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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)


2.

Der alte Herr war unterdessen in das Haus eingetretenen; eine katzenhaft aussehende Frauensperson mit einer gefältelten Haube war ihm entgegengetreten und blinzelte nun, als ob ihr auf dem dunkeln Hausflur noch zu viel des Lichtes sei, fortwährend mit den kleinen müden Augen. Lanken fragte nach seinem alten Freunde, und die Sibylle ihm gegenüber rief nun nach dem rothen Schallmeyer.

Dieser erschien denn auch auf ihren fast wie ein Hülfeschrei ertönenden Ruf oben auf dem Treppenabsatz; seine Röthe – das sah Lanken auf den ersten Blick – war stark in’s Fahlgraue verschossen, das heißt da, wo ihm der Lauf der Jahre noch den Stoff zu solchem Farbenwechsel auf dem hohen dünnen Scheitel gelassen; daß er, wie seine Widersacher meinten, eine wenig Zutrauen erweckende Aehnlichkeit mit einem Fuchse habe, mußte dem alten Thierarzt nicht aufgehen.

„Schallmeyer! Altes Känguruh!“ rief er zu ihm hinauf. „Her mit Dir! Komm einmal herunter, einen alten Freund zu begrüßen! Wahrhaftig, er steigt die Treppe herab, so vorsichtig, wie eine Beutelratte von der Korkeiche. Kennst Du Lanken nicht mehr, Deinen alten Freund Lanken?“

„Sieh, sieh,“ sagte das Känguruh, das in Hemdsärmeln war und jetzt rascher niederstieg. „Du bist es. Hast Dich gut gehalten – merkwürdig gut! Ist das Dein ganzes Gepäck?“ fuhr er auf den Reisesack blickend fort.

„Imponirt es Dir nicht hinlänglich, um mir Zimmer in Deinem Hause zu überlassen?“

„Du kannst Zimmer bekommen, so viel leer stehen. Mit Deinem Gepäck brauchst Du nicht zu imponiren. Ihr Lanken seid ja jetzt große Leute hier im Lande geworden; mich wundert nur, daß Du vorlieb nehmen willst bei mir – Frau Förster, Nummer vier und fünf nach vorn heraus! – es sind unsere besten – kannst Deinen Sohn und das ganze Staatsministerum da empfangen – habe sie Dir gleich bestimmt, als Du uns angekündigt wurdest.“

„Angekündigt?“ fragte Lanken, lohnte den Träger ab und folgte nun seinem alten Freunde und dessen Hauskatze die Treppe hinauf auf Nummer vier und fünf.

Nummer vier war ein großes, sehr niedriges Zimmer, mit allerlei abgeschlissenen Möbeln, die augenscheinlich aus verschiedenen Entwickelungsperioden des deutschen Handwerkes stammten, aus jenen Zeiten, wo es den ehrgeizigen Gedanken des Kunsthandwerkes noch nicht gefaßt hatte.

„Daß, wenn ich hier das ganze Staatsministerum empfange, meine Bäume doch nicht in den Himmel wachsen – dafür ist gesorgt,“ sagte Lanken mit einem Blick zu der niederen Decke empor. „Wer bewohnt das Zimmer daneben?“ fragte er, auf eine fast quadratförmige braun gestrichene Flügelthür deutend, vor welche ein kleines mit schwarzem englischem Leder bezogenes Sopha gestellt war.

„Es wohnt die junge Dame da, die Dich uns angekündigt hat - sagte, sie kenne Dich von New-York her – eine stille junge Frau, die Dich nicht geniren wird – ist auch direct aus Amerika herübergekommen – weiß nicht, was sie eigentlich hierher führt – nennt sich Mistreß Brown –“

„Richtig, richtig,“ nickte der alte Herr. „Kannte ihre Eltern – nehme also das Zimmer für längere Zeit - und was die Dollars angeht, so wirst Du einen alten Freund nicht zu stark in die Kreide nehmen.“

„Darüber kannst Du beruhigt sein, alter Junge – Du bezahlst mich ja halb schon durch die Reclame, welche Du mir machst.“

„Der alte Lanken – aus Amerika zurückgekommen – ich glaub’s schon.“

„Ah bah,“ versetzte Schallmeyer, „aus Amerika ist Mancher zurückgekommen, aber der alte Lanken der Vater des Ministers – davon wird die ganze Stadt reden.“

„Hm – ist mein Geschmack just nicht, irgend Jemandes Schatten abzugeben, am wenigsten den meines eigenen Sprossen – was werd’ ich zahlen für die Zimmer?“

„Acht Thaler im Monat.“

„Wahrhaftig, ’s ist die Welt nicht,“ erwiderte Lanken, und, nachdem er noch einige Verabredungen in Betreff der weiteren Bedingungen mit dem alten Freunde getroffen, begann er, ihn über eine Anzahl von früheren Bekannten auszufragen. Schallmeyer antwortete ziemlich lakonisch und menschenfeindlich und nur dann mit einem Ton der Befriedigung, wenn er sagen konnte. „Der ist todt.

