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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Sie sagen mir da etwas vor, Lanken, was – natürlich – nicht wahr ist, was mich ein wenig mürbe, sehr mürbe machen soll – nun ja, ich verdenke es Ihnen ja nicht – sind ein kluger Mann, Lanken; wären sonst nicht Minister geworden; hier im Lande nicht Minister – sicherlich nicht. Und haben nun einmal Ihren Kopf darauf gesetzt, auch die Hand der Gräfin Regina Gollheim zu bekommen; wollen’s durchsetzen, Regina zur Schwiegertochter eines hier in den Bierkneipen Skandal machenden rothen Demokraten, Socialisten, was weiß ich? zu machen. Wollen’s durchsetzen, nun ja, ein Mann wie Sie läßt ein ehrgeiziges Ziel, das er sich gesteckt hat, nicht so leicht fahren; weiß es, kann mir’s vorstellen. Und nun soll ich alter Mann erschreckt werden – soll mich entsetzen, soll glauben, mein Sohn, mein einziger Sohn, um dessen willen ich so viel gethan, für den ich mein Vermögen erworben, um dessen willen ich mich habe in den Grafenstand erheben lassen, der meinen Stamm und Namen fortsetzen soll – mein Sohn sei eine ganz unmögliche, ganz lächerliche, ganz verrückte Ehe eingegangen – eine Ehe, die … Nun kurz: ich soll mir das vorspiegeln lassen, bis ich im Schrecken darüber ausriefe: ‚Nein, nur das nicht – dann tausendmal lieber Regina an Sie fortgegeben, tausendmal lieber!‘“

Während Graf Gollheim das halb wie angstgepreßt, halb wie herausfordernd und immer schneller und schneller redend hervorstieß, sah er mit einem ganz merkwürdigen Mienenspiel Aurel an; bald lag in seinem Auge etwas wie eine Bitte, bald eine intensive Wuth, die den Mann vor ihm hätte morden mögen.

Aurel zuckte leise die Schultern; er konnte in diesem Augenblick dem schwer getroffenen Vater nichts übel nehmen, auch einen solchen, von halber Verrücktheit zeugenden Verdacht nicht; er begnügte sich, mit milder Stimme zu antworten:

„Sie irren; es ist nicht so, wie Sie voraussetzen.“

„Sie leugnen, Sie leugnen noch – aber ich sage Ihnen ja: nehmen Sie Regina! Ich willige ein in Ihre Heirath mit Regina, nur retten Sie mich von der Vorstellung, daß mein Sohn – – ja, ja, heirathen Sie Regina, aber schaffen Sie mir von der Brust den Alp …“

Aurel stand auf; er war erschüttert von der schrecklichen wie verwirrenden Wirkung seiner Mittheilung auf den Grafen.

„Nehmen Sie es auf wie ein Mann!“ sagte er milde, „uns allen werden Hoffnungen zu Wasser, scheitern schöne Zukunftspläne; je vornehmer eine Natur ist, desto würdiger muß sie sich in das Unvermeidliche zu schicken wissen -“

„Das Unvermeidliche, das Unvermeidliche,“ brach hier Graf Gollheim aus; „was ist das Unvermeidliche? Mich wie ein Narr, wie ein Idiot hinter’s Licht führen zu lassen? Nimmermehr! Ich will nichts davon hören, nichts davon wissen. Haben Sie mich denn nicht verstanden, daß ich an Ihre ganze Geschichte nicht glaube, sie für eine Unwahrheit erkläre, für eine Lüge, für ein Nichts …“

„Graf Gollheim,“ unterbrach hier Aurel den sich in immer rasendere Aufregung redenden Grafen, indem er Hut und Handschuhe nahm, „Ihre Sprache nimmt einen Ton an, dem gegenüber mir nichts anderes übrig bleibt, als zu gehen. Die Documente, welche beweisen, daß es sich um keine Lüge, sondern um eine Trauung Ihres Sohnes Ludwig mit meiner Schwester handelt, sollen Ihnen vorgelegt werden – es wird Ihnen daraus klar werden …“

„Documente, Documente – was kümmern Sie mich? Sie sind gefälscht; ich gebe keinen Schuß Pulver für Ihre Documente; ich erkenne sie nicht an; die Ehe meines Sohnes hinter meinem Rücken, wider meinen Wissen ist null und nichtig.“

Aurel Lanken fand es nicht für nöthig, dieser Sprache gegenüber länger Stand zu halten. Er hatte das Seinige gethan, um eine friedliche Verständigung mit dem alten Manne einzuleiten. Sie war unmöglich. So machte er dem Grafen eine leichte Verbeugung und ging, ohne ein Wort zu verlieren, ruhig davon.

„Falsche Wische sind Ihre Documente,“ wetterte der Graf ihm nach und rannte vollends wie ein Wüthender auf und ab.

„Es ist nicht möglich, gar nicht möglich, daß Ludwig das an meinen grauen Haaren gethan haben könnte – unmöglich, alles Lüge und Schwindel,“ schrie er ein Mal über das andere.

