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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

No. 17.   1881.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.


Wöchentlich  bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig. – In Heften à 50 Pfennig.



Bruderpflicht.
Erzählung von Levin Schücking.
(Fortsetzung.)


„Von wem ich jetzt rede, Aurel?“ fragte der alte Lanken, „nun, eben von diesem Schwachkopfe, diesem Titelkupfer für ‚Knigge’s Umgang mit Menschen‘. – Will Dir nur erst sagen, daß ich den vorigen Winter – natürlich mit Lily – in Brooklyn zubrachte. Ward dem armen Kinde zu still da hinten auf der Farm in Michigan – wollte ein wenig in die Welt hinaus und unter Culturmenschen; konnte es ihr nicht verdenken – gingen für den Winter nach Brooklyn – so eine Art Vorstadt, Nebenstadt von New-York, weißt Du – schöne Gegend, Wasser, Inseln, Waldhügel, gesellschaftliche Excitements aller Art. Nun wohl, hatte immer ein Gefallen an Brooklyn – also wir gehen dahin. Will das Unglück, daß im Bordinghause neben uns der besagte Windhund –“

„Das Titelkupfer?“

„Das Titelkupfer für ‚Knigge’s Umgang mit Menschen‘ zu sitzen kommt, Bekanntschaft anknüpft, den Liebenswürdigen spielt, sehr angenehm plaudert und uns von den Reisen erzählt, die er gemacht hat. Ist am andern Tage wieder da, und am folgenden auch, und so weiter. Erzählt uns, daß er Officier ist, langen Urlaub hat, ein wenig leidend gewesen, brustleidend, Aerzte haben ihm eine längere Seereise empfohlen; nun wohl, ist gleich nach Hinterasien gegangen – von da nach Australien, über’s stille Meer nach San Francisco, von da herüber mit der Pacificbahn, ist frisch und gesund geworden dabei, will sich aber in Brooklyn noch etwas ausruhen, bis er ostwärts heimsegelt.“

Aurel hatte, während sein Vater diese Angaben machte, in wachsender Spannung immer größere Augen auf ihn geheftet, und jetzt erregt die Hand auf seinen Arm legend, rief er aus:

„Und der Name, Vater, der Name des jungen Mannes?“

„Der Name? Was den Namen angeht, so war nichts Besonderes daran, ein Name wie andere auch – aber das Wunderliche war, daß er just aus diesem unserem alten Neste stammte und dahin zurückkehren wollte – der Name war Ludwig von Gollheim –“

„Ich wußte es, ehe Du ihn nanntest,“ rief Aurel in höchster Erregung aus.

„Du wußtest es? Woher wußtest Du es?“ fragte Lanken, seinen Sohn scharf und forschend ansehend. „Kennst ihn, hast Dir von ihm erzählen lassen?“

„Ich kenne ihn – aber erzählen lassen hab’ ich mir nichts – ich hatte nicht die leiseste Ahnung von seiner Beziehung zu Dir, zu –“

„Zu Lily? In der That nicht?“

„Nicht die leiseste.“

„Aber seine Schwester – hat sie ebenfalls keine Ahnung davon, daß ihr Bruder Ludwig sich in Brooklyn –“

„Seine Schwester? Regina Gollheim? Wie könnt’ ich das wissen?“

„Ich denke, Du müßtest es wissen – man trägt mir ja hier zu, Du, Aurel, Du seiest verlobt mit ihr.“

Aurel schüttelte, seinen Vater groß ansehend, verneinend den Kopf.

„So hat man Dir Etwas zugetragen, was unwahr ist,“ antwortete er – „wenigstens bin ich nicht der Verlobte Regina Gollheim’s – das ist unwahr.“

„Unwahr? Desto besser dann!“

Aurel wandte das Gesicht ab. Dann, wie seiner Erregung nicht mehr Herr, sprang er auf. Er ging hastig im Zimmer auf und ab; er murmelte einige Worte für sich hin, die sein Vater nicht verstand, und endlich sich wieder zu diesem wendend, rief er aus:

„Weshalb vollendest Du nicht – was ist mit Ludwig Gollheim, mit dieser Lily?“

„Was ist mit ihnen? Eine alltägliche Geschichte. Sie haben sich mit einander verlobt, verheirathet, sind an die Seeküste gegangen, um da die Flitterwochen zuzubringen – ich unterdeß heim nach Michigan, um da meine Farm zu verkaufen – hatte keine Lust, da in der Einsamkeit mich weiter zu plagen – habe auch einen Käufer gefunden und ein gut Stück Geld dafür bekommen – wollte damit irgend ein Grundstück im alten Lande kaufen – wenn Lily hier diesseits des Wassers war, wollte auch ich – na, kannst das begreifen. Die jungen Leute haben in der Zwischenzeit abgemacht, daß Gollheim voraus hierher gehen soll, um seine Heirath seinem Alten klar zu machen – soll ein schlimmer Aristokrat sein, der Alte; Lily sollte nachkommen und in Hamburg warten, bis Gollheim hier für gut Wetter gesorgt habe und sie abhole, um sie seinen Leuten zuzuführen. Sie reisen also auch ab – er zuerst – nach drei Wochen sie – aber in Hamburg findet sie verzweifelte Briefe von ihm – der Alte hat den unsinnigen Einfall gehabt, sich in den Grafenstand erheben zu lassen – ein Majorat zu errichten – der Sohn soll Titel und Güter erben, wenn er eine Adlige heirathet, sonst nicht; der Alte hat mit der ganzen Sache, die er längst eingefädelt, erst Ernst gemacht, als er über die Gesundheit seines Sohnes beruhigt worden; wird

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_273.jpg&oldid=- (Version vom 25.1.2021)