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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

sich spiralig zusammen zu rollen, wenn sie einen harten Körper erfaßt haben, oder mit einem solchen gerieben werden, wodurch sie den betreffenden Pflanzenast näher an die gewonnene Stütze heranziehen und erhärtend wie Spiralfedern wirken, welche der Ranke im Winde die erforderliche Elasticität verleihen.

„Es ist oft,“ sagte Darwin am Schlusse seiner Untersuchungen über die kletternden Pflanzen (deutsche Ausgabe, Stuttgart, 1876. S. 157), „in unbestimmter Allgemeinheit behauptet worden, daß Pflanzen dadurch von den Thieren unterschieden wären, daß sie das Bewegungsvermögen nicht besitzen. Man sollte vielmehr sagen, daß Pflanzen dieses Vermögen nur dann erlangen und ausüben, wenn es für sie von irgend welchem Vortheil ist, dies tritt aber verhältnißmäßig selten ein, da sie an den Boden geheftet sind und ihnen Nahrung durch die Luft und den Regen zugeführt wird.“

Man ersieht hieraus, wie Darwin schon von der Betrachtung der Kletterpflanzen zur Voraussetzung einer allgemeinen Befähigung der Pflanzen, ihnen nützliche Bewegungen auszuführen, geleitet wurde; sie bewegen sich nur deshalb für gewöhnlich nicht auffälliger, weil sie bei ihrer Festwurzelung keinen Vortheil davon haben. In der That führten ihn neuerdings genauere, mit der höchsten Sorgfalt an sehr zahlreichen Pflanzen aus den verschiedensten Abtheilungen des Gewächsreiches angestellte Beobachtungen zu der in seinem neuen Buche[1] ausgeführten Erkenntniß, daß jenes vorausgesetzte Bewegungsvermögen nicht nur stets vorhanden ist, sondern auch immerwährend bethätigt wird, indem alle jüngeren, noch im Wachsthum begriffenen Theile der Pflanzen ununterbrochen ähnliche kreisende Bewegungen, wenn auch in schwächerem Maßstabe, als windende Pflanzen vollführen. Mittelst eines sinnreichen, die Bewegungen verfolgbar machenden Verfahrens, dessen genaue Beschreibung der Leser in dem neuen Buche findet, wurden diese Bewegungen in Hunderten von Zeichnungen fixirt, welche den Beweis vor Augen führen, daß alle Endtheile der Pflanzen, Wurzel- und Stengelspitzen, Seitenwurzeln und Seitenäste, Ranken und Ausläufer, Keimblätter und wirkliche Blätter, in ihrem Wachsthum, und in vielen Fällen über dasselbe hinaus, beständig ringsumherneigen, wobei sie im Lause des Tages ein oder mehrere Umläufe vollenden.

Ihre äußersten Spitzen beschreiben dabei elliptische Curven, oder, sofern sie langsam dabei weiterwachsen, elliptische Schraubenlinien, die insofern unregelmäßig ausfallen, als die großen Achsen dieser Ellipsen bald nach diesen, bald nach jenen Richtungen zeigen, während die Bewegung, abgesehen von kleinen Unregelmäßigkeiten, Rückfällen und Zickzackspringen, im Großen und Ganzen immer dieselbe Drehungstendenz beibehält. Eine Pflanze ist also keineswegs das bewegungslos im Boden wurzelnde Wesen, für welches wir es gewöhnlich halten, vielmehr sind alle ihre äußersten Verzweigungen in unaufhörlich kreisender Bewegung begriffen, und es giebt ein wundersames Traumbild, wenn wir uns im.Geiste ausmalen, wie an einem großen Akazien- oder Mimosenbaume alle die vielen Tausende und Millionen Fiederblättchen und Triebe, Wurzeln und Nebenwurzeln, kurz alle Endungen des Gewächses, gleichzeitig und ruhelos Curven beschreiben, die keineswegs mikroskopisch klein genannt werden können, sodaß der Baum, abgesehen von seinem Weiterwachsthume, nur in solchem Sinne ruhend erscheint, wie etwa eine kleine Taschenuhr, deren Zeigerumdrehung wir ebenfalls nicht unmittelbar wahrnehmen, stillzustehen scheint.

