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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

schloß. Wenig Böses habe ich verschuldet, aber viel Gutes getan“

Auch Eugen der Vierte hielt vor seinem Tode eine längere Ansprache, allein wesentlich anderen Charakters: er begriff die Bedeutung des Sterbens und rief wehmütig: „Besser wäre es für mein Seelenheil gewesen, ich wäre Klosterbruder geblieben, statt Papst zu werden.“

Allein die Geschichte der Päpste hat nicht blos düstere oder farcenhafte Sterbelager aufzuweisen; beim Eintritte einzelner katholischer Oberhirten waltete eine der Größe und Erhabenheit des Momentes entsprechende Scenerie vor, und die Seltenheit dieser päpstlichen Sterbelager läßt dieselben nur noch stärker und sympathischer hervortreten. Wahrhaft große Männer – und deren hatte die katholische Kirche an ihrer Spitze – verleugnen im Tode nicht die Bedeutung, die sie im Leben besaßen, und die Geschichte ihres Endes gemahnt uns oft wie der Schluß eines effectvollen Epos.

Manches päpstliche Grab ragt mächtig und gewaltig hervor, eine Denksäule für Denjenigen, den es birgt. Allein bezeichnend ist es, daß die Gräber, beziehungsweise Sterbelager von Päpsten, die erhaben und erhebend zugleich sind, fern von Rom sich befinden. Die ewige Stadt corrumpirte, wie sie corrumpirt war, die Päpste; der Schmerz, den Vatican mit seiner Pracht und seinen Schätzen verlassen zu müssen, war stets zu irdisch, als daß er die Erhabenheit des Sterbens unbefangen und unbeeinflußt hätte zum Ausdrucke – kommen lassen. Das großartigste Sterbelager, das die Geschichte der römischen Kirche kennt, stand in einem elenden Gemache zu Salerno: der gewaltigste Papst, einer der größten Menschen aller Zeiten, Gregor der Siebente, lag darauf, in würdevoller Ruhe dem Tode, den er, der Gewaltige, selbst nicht meistern konnte, entgegensehend. Nur Wenige waren ihm in der Verbannung treu geblieben, und er, der des Kaisers Majestät als Büßer gesehen hatte, vor dem das glänzende Licht der Krone des heiligen deutschen Reiches zu einem trüben Irrlichte herabgesunken war, verlebte seine letzten Stunden in einer ärmlichen Hütte, fast einsam. Allein das Unglück vermochte ihn nicht zu beugen er behielt seine Würde und Gelassenheit, die bei ihm jeder komödienhaften Zuthat bar war, und nahm als Papst von der Welt, die er mit den Spuren seines Erdenwallens für tausend Jahre bedeckt hatte, Abschied. „Dilexi justitian et odi iniquitatem, propterea morior in exilio“ (Ich habe die Gerechtigkeit geliebt und die Unbilligkeit gehaßt; darum sterbe ich in der Verbannung ) waren die letzten Worte, die der sterbende Papst am 25. Mai 1085 im Todeskampf lispelte.

Doch selbst weniger bedenkende Päpste, als jener Gregor, wußten sich im Sterben die Würde zu bewahren, ja manchmal eine Würde, die sie im Leben nie besessen. Am hervorragendsten in dieser Richtung scheint das Sterbelager Urban’s des Fünften, das im Jahre 1370 in dem weiten Palaste zu Avignon aufgeschlagen war. Urban der Fünfte wollte nicht zugeben, daß der apostolische Palast, wie es das Ceremoniel vorschrieb, während der Krankheit des Papstes unzugänglich war; er befahl alle Thore des Palastes zu öffnen und der Bevölkerung ungehindert den Zutritt bis an das Sterbelager selbst zu gestatten. Er wollte unter den Augen von zahlreichen Menschen den Todeskampf kämpfen, „damit die Welt sehe, wie nichtig die erhabenste Größe dieser Erde“. Der Befehl des Papstes wurde erfüllt; ganz Avignon war Zeuge der letzten Stunden Urban’s, und besser als durch die symbolische Handlung, welche in dem Verbrennen eines Häufleins Stroh bei der Papstkrönung besteht, wurde der Bevölkerung von Avignon das Wort verständlich gemacht: „Sic transit gloria mundi – so geht der Ruhm der Welt dahin.“

Emil Frischauer.




Vorzeitliche und moderne soziale Probleme.

Uebervölkerung und Auswanderung.
Von Felix Dahn.

