß alle Diejenigen, welche in gemeinverständlicher und doch wissenschaftlich gediegener Weise über das Wesen der deutschen Verskunst belehrt sein möchten, in dem Sanders’schen „Abriß“ einen Wegweiser durch das Labyrinth der deutschen Verstünde finden werden, der mit Strenge und doch mit Anmuth zum Ziele führt.





  1. Aus einem demnächst erscheinenden Bande „Neue Hochlandslieder“.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Nr. 14
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 303. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_303.jpg&oldid=- (Version vom 12.9.2022)