Seite:Die Gartenlaube (1881) 208.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Sammetbande durch die Luft. „Ja, da ist er, der Sapperloter. Hinter der Commode hat er logirt, Herr Markus – wie wir die wegrücken, um Ihren Schreibtisch hinzustellen, da klingelt der Ausreißer auf die Dielen ’runter. Und Hanne behauptet, den habe Röse, das abscheuliche Ding, dahinter prakticirt, nur damit wir denken sollten, der arme Bursch, den wir von der Landstraße heimbrachten, sei ein Spitzbube gewesen. Sollte man denn für menschenmöglich halten? – Der arme Kerl hatte ihr auf der Gotteswelt nichts zu Leide gethan!“

„Er war kein Dieb – ich wußte es wohl,“ sagte Luise. „Er war stolz und brav. Solche gute, blaue Augen“ – sie verstummte plötzlich und wurde feuerroth. Unter der Hausthür, kaum drei Schritte entfernt, sah sie einen hohen, schlanken, etwas schmalschulterigen jungen Mann stehen; er war elegant gekleidet, sah fein und vornehm aus, und auf seinem unbärtigen, schmalen Gesichte schien jetzt der Widerschein der Röthe zu flammen, welche die Wangen des kleinen, blonden Mädchens bedeckte.

Er hatte den Amtmann die Thürstufen heraufgeführt. Der alte Herr verschnaufte einen Augenblick, ehe er in die Hausflur trat; dann kniff er Luischen in die Wange, und der „Frau Mama“ stellte er den ein wenig scheu und verlegen blickenden jungen Herrn an seiner Seite als seinen lieben Sohn vor, der eine weite, herrliche Reise zu seiner Belehrung gemacht habe − wie es sich für einen jungen Mann von Stande schicke – und erst gestern direct von Bremen angekommen sei. …

Gleich darauf rollte auch der Fahrstuhl drunten vor die Stufen. Der Forstwärter hatte es sich ausgebeten, die kranke Frau Amtmann fahren zu dürfen. Nun nahm er „das schmächtige Weibchen“ in der That wie ein Kind auf den Arm und trug es die Treppe hinauf in das Erkerzimmer, wo ein festlich arrangirter Eßtisch die Ankommenden erwartete.

Von diesem Tage an begann ein schönes, ein musterhaftes Zusammenleben im Gutshause. Selbst der Amtmann, die große Wandelung in seinem Dasein wohl empfindend, moderirte möglichst seine Streitsucht und Rechthaberei – bei seinen unvermeidlichen renommistischen Auslassungen drückten die Anderen mildschweigend ein Auge zu; er wäre sonst wohl erstickt an dieser unverbesserlichen Leidenschaft.

Sein heimgekehrter Sohn aber ging völlig auf in seinem neuen Beruf. Er trat noch einmal in die Lehre bei dem einfachen, wackeren Gutspächter. Von früh bis spät war er in Feld und Wald und arbeitete wie ein Knecht, und Peter Griebel meinte, nun werde das Vorwerk freilich „ein anderes Gesicht kriegen“.

Unter diesem Sonnenschein des Glückes lebte auch die alte Frau, die so lange in dumpfer Stube an das Krankenbett gefesselt gewesen war, neu auf; der Arzt verhieß ihr völlige Genesung. Abends versammelten sich alle Lieben, zu denen jetzt auch Peter Griebel mit Weib und Kind gehörte, um ihren Lehnstuhl im Erkerzimmer – da wurde musicirt und geplaudert, und gar manchmal funkelten noch um Mitternacht die hellen Fenster des Gutshauses in das feierliche Waldesschweigen hinein.

Herr Markus verschob seine Abreise von Woche zu Woche, und die kleine Luise, wünschte mit rührender Offenherzigkeit, daß die Schulstube im Institut niemals fertig werden möchte. Sie spielte keine Märsche mehr – Mendelssohns „Lieder ohne Worte“ und dergleichen waren an die Reihe gekommen, noch lieber aber sang sie mit ihrer süßen, keuschen Stimme „Ich schnitt es gern in alle Rinden ein“ und - was sonst noch der große Tondichter an sehnsüchtigen Wünschen und heimlicher Liebe in seine hinreißenden Klänge gebannt hat.

