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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


Kunstwerke und Seltenheiten aus Feindesland nach Paris zu befördern, wie man sich naiv ausdrückte, „im Interesse der Gelehrten“, welche dann nicht mehr nöthig hätten, das Material für ihre Studien in der halben Welt herum zu suchen, sondern es auf einem Punkte vereinigt fänden.

Die Ortsgeschichte von Sinzig hat leider nichts darüber aufbewahrt, ob die Stadt gegen die Wegnahme des Vogtes protestirte. Wie es scheint, hat man die französischen Truppen gewähren lassen, um bei Bemessung der Kriegslasten möglichst günstig wegzukommen. Vielleicht hat man auch im Stillen gehofft, der Vogt werde, als echter Heiliger, den Weg in die Heimath zurückfinden.

Diese Hoffnung sollte nicht getäuscht werden. Nach dem Einmarsche der Alliirten in Paris gelang es nämlich einem bei der Armee befindlichen Sinziger, den heiligen Vogt zu entdecken, der, mit einigen ägyptischen Mumien zusammengeworfen, sich sechszehn Jahre lang nach dem grünen Rheinstrome gesehnt hatte. Der Entdecker interessirte den Freiherrn von Stein für diese Angelegenheit, und während so mancher von den Franzosen geraubte Kunstschatz in Paris verblieb, befand sich die Mumie ausdrücklich unter den im Friedensvertrage bedungenen Gegenständen, deren Herausgabe zu erfolgen hatte. Dieselbe langte im Herbste 1815 in Köln an und wurde von da aus in pomphafter Procession nach Sinzig gebracht, empfangen von dem endlosen Jubel der Bevölkerung, welche während der langjährigen Abwesenheit des guten Vogtes sich in den schweren Kriegsläuften oft des früheren Helfers in der Noth erinnert hatte.

Freiherr von Stein vermuthete, der Vogt sei ein Ahn der auf der Landskron ansässig gewesenen Seitenlinie seines Hauses, die ihr Erbbegräbniß in der Kirche zu Sinzig gehabt haben soll. Arndt erzählt in seinen „Rhein- und Ahrwanderungen“: „Bald nach der Rückkehr des heiligen Vogtes aus Paris sah ich den Minister von Stein in Nassau, welcher scherzend und lachend zu mir sagte: ‚Wissen Sie, was für ein Heil mir widerfahren ist? Ich kann nun nimmer verderben; ich habe jetzt auch einen katholischen Heiligen und Fürbitter in meinem Hause, einen alten Ahn und Vogt von Landskron; war vielleicht in seinen Lebenstagen ein weidlicher Trinker und Raufbold, und hat ihm wohl nicht geträumt, daß er einmal unter die Heiligen versetzt werden würde!‘“

Welche Versuche die Franzosen mit dem Vogte angestellt haben, ist nicht bekannt geworden. Eine Broschüre aus dem Jahre 1812 erwähnt desselben und vermuthet in ihm eine Mumie arabischen Ursprunges, jedenfalls irrthümlich, da sowohl Schädelbildung wie Gesichtsausdruck den rein germanischen Typus zeigen. Wenn man dem Volksmunde glauben darf, wurde er unter Anderem in Oel gesotten, weil man glaubte, balsamische Stoffe in ihm zu finden. Dieses ölige Experiment scheint übrigens unserem Vogte nicht gut bekommen zu sein. Wenigstens datirt sich von seiner Rückkehr ab der Ausfall der Haare, sowie die Zerstörung von Nase und Augen.

Was sagt nun die Wissenschaft zu dem „Wunder“?

Bekannt ist, daß die alten Aegypter durch Anwendung von gerbstoffhaltigen und balsamischen oder auch nur salzigen Stoffen ihre Todten, welche nach Entfernung der Eingeweide meist mit einer Mischung aromatischer Harze oder Asphalt angefüllt wurden, künstlich zu mumificiren verstanden.

In nicht seltenen Fällen übernimmt aber auch die Natur ohne weiteres Hinzuthun die Mumificirung von Leichen, indem sie ihnen unter besonders günstigen Umständen die erste Bedingung, durch welche ein Fäulnißproceß überhaupt möglich ist, nämlich die Feuchtigkeit, rasch entzieht. Je trockner die Luft ist, besonders wenn noch regelmäßig anhaltende starke Strömungen derselben dazu kommen, desto häufiger lassen sich Fälle von natürlicher Mumificirung beobachten. Beispielsweise werden Menschen- oder Thierleichen in den Sandwüsten Afrikas und Arabiens, wenn sie durch eine Sandschicht gegen Raubthiere geschützt werden, in verhältnißmäßig kurzer Zeit zu Mumien ausgedörrt, welche nicht mehr der Verwesung anheimfallen. Auf den canarischen Inseln, in Mexico und Peru, wo scharfe Winde, besonders in den Gebirgen, die rasche Austrocknung der Leichen veranlassen, sind natürliche, mehr oder weniger gut erhaltene Mumien durchaus nichts Seltenes.