Das beständige Ringsumherneigen der wachsenden Theile ist also eine bisher in ihrer Allgemeinheit übersehene Grundeigenschaft der Pflanzen, deren Erkenntniß dadurch von tiefgreifender Bedeutung wird, weil wir uns daraus die Hervorbildung der anderen, bestimmten Lebensbedürfnissen dienenden, augenfälligeren Bewegungen der Pflanzen, wie das Winden der Schlingpflanzen, das Vorwärtsdrängen der Ausläufer durch Dickicht und Gestrüpp, das Umherkriechen der Wurzel im Boden, die Schlafbewegungen der Blätter und viele andere als nützlich erwiesene Abänderungen und Erweiterungen jener Grundbewegung ableiten können. Um nun auf diesem weiten und wichtigen Forschungsgebiete zu einiger Klarheit zu gelangen, müssen wir uns zunächst fragen, durch welche Ursachen und Kräfte diese Grundbewegung, d. h. das fortwährende Umherbeugen der Pflanzenorgane überhaupt zu Stande kommt. Bis vor Kurzem glaubte man, daß die Ursache aller solcher Beugebewegungen der Pflanzenorgane in dem nicht gleichmäßigen, sondern einseitigen, und von der einen Seite der Organe auf die andere übergehenden Wachsthum der Pflanzenzellen zu suchen sei, wodurch bewirkt werde, daß sich jeder Theil immer nach seiner augenblicklich weniger wachsenden Seite hinüberneigen müsse. Das heißt mit andern Worten, die Ringsumherneigung des Sprößlings z. B. der Schlingpflanze werde durch ein in Kreisen oder Spirallinien herumgehendes Weiterwachsthum der Zellen desselben bewirkt. Dem wirklichen Wachsthume der Zellen geht aber ein Anschwellen, ein saftstrotzender Zustand (Turgor) der Zellen voraus, und daß dieser die eigentliche Veranlassung der Ringsumbeugung ist, wird schon dadurch wahrscheinlich gemacht, daß auch zahlreiche, nicht mehr wachsende Pflanzenorgane durch bloße vorübergehende Zellenanschwellungen ähnliche Bewegungen vollführen. Wir sehen viele Pflanzen, namentlich in der großen Familie der Hülsenpflanzen, zu welcher die Klee-, Linsen-, Wicken-, Bohnen- und Erbsenarten, aber auch die Akazien und Mimosen gehören, sowie in anderen Familien, namentlich denen mit gefiederten Blättern, die letzteren zeitlebens und nicht blos in ihrer Wachsthumsperiode des Nachts sich zusammenfalten und am Tage wieder ausbreiten. Um dies ausführen zu können, besitzen die einzelnen Blättchen am Grunde ihres Stieles eine kleine Anschwellung, ein sogenanntes Blattkissen oder Polster, welches zu einem großen Theile aus kleineren, blassen Zellen besteht, die auf einer frühen Wachsthumsstufe stehen geblieben sind, aber nur die Fähigkeit zum Weiterwachsthum, nicht aber diejenige periodischer An- und Abschwellung eingebüßt haben. Indem diese Anschwellung der kleinen Polsterzellen nun abwechselnd von der einen Seite des Polsters auf die andere im Bogen herum fortschreitet, beschreiben diese nicht mehr wachsenden Blätter elliptische Curven, gerade wie die weiter wachsenden Pflanzentheile. Man darf also dem Anscheine nicht glauben, daß es sich bei dem fälschlich sogenannten „Pflanzenschlaf“ nur um ein einfaches Heben und Senken der Blättchen handle; die Blättchen beschreiben dabei vielmehr, wie alle circumnutirenden Pflanzentheile, langgezogene Ellipsen und wenden und drehen sich dabei oftmals in einer Weise, die der betreffenden Pflanze, wie wir weiter unten sehen werden, vom höchsten Nutzen ist.

Verfolgen wir jetzt einmal den gesammten Lebensgang einer Pflanze, von ihrem ersten Auskeimen an, im Lichte der neugewonnenen Erkenntniß, so werden wir leicht die Wichtigkeit der neuen Untersuchungen des jetzt in seinem dreiundsiebenzigsten Jahre stehenden britischen Forschers verstehen, die, wie auf so vielen anderen Gebieten, auch hier als grundlegende anzusehen sind. So viel ihm auch andere, namentlich deutsche Botaniker auf diesem Gebiete vorgearbeitet hatten, es fehlte jene universale, den Dingen auf den Grund gehende und die Einzelnbeobachtungen verbindende Betrachtungsweise der Natur, die alle seine Arbeiten so sehr vor den meisten ähnlichen auszeichnet. Wenn das Keimwürzelchen aus der Samenhülle getreten ist, so folgt es alsbald, wie der englische Botaniker Knight im Beginn unseres Jahrhunderts gezeigt hat, der Richtung der Schwerkraft, das heißt, es wendet sich in den gewöhnlichen Fällen dem Erdmittelpunkte zu; auf dem Umfange eines bewegten Rades aber wächst es in der Richtung der Centrifugalkraft, während der Stengel centripetal wachsen würde. Durch höchst interessante Versuche hat nun Darwin die schon früher von Ciesielski erkannte Thatsache, daß das Vermögen, von der Schwerkraft beeinflußt und geleitet zu werden, nicht in der gesammten Hauptwurzel, sondern nur in ihrer untersten Spitze liegt, bestätigt und verallgemeinert. Wenn dem Würzelchen in feuchter Luft gekeimter Samen die für die Schwerkraft empfängliche Spitze amputirt wurde, so wendete sich das wagerecht gestellte Würzelchen nicht mehr, wie sonst, nach wenigen Stunden dem Schwerpunkte der Erde zu, sondern dies geschah erst nach Verlauf mehrerer Tage, nachdem sich eben eine neue Wurzelspitze gebildet hatte.

Dieses durch die Schwerkraft geleitete Hinabstreben des Würzelchen geschieht aber nicht unentwegt in gerader Linie nach dem Schwerpunkte der Erde zu, sondern der vorausgehende Theil der Wurzel circumnutirt (man wolle der Kürze halber dieses ebenso bequeme, als bezeichnende Fremdwort gestatten) dabei ebenso, wie es die in freier Luft befindlichen, oberirdischen Pflanzentheile thun. Darwin hat dies nicht nur in zahlreichen Fällen an den Würzelchen

in feuchter Luft gekeimter und frei befestigter Samen direct beobachtet,

  1. Die Thatsachen und Abbildungen dieses Artikels sind dem neuen, in Gemeinschaft mit seinem Sohne Francis herausgegebenen Werke Darwin’s entnommen, dessen deutsche Ausgabe, von Professor Victor Carus übersetzt, soeben unter dem Titel „Das Bewegungsvermögen der Pflanzen“ (mit 196 Holzschnitten) im Verlage der E. Schweizerbart’schen Verlagsbuchhandlung (Eduard Koch) in Stuttgart erscheint.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_229.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)