Lanken wusch sich während dieses Examens den Reisestaub ab, und als Beides, Examen und Wäsche, beendet war, ging Schallmeyer und ließ seinen Gast allein. Dieser trocknete sich Gesicht und Hände, öffnete die auf den Gang führende Thür, durch welche er eingetreten, und blickte vorsichtig hinaus. Dann schloß er diese Thür ab und ging zu der anderen, der Verbindungsthür, vor welche das kleine Sopha gerückt war, um in kurzen Pausen dreimal daran zu klopfen.


(Fortsetzung folgt.)




Skizzen aus deutschen Parlamentssälen.
3. Die nationalliberale Partei.

Keine Partei ist so eng mit der Geschichte unseres jungen deutschen Reiches verwachsen, wie die nationalliberale. Sie hat an dem Zustandekommen der Verfassung des norddeutschen Bundes, die im Wesentlichen auch die des neuen Reiches ist, einen entscheidenden Antheil, und ebenso an den zahlreichen und wichtigen Gesetzen, welche erst der norddeutsche, dann der gesammtdeutsche Reichstag mit den Regierungen vereinbarte. Ja, man kann mehr sagen: sie ist die Mutter des Gedankens gewesen, der in dem deutschen Reiche endlich seine Verkörperung fand, wenn es auch nicht ihr, sondern einem Andern beschieden war, diesen Gedanken in’s Leben zu führen.

Nach ihren Traditionen, nach dem Geiste der von ihr befolgten Politik, ja auch nach einem Theile, und nicht dem mindest bedeutenden, ihrer Mitglieder und Führer, ist die nationalliberale Partei dieselbe, die 1848 im Frankfurter Parlamente als „Erbkaiserpartei“, 1849 als Partei der sogenannten „Gothaner“, seit 1859 wiederum als „Nationalverein“ thätig und mit allen ihren Bestrebungen fortwährend auf das gleiche Ziel gerichtet war: auf eine kraftvolle Einigung Deutschlands in der Form eines monarchisch-constitutionellen Bundesstaates unter der Führung Preußens.

Zu der Entstehung der nationalliberalen Partei im Reichstage haben zwei Strömungen zusammengewirkt, die sich in ihr verschmolzen, nicht ohne daß jede derselben etwas Eigenartiges von ihrem Ursprunge beibehalten hätte. Für Preußen war das Geburtsjahr der gegenwärtigen nationalliberalen Parteigruppirung – erst im preußischen Abgeordnetenhause, dann in dem altpreußischen Theile der nationalliberalen Fraction im Reichstage – das Jahr 1866. Nationalgesinnte, vor Allem die Einheit des großen deutschen Vaterlandes erstrebende Männer hatte es unter den Liberalen Preußens lange gegeben. Nicht alle freilich waren dies: es fanden sich unter den preußischen Liberalen auch specifische Preußen, ferner solche, welche vor Allem nur den freieren Ausbau des inneren Staatslebens ihres preußischen Vaterlandes betrieben, endlich solche, welche zwar wohl das Ziel, ein kräftiges Gesammtdeutschland, wollten, aber ihre ideologischen Wünsche nach der freiheitlichen Seite hin so hoch spannten, daß sie dadurch jenes Ziel, statt näher, vielmehr in unabsehbare Ferne rückten. Waren es doch preußische Liberale, welche bei der ersten entscheidenden Abstimmung über das zu errichtende deutsche Kaiserreich im Parlament zu Frankfurt durch ihre verneinenden Stimmen die Bildung einer Majorität für dasselbe verhinderten.

Der Nationalverein, diese weitere Etappe in der Entwickelung einer nationalen deutschen Partei, war außerhalb Preußens entstanden und zählte auch unter seinen Mitgliedern und seinen Wortführern eben so viele Nichtpreußen wie Preußen. Jene gehörten großentheils den sogenannten altliberalen Parteien in den Kleinstaaten, die Preußen zumeist der Fortschrittspartei an. Das Hauptinteresse der Liberalen Preußens war indeß damals auf brennende innere Fragen gerichtet, erst auf die Frage der Heeresorganisation, dann auf die damals entsprungene Budget- und Verfassungsfrage. Vor diesen Ausgaben traten alle andern zurück.

Die deutsche Frage erschien ohnehin damals, und noch 1866, ziemlich hoffnungslos. Die Mittelstaaten und Oesterreich schmiedeten

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 224. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_224.jpg&oldid=- (Version vom 3.12.2023)