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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Gestade, ob zu Ruhm und Ehre oder zu Kampf und Untergang. Vogue la galère!

Wollen Sie es darauf hin wagen und sich meiner Leitung anvertrauen? Unterschätzen Sie die Ihrer vielleicht harrende Gefahr nicht, auch wenn Ihr ahnender Geist Ihnen wohl längst gesagt, daß der Kiel, der sich Ihrem Dienste weiht, nur einer harmlosen – Gans entstammen dürfte. Wer weiß, ob ich Sie nicht besser und sicherer auf einem guten Schiffe durch Wind und Wellen geführt hätte, als durch den Tintenocean einer Reisebeschreibung, zu dem ich kein kritisches Senkblei besitze und für den jedes journalistische Seezeichen mir fehlt. In diesem Fahrwasser, mit mir als Lootsen am Bord, müssen Sie jeden Augenblick gewärtigen, auf der ödesten aller Sandbänke, „Langeweile“ genannt, zu stranden.

Was kann ich wenigstens Ihnen, der viel Gereisten, der viel Belesenen erzählen, das Ihnen neu und darum merkwürdig wäre? Giebt es noch Gegenden der von uns bewohnten Erdenhälfte, die Ihr schönes Auge nicht geschaut? Giebt es von der andern, uns abgewendeten, noch Beschreibungen in Buch- oder Journalform, in die Ihr kaum minder schönes Näschen sich noch nicht gesteckt? Ich möchte zweifeln und damit zugleich an der Lösung meiner Aufgabe verzweifeln, wenn mir nicht zur rechten Zeit Rabbi Ben Akiba’s weises Wort einfiele, der da behauptet, es gäbe überhaupt nichts Neues unter der Sonne. Hat er Recht (und ich traue es dem klugen alten Herrn zu), warum sollte dann ich, der freilich stümperhaft Anfangende, aber, weil auf hohe Ordre handelnd, jeder moralischen Verantwortung Enthobene, mich scheuen, schon Dagewesenes noch einmal, und zwar mit dem eigenen kleinen Lichtchen zu beleuchten?

Blättere ich nun in meinen Aufzeichnungen und ist die Erinnerung geschäftig, vorhandene Lücken auszufüllen und zu ergänzen, dann zieht das Erlebte in bunter Reihenfolge vor meinem geistigen Auge vorüber, und wünschte ich mir den glühenden Pinsel eines Tintoretto, um die farbenprächtigste Leinwand vor Ihnen als „Bilder ohne Worte“ entrollen zu können. Will ich aber wählen, was ich Ihnen, der ich nur das Beste gönne, eigentlich vorführen soll, dann bin ich in Verlegenheit. Ich entdecke nämlich, daß ich die meisten Länder mehrere Male, einige in einem Zeitzwischenraume von einem Jahrzehnt und darüber gesehen, und daß ich sie jedesmal anders gesehen. Wann sie nun am eigenartigsten, am anziehendsten und also am würdigsten waren, von Ihnen geschaut zu werden, das ist eben die große Frage. Sinke ich in Ihrer, der dem geistigen Fortschritte so bedingungslos Huldigenden, Schätzung gar zu tief, wenn ich offen bekenne, daß ich mir Länder und Völkchen lobe, wie sie waren, ehe sie die Cultur beleckte? Frack und Cylinder mögen, als Gipfelpunkte einer vollendeten gesellschaftlichen Bildung, achtungswerth, als höchste Errungenschaften eines geläuterten Kunstsinnes sogar anmuthig und kleidsam sein, an die Körper und auf die Köpfe meiner lieben Japaner aber passen sie z. B. sicher nicht. Sie sind doch insgesammt recht komische Erscheinungen, diese in’s Gewand der europäischen Mode gekleideten Wilden und Halbwilden – die freigewordene und sich in ihrer Caricatur einer Lady noch freier dünkende Negerin ebenso wie der Südsee-Insulaner, der den gegen seine köstlichen Landesproducte eingetauschten Vatermörder stolz als Lendenschmuck trägt, der Japaner, der, nicht wissend, daß man Kinder anders kleiden könne, als Erwachsene, schon seine kleinsten Rangen in den Frack zwängt und sie „süß“ darin findet, nicht minder als die Majestät von Siam, die an hohen, officiellen Galatagen in Höchstihren nackten Beinen prangend sich sehen, in gewöhnlichen, nicht officiösen Stunden dagegen mit Schuh und Strümpfen bekleidet sich modisch gehen läßt.

Und hierbei – stopp! Die Mode hat mich in logischem Gedankengange bis zu dem dunkeln Piedestal des Beherrschers von Siam geführt. Und da wollen wir vorläufig auch bleiben. Wohlverstanden – in Siam nämlich!

Das Wunderland steigt, wie mit dem Zauberstabe berührt, vor mir empor. Die große Audienz unseres Gesandten, der wir in seinem Gefolge beiwohnten, entfaltet sich wieder in ihrem ganzen fremdländischen Glanze, mit all ihren barocken Seltsamkeiten vor meinen geistigen Augen. Ich habe gefunden, was ich für Sie suchte. Jene Tage in Bangkok sind es werth, vor Ihnen aus dem Meere der Vergessenheit emporzutauchen.