Gollheim war wie von Sinnen. Seine ganze leidenschaftliche Natur war aufgestürmt, wie seit den Tagen seiner Jugend nicht mehr, und in dieser Leidenschaft klammerte er sich immer von Neuem, wie an eine fixe Idee, an den Gedanken an, daß er nur Gegenstand eines Betrugs werde solle.

„Alles Lüge, Schwindel!“

Dann war das Nächste, was er sich zu thun entschloß, sofort seine Kinder zu sich zurückzuberufen. Mit hastiger Hand schrieb er ein Telegramm nieder. „Ihr sollt zurückkommen – Beide – auf der Stelle!“ adressirte es an Regina, da sich ja Ludwig vielleicht von selbst bereits auf der Rückreise von der Tante Hedwig befand, und klingelte dem Diener.

„Augenblicklich zum Telegraphenamt!“ rief er diesem entgegen, „dann schaff’ mir den Becker zur Stelle; ich will sofort den Becker sprechen; er muß herbeigeschafft werden, und –“

„Der Becker wird zum Marstall gegangen sein,“ unterbrach ihn der Diener. „Soll ich ihn erst herbeiholen oder erst das Telegramm besorgen?“

Der Graf sah ihn eine Weile an, als ob er ihn nicht verstanden; es mußte sich eine andere Gedankenreihe seiner bemächtigt haben; dann, wie daraus auffahrend, rief er:

„Was stehst Du noch da und gaffst? Fort zum Telegraphenamt! Den Becker kannst Du lassen, wo er ist. Ich will den Becker nicht!“

Der Hofstallschreiber Becker war zwar für die mannigfachsten Dinge Gollheim’s Factotum – aber diesem mochte im gegenwärtigen Augenblick durch den Kopf fahren, daß das wunderliche insectenhafte Geschöpf nicht der Mann sei, der in dem jetzigen Augenblicke angerufen werde könne. Aber irgend Jemandem anrufen, mit Jemandem seine Situation besprechen, die Meinung eines Freundes anhören, zu Rathe mit Jemandem gehen, das mußte Gollheim in seiner Erregung – still sitzen, allein bleiben, bis zum andern Tage, wo seine Kinder zurück sein konnten, unthätig warten – das war mehr, als Gollheim vermochte.

Als sein Diener gegangen war, stand er noch eine Weile in Gedanken verloren – wie nachsinnend, an welchen seiner Freunde er sich wenden solle. Und dann, mit einem raschen Entschlusse, eilte er in sein Ankleidezimmer. Als er wieder daraus hervortrat, war er in seiner Hofuniform, den Degen an der Seite, den galonnirten dreieckigen Hut auf dem Kopfe. Es lag plötzlich etwas wie eine stolze Zuversicht in seinen Zügen.

„Zum Herzog selber!“ murmelte er zwischen den Zähne. „Er wird für einen alten Diener nicht allein Rath, sondern auch die Macht haben, zu helfen. Und diesem Minister soll es – ich denke, es soll dazu beitragen, diesem Minister den Hals zu brechen.“




7.


Aurel hätte die Welt darum gegeben, jetzt Regina Gollheim sprechen zu können, um mit ihr zu berathschlagen, wie er seine nächsten Schritte zu wenden habe, um ihnen alles Verletzende, Feindselige möglichst zu nehmen; er hätte so gern alles, was er vermochte, gethan, um den Mann zu schonen, der Regina’s Vater war. Aber Gollheim’s Leidenschaft ließ zu einer friedlichen Verständigung jetzt ja nicht mehr die mindeste Aussicht übrig. Das Einzige, wovon noch ein Erfolg zu hoffen, wäre gewesen, daß Regina mit mildem Ernst, Ludwig mit männlicher Festigkeit dem Vater gegenüber getreten wären. Aber Beide waren ja fern, und auf Ludwig’s Energie durfte Aurel überdies nicht bauen. War es doch eigentlich schon empörend, daß dieser bisher seinem Vater gegenüber geschwiegen, sein junges Weib in stiller Zagheit verleugnet und verlassen und nun ihm, dem Bruder, überlassen, für die Rechte der Schwester einzutreten. Ludwig war ja sogar so feige gewesen, aus Angst vor dem Vater und dessen Zuträgern die persönliche Zusammenkunft und Besprechung mit seiner Schwester zu unterlassen. Er war eben ein Mensch, an dem sich die Folgen einer verkehrten Erziehung zeigten. Er hatte Talente, Phantasie, Witz – aber seinem Geiste waren nie ernste Aufgaben gestellt; sein Charakter war nie durch Entsagung oder Selbstüberwindung gestählt worden. Dagegen hatte die tyrannische Natur seines Vaters früh Alles gethan, um seinen Willen zu brechen. Im Uebrigen hatte man ihm in Allem nachgegeben – und er sich selber am meisten. Wer hatte dem zarten, zu schnell in die Höhe geschossenen Knaben mit der bedenklichen Röthe auf dem seinen anziehenden Gesicht etwas abgeschlagen, wer ihm irgend eine stählende Anstrengung für seine äußere und innere Kraft zugemuthet? So war er denn geworden, wie er war – gründlich brav, so lange die Bravheit nicht

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