Daß diesem harmonischen, beglückenden Zusammenleben viel Geheimnißvolles vorausgegangen war, daran schien Niemand zu denken; es wurde mit keiner Silbe berührt. Auch der Forstwärter, der fast täglich aus- und einging – der Gutsherr hatte ihm zu seinem Entzücken alle Schätze der Bücherstube zur Verfügung gestellt – er war auf seiner Hut, und nie entschlüpfte ihm eine Bemerkung über die Zeit, wo er den schwerkranken Jugendfreund in seinem Hause verpflegt hatte. Herr Markus lachte im Stillen über die kluge, brave Dicke, die stets behauptete, „nicht von gestern“ zu sein – diesmal waren die scharfen blauen Aeuglein doch recht blöde gewesen, und die Mama konnte es hinsichtlich der Naivetät getrost mit ihrer sechszehnjährigen Einzigen aufnehmen. –

Es war aber am Abend vor der nunmehr definitiv festgesetzten Abreise des Gutsherrn – er mußte heim, um alles Unerläßliche zu seiner Verheirathung vorzubereiten. Sie waren Alle oben im Erkerzimmer versammelt. Der Amtmann, seine Frau und Peter Griebel spielten Whist mit einem Strohmann; die schöne Braut hatte sich für einen Moment hinter der Theemaschine postirt, und Frau Griebel strich an einem Seitentische Butterbrödchen, während Luise am Pianino saß und mit innigem Ausdruck sang: „Meine Ruh’ ist hin; mein Herz ist schwer.“ Der junge Franz lehnte seitwärts an der Wand, sodaß er dem reizenden blonden Mädchen in das Gesicht sehen konnte, und er that das angelegentlichst – er schien sie mit den Augen zu verschlingen.

Der Gutsherr stieß die am Seitentische beschäftigte Frau leise an und blinzelte lächelnd nach dem interessanten jungen Paar hinüber.

„Wie wär’s denn, verehrte Pflegemama, wenn am fünfzehnten September statt des einen zwei liebende Paare in der Tillröder Kirche zusammengegeben würden?“

„Ein Bischen zu früh, Herr Markus!“ sagte sie nichts weniger als überrascht und klappte eine dünne, bestrichene Brodschnitte mit gewissenhafter Genauigkeit zusammen. „Mein Mädel ist noch zu jung, und eine rechtschaffene Aussteuer macht man auch nicht so über Hals und Kopf fertig – was denken Sie denn? Da will mehr dazu. Sonst wär’ mir’s schon recht. Er ist brav und gut, einen besseren Schwiegersohn können wir uns nicht wünschen. Und meine Luise? Na, frisch und gesund und geschickt ist sie ja, und Kisten und Kasten sind auch nicht leer bei Griebel’s – mein Peter und seine Alte sind ihr Lebtag keine Faulpelze gewesen und haben zu sparen verstanden. Na ja, wie ich sage, recht wär’s uns beiden Alten; aber“ – sie zwinkerte dem Gutsherrn mit pfiffigem Lächeln zu und erhob sich ein wenig auf den Zehen, um sein Ohr mit ihrem Geflüster zu erreichen – „aber gelt, wer hätte das gedacht, als ich dem Rothbart draußen an der Straße die Semmel in die Hand drückte?“

Herr Markus hatte Mühe, ein lautes Auflachen zu unterdrücken. „Sie haben es herausgebracht?“

„Na ja, freilich – ich und meine Luise! Und die zu allererst! Die hat auf den ersten Blick gewußt, wo Barthel Most holt, und wenn zehnmal der Herr Amtmannssohn seinen rothen Bart abgeschnitten hatte. Sollte man’s denn denken, die Luise, das kleine unschuldige Ding, kaum aus dem Ei gekrochen? Aber die Liebe macht scharfe Augen; freilich, im Uebrigen ist sie für Alles, was drum und dran ist, gewöhnlich blind und taub – die Liebe nämlich – und merkt nichts, bis sie mit der Nase auf das Wahre und Reelle gestoßen wird – oder war’s vielleicht anders mit Ihnen und Amtmanns Magd, Herr Markus?“




In Sturm und Wetter.

Bora-Erinnerungen von Franz Zverina.

Will man begreifen, wie unsere Vorfahren das Beben der Erde, das Toben des Oceans, das Heulen der Orkane übernatürlichen Mächten zuschreiben konnten, so muß man, wenn die Elemente in Aufruhr sind, die Gelehrtenstube verlassen und hinaus treten in die freie Natur. Man muß aber in die stille Werkstätte des Forschers zurückkehren, wenn man den Triumph des Geistes bewundern will, der die Götzen des Aberglaubens zerschlagen und für diese zerstörenden Kräfte natürliche Erklärungen gefunden hat. Zwar ringen wir noch heute, wie einst unsere Urahnen, mit der brausenden See am Dünenstrand und dem heulenden Sturme im Gebirge, aber wir beugen nicht unser Knie vor vermeintlichen Göttern, wenn die Majestät der Natur zürnt; wir trotzen ihr vielmehr und suchen sie zu fesseln – wie wir es mit dem zuckenden Blitze bereits gethan – indem wir das Entstehen und den Lauf der Stürme vorhersagen. Aber der völlige Sieg des Menschengeistes über die Macht der Elemente liegt noch in einer fernen Zukunft. Die Natur, zugleich unsere Wohlthäterin und unsere Feindin, ist unerschöpflich in ihren Tücken, und oft erhebt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 208. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_208.jpg&oldid=- (Version vom 5.3.2019)