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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Reihe anziehender Genrebilder. Sein Vater, damals Kanzleidiener im Kriegsministerium, war früher Regimentshautboist gewesen; unter verschiedenen musikalischen Instrumenten, die er besaß, befand sich auch eine Piccoloflöte, deren sich der Sohn bemächtigte, und auf welcher er bald kleine Melodien nach dem Gehöre zu blasen lernte; dann ertönte wohl auf den Höfen der Nachbargrundstücke die Flöte des Kleinen oder auch sein hellstimmiger Gesang und lockte die Bewohner an die Fenster, aus denen manches Zuckerwerk zu dem winzigen Spieler herniederfiel. Als der Vater noch der edlen Kunst diente, da hatte er den Knaben nicht selten in die Gartenconcerte mitgenommen, in denen er beschäftigt war, und hier war es, wo der frische Knabe sich durch ein gelegentliches Flötensolo, sowie in der Folge durch einige für Harmoniemusik gesetzte Tänze oder Märsche einen frühzeitigen Beifall gewann; bei der Rückkehr nach Hause pflegte dann wohl das Paar auf einer Bank zu rasten, und der Kleine sah dem guten Vater zu, wie er hier den kärglichen Verdienst abzählte.

Wilhelm Taubert.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Mit dem Beginne seines achten Jahres erhielt Taubert den ersten Clavierunterricht von dem späteren Dirigenten des Domchors, Neithardt, während zugleich die Flöte nicht vernachlässigt wurde und auch das Violinspiel hinzutrat. Einen Wendepunkt in dem Jugendleben des Künstlers aber bildete die Fürsorge, welche fortan der kunstsinnige, auf den Knaben aufmerksam gewordene General von Witzleben der Ausbildung seines Talentes widmete. Der Wohlthäter enthob den unbemittelten Vater der weiteren Sorge für den Unterricht des Sohnes, dessen Lehrmeister nun Ludwig Berger wurde. In einem Alter von vierzehn Jahren ließ sich Taubert zum ersten Male öffentlich mit einem Concert von Dussek und den Variationen seines Lehrers über „Schöne Minka“ hören. Hier passirte es ihm, daß er sich an einer schwierigen Passage den Daumen wund gespielt hatte, sodaß ihm Berger kurz vor Beginn des Concertes die Stelle ändern mußte; aber die neue Passage perlte unter den Fingern des jungen Virtuosen mit derselben Klarheit und Sicherheit dahin, als ob er längst mit ihr vertraut gewesen wäre, und noch oft kam des Lehrmeisters Lob auf diese Begebenheit zurück.

Sechszehn Jahre alt verließ Taubert, der inzwischen auf Witzleben’s Wunsch das Friedrich Wilhelms-Gymnasium mit dem französischen vertauscht hatte, mit dem Zeugniß der Reife die letztere Anstalt, um die Universität zu beziehen, der er drei Jahre angehörte, ohne jedoch der Musik als seinem eigensten Lebensberufe untreu zu werden.

Die theoretischen Studien wurden theils unter Berger’s, theils unter Bernhard Klein’s Leitung mit Eifer fortgesetzt, und wiederholtes öffentliches Auftreten erwarb ihm im Laufe der Jahre neben Berger den Ruf des ausgezeichnetsten Claviervirtuosen Berlins. Namentlich war es die Ausführung der Clavierconcerte von Beethoven und Mozart in den Möser’schen Soiréen, die ihm diese Anerkennung verschaffte. Und hier ist die Gelegenheit, Taubert’s Eigenart in Spiel und Vortrag zu würdigen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_189.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)