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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

fort, sollte zum Höbibauer, dem alten griesgrämigen Vetter, und dann – dann sollte sie Loisl’s Weib werden und den Toni nicht wiedersehen – –

Den Toni! Sie legte die Hände über die schmerzenden Augen und lehnte sich auf’s Bett zurück. Wenn sie die Augen schloß, sah sie ihn stets; auch jetzt erschien er ihr wieder, mit flehenden Blicken und auf den Lippen ein rührendes: „Komm!“

„I komm,“ rief sie, „i komm.“

Die Flamme züngelte weiter; schon hatte sie den Thürstock ergriffen. Draußen heulte der Sturm; die Fenster klirrten, und der Wetterhahn auf dem Dache drehte sich kreischend.

In solcher Nacht hatte Toni wohl oft einsam auf Wache stehen müssen, allein, fremd in fernem Land. Armer Toni! Wie wollte sie ihn lieben für jene Zeit – und für alle künftigen! …

Immer weiter griff die Flamme; immer dichter erfüllte der Qualm die Stube; immer heißer wurde die Luft, die Liest athmete. Sie sprang auf und öffnete das Fenster, das, vom Sturme erfaßt und an die Mauer geschleudert, in tausend Scherben zertrümmert zur Erde niederstürzte. Der Sturm tollte nun frei in der Stube und blies in das glosende Feuer an der Thür, das lustig aufflackerte. Jetzt war das Schloß erreicht. Liest sah, wie die Flamme daran emporleckte – ein wilder Ruck, und der glimmende, halbverkohlte Thürstock gab nach – die Thür stand offen.

Der Sturm heulte hindurch und fachte die Flamme jählings an, die hochaufflackernd das Bettgestell ergriff und es im Nu in eine schwere, dunkle Rauchwolke hüllte.

Liesl sah es nicht mehr. Sie sprang über die brennende Schwelle und stürzte mit versengtem Rocke die Treppe hinab, durch das dunkle, stille Vorhaus hinaus – hinaus! In’s Freie!

Jetzt fiel die Thür hinter ihr in’s Schloß; der Hund schlug im Hofe an; sie stand auf der Straße, war – frei. Sie sah auf das Haus zurück, schüttelte sich wild und sagte: „Brenn’ zu!“

Der Sturm erfaßte ihre langen Zöpfe und peitschte sie ihr in’s Gesicht. Sie faßte die flatternden Maschen mit beiden Händen und lief mit dem Sturme die einsame Dorfstraße hinauf, dem Teichbauerhofe zu. – –

Der Himmelbauer lag indessen in seiner Stube nur halb entkleidet auf seinem Bette. Er konnte nicht schlafen. Erst hatte ihn Liesl’s Lärmen und Toben gestört; dann war er eingeschlummert und jählings wieder aus einem beängstigenden Traume aufgefahren. Die todte Teichbäuerin war ihm erschienen, bleich und finster, wie er sie heute auf ihrem letzten Lager gesehen hatte, und mit ihr waren alle die längst begrabenen Gestalten und Erinnerungen aus seiner Jugendzeit wieder erwacht.

Die Teichbäuerin! Sie war einmal schön gewesen, die alte, finstere Teichbäuerin – schön und jung. Er sah sie wieder wie einst, drüben in seinem Heimathsdörfchen „An der Lehn“, viele Meilen von seiner jetzigen Heimath entfernt. Welch eine schmucke, kernfrische Dirne das Höller-Nannerl war, und wie glockenhell ihre Stimme klang, wenn sie mit ihm des Abends lustige G’stanzeln sang! Freilich war auch er damals ein blutjunger Bursche gewesen – und das junge Volk sang und scherzte so lange von Liebe und Liebeslust, bis aus dem Scherze Ernst wurde. Trotz ihrer Armuth hatten die Beiden doch treu bei einander zu bleiben und sich endlich, wenn’s anging, auch heirathen zu wollen geschworen – es kam anders. Er fand einen Dienst im Himmelbauerhofe, und sie blieb daheim bei ihrer alten Mutter zurück. Die Tochter des Himmelbauers fand Gefallen an dem schmucken, jungen Knechte, und da der Bauer plötzlich starb, bot sie ihm ihr Herz und den schönsten Bauernhof im Dorfe als Morgengabe an. Die Wahl war rasch genug geschehen. Der simple Sepp verwandelte sich in den reichen Himmelbauer, und als das arme Dirndl von der „Lehn“ drüben den drei Tage weiten Weg herüberkam, um einen Dienst zu suchen, da ihre Mutter gestorben war, gab es just eine Hochzeit im Himmelbauerhofe. Als sie erfuhr, wer der schmucke, junge Hochzeiter sei, ging sie droben bei den drei Teichen in’s Wasser. Der Teichbauer, der eben des Weges kam, um nach seinen ausgesteckten Fischnetzen zu sehen, zog die fremde Dirne heraus und brachte sie in sein Haus, wo sie wieder zum Leben erwachte. Der Teichbauer war ein häßlicher, roher Bursche, der gerne spielte und trank; dennoch blieb die Gerettete bei ihm, und ehe der Herbst in’s Land zog, war sie Teichbäuerin – Wohl des Buben wegen, den sie kurz vorher geboren hatte. - -