Zuvörderst aber muß ich, um es zu ermöglichen, dem Urgreis Chronos ein wenig in’s Handwerk pfuschen, indem ich dem Rade der Zeit einen kleinen Schwung nach rückwärts gebe und Sie, meine Gnädige, ersuche, sich in Zeiten zurückzuversetzen, wo Sie noch ein so junges Fräulein waren, daß Sie Ihrem schon damals getreuen Verehrer noch geruhsam Ihre nicht ganz orthographisch geschriebenen Briefchen und Ihre Küßchen senden und sich dafür en revanche die schönste Puppe der alten und neuen Welt bestellen konnten. Ueber achtzehn Jahre führe ich Sie zurück, bis in das Jahr 1861, in dessen letzten Monat, den December, jene mir denkwürdig scheinenden Tage fallen.

Wir lagen mit Seiner Majestät Schiff „Arcona“ auf der Rhede von Bangkok zur Disposition unseres Gesandten, des Grafen Eulenburg, desselben, der nachmals als Minister des Innern so viel von sich reden machte und dessen glänzende Laufbahn mit jener Expedition begann. Das Schiff befand sich auf der Rückreise von Japan und China, wohin hauptsächlich der diplomatische Auftrag gelautet, und nachgerade (es war im dritten Jahre unserer Abwesenheit von Hause) warteten wir mit einiger Ungeduld auf weitere Befehle, namentlich auf die Rückberufungsordre, die jeden Tag eintreffen konnte. Der Gesandte war an Land in ein Gebäude gezogen, das ihm die siamesische Regierung eingeräumt, und wir Anderen an Bord vertrieben uns die Zeit, so gut oder so schlecht wie es eben gehen wollte.

Sonderlich günstig sah es mit der Unterhaltung aber just nicht aus. Wir lagen acht bis neun Seemeilen vom Lande ab, das uns nur durch einen grünen Streifen über dem Horizont angedeutet wurde. Die Hitze war sehr groß und erschien uns doppelt drückend nach der verhältnißmäßig kühlen Witterung, die wir noch vor Kurzem in China gehabt. Zudem war gerade die Zeit der jährlich wiederkehrenden Ueberschwemmungen, und Pachnam, der Hafenort von Bangkok, der einzige für uns zu Boot erreichbare Ort, lag fast vollständig unter Wasser. Demungeachtet entschlossen sich v. B…, der Schwager unseres Commandanten, der Gesandtschaftsarzt und ich zu einer Entdeckungsreise, und fuhren wir eines Morgens in unserer kleinen Jolle dem Ausfluß des Menam, an dem sechsunddreißig Seemeilen stromauf Bangkok und zwei Seemeilen von der Mündung entfernt Pachnam liegen, zu. Die Sonne ging gerade auf, als wir in den Fluß einfuhren, und beleuchtete ein seltsames Bild. Von den Ufern des Flusses war nichts zu sehen, und nur die üppige, jetzt aus dem Wasser hervorragende Vegetation deutete ihr Vorhandensein an. Da, wo die Bäume nicht zu dicht standen, konnten wir mit unserem Boot im Urwalde umherfahren, aber nirgends fanden wir eine Stelle, auf die wir unseren Fuß hätten setzen können; denn selbst da, wo der Schlamm einmal über dem Wasser emporragte, war er so weich, daß wir rettungslos darin versunken wären. Außerdem aber pflegen solche trocken gefallene Stellen von Alligatoren und giftigen Reptilen zu wimmeln und sind schon aus dem Grunde keine einladende Landungsstellen. Gegen acht Uhr erreichten wir Pachnam und legten bei einem halb im Wasser begrabenen Tempel an, in der Hoffnung, von ihm aus endlich eine trockene Stelle zum Spaziergang oder gar zu der ersehnten Jagd zu finden. Wir manövrirten uns durch den nassen Hof des Tempels und folgten einem endlich aufgestöberten Siamesen, der uns nach einem Hause leitete und uns einzutreten nöthigte. Auch hier fanden wir den Hof überschwemmt und konnten nur über eine Bretterbrücke in das auf Pfählen stehende, überall offene Gebäude gelangen. Im Inneren desselbe stießen wir auf einen alten, dicken Herrn in ungemein leichter Bekleidung, der uns nicht wenig verwundert entgegenstierte und uns schließlich als der gebietende Gouverneur von Pachnam vorgestellt wurde. Obgleich wir natürlich keine Ahnung von der Existenz einer solchen Standesperson hatten, faßte ich mich, als gewandter Europäer, doch rasch und ließ dem alten Herrn durch einen Siamesen, der etwas Englisch verstand und deshalb dolmetschte, bedeuten, wir seien eigens gekommen, um Seiner Excellenz unsere Aufwartung zu machen. Diese Artigkeit schien dem mangelhaft toilettirten Dicken nicht wenig zu gefallen und zu schmeicheln. Er schmunzelte äußerst gnädig und ließ sofort eine kleine Collation von Thee, englischen Biscuits und wundervollen Bananen auftragen, eine Erfrischung, die uns, die wir ohne etwas genossen zu haben von Bord gefahren waren, hochwillkommen war. Nachdem wir uns erquickt und in Erfahrung gebracht hatten, daß des Wasserstandes wegen von Jagd keine Rede hier sein könnte, der Fluß dagegen reichlich von Alligatoren und Schlangen wimmele, erklärten wir unseren officiösen Besuch für beendet, nahmen Abschied und bestiegen wieder unsere Jolle, um auf gut Glück weiter zu fahren.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 251. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_251.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)