Versteht man unter der „socialen Frage“ die schroffe Ungleichheit der Vermögens- und damit der Lebensverhältnisse, welche durch Vererbung, Verschuldung, Verdienst und Zufall im Kampfe um das Dasein die Einen zum Ueberfluß erhöhen, die Andern bis an und bis in das Verderben stoßen so muß man leider für alle Völker und Zeiten die „sociale Frage“ für unlösbar erklären; denn diese durch Natur- und Geistesanlage gegebene, durch unberechenbare Einflüsse gesteigerte Ungleichheit und ihre traurigen Folgen sind, wie alle Geschichte lehrt, nicht aus der Welt zu schaffen: keine politische Verfassung, keine gesellschaftliche, wirthschaftliche Einrichtung kann sie beseitigen. In der naiven Zeit der Vorcultur ist die Sclaverei der erste rohe Versuch, jenes Problem zu lösen: erträglicher in Zuständen, in welchen Herr und Knecht ungefähr auf gleicher Unbildungsstufe stehen, immer unerträglicher werdend, je schroffer der Unterschied der Cultur wird, wenn in raffinirter Sclaverei der Sclave gebildeter ist als der Herr. Das Römerthum ist zuerst wirthschaftlich untergegangen, dann erst politisch-militärisch. Das Mittelalter ist ebenfalls zuerst wirtschaftlich untergegangen an seinem getheilten unfreien Grundbesitz der Bauern und seiner gebundenen Gewerbezünftigkeit. Vielleicht geht auch die moderne Cultur zuerst wirthschaftlich unter an ihrem Proletariat und Allem, was damit zusammenhängt; denn unlösbar ist die „sociale Frage“, und jeder Versuch, sie zu lösen, reißt, wie es scheint, mit der Wirthschaft auch Gesellschaft und Staat in das Verderben.

Wie dem auch sei – eine krankhafte Erscheinung ist, unter anderen Symptomen tiefer Schäden, die Auswanderung, die massenhafte, welche auch heute noch jährlich viele Zehntausende aus Deutschland nach anderen Erdtheilen führt. Sie ist rätselhaft, denn in den politischen und socialen Zuständen unseres Reiches können, mag man die Abneigung gegen den Waffendienst, den Steuerdruck, das Darniederliegen der Geschäfte und die Wirkungen der Lehren der Socialdemokratie noch so hoch anschlagen, ausreichende Gründe für diese Flucht nicht gefunden werden, wie sie etwa in dem Zeitraum von 1815 bis 1848, 1850 bis 1870 allerdings vorlagen. Auch von Uebervölkerung des deutschen Reiches kann keine Rede sein: eine relative Uebervölkerung findet sich nur in großen Städten, und zwar eine sehr schädliche in Ursache und Wirkung; denn die Ursache ist nur zu oft der Drang der ländlichen Arbeiter beider Geschlechter aus der „Langeweile“ des Ackerbaues nach den „Genüssen“ der Großstadt, und die Wirkung ist die Belastung der Großstädte mit dem Unterhalt einer häufig genug arbeitsunwilligen nicht selten aber auch arbeitsunfähigen Menge.

Gerade die ländliche Bevölkerung ist es nun bekanntlich, welche, neben der Ueberwanderung in die Großstadt, ein sehr erhebliches Contingent zu der Auswanderung aus Europa stellt, sodaß Uebervölkerung des flachen Landes im deutschen Reiche durchaus nicht zu verspüren, vielmehr hier Mangel an Arbeitskräften zu beklagen ist. Die Summe von Kraft, welche seit anderthalb Jahrhunderten durch Auswanderung dem deutschen Volke unwiederbringlich verloren ging und von Jahr zu Jahr noch verloren geht, ist ganz enorm. Es wäre eine dringendere Aufgabe der deutschen Politik, als gar manche, welche seit 1871 in Angriff genommen wurde, durch Colonisation im großen Stil dafür zu sorgen, daß in Zukunft wenigstens diese Tausende von deutschen Arbeitern uns erhalten, nicht, wie bisher, verloren gegeben, in Concurrenten, ja oft Feinde der deutschen Heimath verwandelt werden.

Diese Gedanken über moderne Auswanderung entbehren durchaus nicht des Zusammenhangs mit den Studien welche mein Beruf und meine Vorliebe mir seit Jahrzehnten am nächsten legen: mit der Erforschung deutscher Urzeit und der – sogenannten – „Völkerwanderung“. Und wie mich jene Bewegungen der Vorzeit zum Vergleich mit – scheinbar – ähnlichen Erscheinungen der Gegenwart oft veranlaßt haben, so hat sich vielleicht schon mancher Leser dieser der Jetztzeit zugewendeten Blätter die Frage gestellt, ob jene „Völkerwanderung“ mit unserer modernen Auswanderung in Vergleich gebracht werden könne?

Einen weiteren Anlaß zur Erörterung dieser Frage gab das diesen Zeilen beigegeben Bild von Meister Johannes Gehrts, der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_195.jpg&oldid=- (Version vom 13.9.2022)