Der Himmelbauer ächzte und wälzte sich schweißtriefend auf seinem Lager hin und her. Vergebens! Die Schatten jener längst entschwundenen Zeit verfolgten ihn wie gehetzte, kläffende Hunde. Das Bild des furchtbaren Brandes, der den Himmelbauerhof fast vollständig eingeäschert hatte, trat vor seine Seele. Es war in seiner Brautnacht. Er hatte sich eben mit seinem jungen Weibe aus der großen Stube gestohlen, in der die Verwandten und Freunde noch saßen und tranken, und der wüste Lärm ihres Lachens und Johlens drang nur gedämpft zu ihnen herüber. Als das junge Paar über den dunklen Hof schlich, huschte eine Gestalt vorüber, eine junge blasse Dirne, deren Anblick ihm das Blut erstarren machte. Das Nannerl war’s.

Er wollte ihr nach, wollte Gewißheit haben, ob sie es sei, aber sein junges Weib, das die flüchtige Erscheinung nicht gesehen hatte, zog ihn mit sich fort. Er trat mit ihr in die stille Brautkammer, sie lag zitternd in seinem Arm – da zischte es hinter ihm auf, hier, dort; ein heller Schein drang durch das Fenster herein; Brandgeruch erfüllte das Haus, und „Feuer! Feuer!“ schrie es plötzlich gellend auf.

Der Himmelbauer führ jählings aus dem Schlafe empor. „Feuer! Feuer!“ War das noch sein lebhafter Traum? War es furchtbare, erneute Wirklichkeit?!

Er horchte. Tiefe Stille herrschte um ihn her; nur der Sturm heulte draußen, und der Hofhund schlug an. Ermattet lehnte sich der Bauer auf sein Lager zurück; die Erinnerung an jene gräßliche Nacht hatte ihn aus dem Halbschlummer aufgescheucht. Da gellte es von Neuem:

„Feuer! Feuer!“

Von der Straße leuchtete es wie Morgendämmerung in seine Stube; die Thür wurde aufgerissen, und die Veronika kreischte ein halbersticktes: „Feuer! Bauer! Es brennt.“

Der Himmelbauer kleidete sich schnell an und stürzte aus der Stube. Von der Dachstiege herab drang ihm dichter, erstickender Qualm entgegen – oben in der Kammer seiner Tochter brannte es. Plötzlich stand es furchtbar vor seiner Seele: Liesl war eingeschlossen; sie mußte verbrennen, war vielleicht schon in dem Qualme erstickt. Er wollte hinaufeilen, sie zu befreien, vermochte es aber nicht mehr; schon auf den ersten Stufen drang ihm eine neue, stärkere Rauchwolke entgegen, die ihm schier die Sinne raubte.

„Zu Hülfe! Zu Hülfe!“

Im Hause ward es jetzt lebendig. Von allen Seiten stürzten die Knechte herbei, noch schlaftrunken, kaum bekleidet. Sie taumelten an einander und fluchten wild; die Mägde kreischten und rannten wirr durch einander; von den Ställen tönte das Brüllen und Stampfen der geängstigten Thiere herüber, und inzwischen prasselte und zischte es oben immer furchtbarer und näher – und Keiner, der den Aufstieg in die Dachkammer gewagt hätte, Keiner der des Herrn achtete, Keiner der seinem verzweifelten aus Rauch und Qualm heraustönenden Rufe Folge leistete. Jeder suchte nur sich selbst und seine nächste Habe in’s Freie zu retten; die eigene Angst hatte sie Alle blind und fühllos gegen fremde Todesgefahr gemacht. Noch einmal versuchte der Himmelbauer die Treppe zu erklettern; er mußte hinauf, mußte sein Kind retten.

„Liesl! Liesl!“ kreischte er durch den Rauch. „I komm’, i komm’.“

Und Stufe um Stufe klomm er empor; da krachte es über seinem Haupte; er sah die Flamme auflodern, die aus der geöffneten Thür der Kammer schlug; die Stufen hoben sich unter seinen Füßen – ein furchtbarer Schlag, und er stürzte, in Rauch und Schutt gehüllt, mit der einbrechenden Treppe tief hinab. Im Sturze noch hörte er die gellende Stimme der Veronika, die „Bauer, Bauer!“ schrie; dann schwanden ihm die Sinne.




8.

Einsam und dunkel lag das Teichbauerhaus, auf das Liesl, vom Sturme getrieben, zulief. Keuchend hatte sie es jetzt erreicht. Sie pochte an die Thür und horchte. Im Hause rührte sich nichts. Noch einmal pochte sie, doch wieder vergebens – Alles blieb stumm und still.

„Schläft er?“ Konnte er schlafen, indeß sie in tödlicher Angst vor seinem Hause stand und auf ein Lebenszeichen harrte? Sie pochte an’s Fenster, dann mit verdoppelter Kraft an die Thür. Endlich, endlich rührte sich’s im Hause. Ein leiser Schritt näherte

sich der Thür, und eine ängstliche Kinderstimme fragte:

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 214. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_214.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)