Aber auch in weniger heißen Klimaten kommen, allerdings ziemlich vereinzelt, Fälle von natürlicher Mumienbildung vor. Bekannt ist z. B., daß in einem Gewölbe des Kapuzinerklosters zu Palermo (vergl. „Gartenlaube“ 1879, Nr. 4), im Kloster auf dem großen St. Bernhard, sowie in dem sogenannten Bleikeller der Domkirche zu Bremen in Folge von Austrocknung Leichen erhalten bleiben. Das lehrreichste Beispiel für den vorliegenden Fall bieten jedoch die in der Mönchsgruft oder eigentlich Unterkirche der Capelle auf dem Kreuzberge bei Bonn aufbewahrten Mumien ehemaliger Mönche des Medikantenordens.

Bis zur Ankunft der Franzosen im Jahre 1794 befanden sich daselbst vierhundert wohlerhaltene Leichen, welche meist schon mehrere Jahrhunderte der Verwesung trotzten. Die meisten derselben wurden begraben, nachdem die Franzosen die Särge geraubt hatten. Gegenwärtig sind noch etwa ein Viertelhundert Mumien vorhanden, welche, in düstere Ordensgewänder gehüllt, mit ihren fromm gefalteten Händen oder über der Brust gekreuzten Armen auf den Beschauer einen ergreifenden Eindruck machen.

Ganz genau dieselben Bedingungen finden wir in dem Gotteshause zu Sinzig; denn auch jenes liegt, wie die Kirche auf dem Kreuzberge, auf der Spitze eines Hügels und besaß früher eine nunmehr verschüttete Unterkirche, welche dem einen oder andern der benachbarten adeligen Geschlechter als Begräbnißstätte diente. Durch die angebrachten Oeffnungen fand lebhafter Luftzug statt, welcher die allmähliche Austrocknung der Leichen verursachte. Als weiteres begünstigendes Moment trat noch hinzu, daß der Untergrund des Hügels aus porösem, trockenem Gestein besteht, das durch Absorption von Feuchtigkeit den Vertrocknungsproceß beschleunigen half. Eine Bestätigung der Annahme, daß die Mumie mit solchem Gestein in Berührung gekommen, ergab die chemische Analyse einiger der Haut anhaftenden Partikelchen einer grauweißen Masse, welche sich als kohlensaurer Kalk von tuffsteinartiger Structur herausstellte.

Bis zu welchem Grade die Austrocknung fortgeschritten ist, ist aus der Thatsache ersichtlich, daß die ganze Mumie nur ein Gewicht von dreizehneinhalb Pfund aufweist.

Für die Richtigkeit unserer auch von Professor Dr. Schaafhausen in Bonn getheilten Annahme, daß die Mumificirung der Leiche sich durch beschleunigte Austrocknung vollzogen habe, spricht unter Anderem auch der Umstand, daß, wie oben erwähnt, Augen und Nasentheile in zunehmender Verwesung begriffen sind. Während nämlich früher die Mumie in einem trockenen und luftigen Gelasse aufbewahrt war, ist sie seit Restaurirung der Kirche in einen dumpfen, feuchten Raum untergebracht worden. Die Feuchtigkeit begünstigte die Verwesung und hatte zunächst die Zerstörung der nicht mit der schützenden pergamentartigen Haut bedeckten Körpertheile zur Folge; sie dürfte, allmählich fortschreitend, in nicht zu ferner Zeit den zweiten Tod des guten Vogtes herbeiführen.

Ob damit wohl die Wundergläubigkeit der Menge etwas erschüttert werden wird?

M. L.




Maritime Briefe an eine Dame.[1]
I.

Verehrte Freundin! Ihr Abschiedswort: „Schreiben Sie!“ war mir Befehl. Der im wohldisciplinirten Dienste Seiner Majestät am Bord groß und im kaum minder ergebenen Dienste der Schönheit am Lande alt Gewordene kann nur – gehorchen. Ich schreibe. Ueber Sie, meine Gnädige, aber die Folgen! Möge nicht Goethe’s Zauberlehrling, der die Geister, die er rief, nicht wieder los wurde, zu spät als drohendes Schreckgespenst Ihnen erscheinen! Einmal entfesselt, sind wir Seeleute gefährlich wie das Element, das uns trägt, und unberechenbar, wie die versiegelte Segelordre in der Tasche des Commandanten. Sorglos lichten wir die Anker, unbekümmert, wohin unser Kiel uns führt, ob zu Freud’ oder Leid, ob in lachende Gefilde oder an unwirthsame

  1. Mit dieser Rubrik eröffnen wir eine Reihe von höchst fesselnden Artikeln, in denen ein früherer preußischer Seeofficier Erlebtes und Ueberliefertes niederlegt. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 250. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_250.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)