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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

geklemmt, starrte sie in den glühenden Himmel hinein, und der Mann an ihrer Seite unterbrach dieses zürnende Schweigen mit keiner Silbe.

„Er hat sich so durch den Wald und weiter geschleppt,“ fuhr sie Nach einem tiefen, beklommenen Athemholen fort, „bis er mir am Thore des Vorwerks in die Arme getaumelt ist –“

„Und Sie haben es möglich gemacht, den Erschöpften fortzubringen?“

„Die Angst hat mir die Kraft gegeben – er mußte aus den Augen seiner Eltern. Die alte Frau wäre bei seinem herzbrechenden Anblicke gestorben.“

„Es ist ein weiter Weg bis ins Forstwärterhaus –“

„An jenem Morgen schien er mir endlos. Aber dann fand ich auch den kräftigsten Beistand. Der Forstwärter, der treue Mensch, ist Otto’s Spiel- und Jugendgefährte gewesen; er weinte und lachte in einem Athem bei dem traurigen Wiedersehen. Wenige Stunden später lag der Heimgekommene bereits im Delirium –“

„Und lärmte in seinen Fieberphantasien, daß der Wald widerhallte,“ ergänzte der Gutsherr mit bedeckter Stimme. „Und die Leute, die das tolle Gelächter draußen hörten, haben gemeint, es seien Zechbrüder in der Eckstube mit den verhüllten Fenstern. … Ja, ich weiß es, und um ein hartes, böses, rachsüchtiges Wort, mit welchem man tief in ein edles Herz hineingeschnitten hat, vergessen zu machen, dazu reicht ein Mannesleben voll anbetender Liebe wohl kaum aus.“

Sie wandte wie erschrocken das Gesicht von ihm weg, und es schien fast, als überlege sie, ob sie sich nicht doch lieber einen Weg durch das triefende Dickicht da seitwärts bahnen solle.

Ihrem Begleiter mochte diese unwillkürliche Fluchtgeberde wohl entgehen; denn er fragte in diesem Augenblicke so ruhig, als sei er nicht mit einem einzigen Gedanken von dem Gesprächsthema abgeirrt gewesen:

„Welchem Berufe hat der nachherige Goldsucher ursprünglich angehört?“

„Er ist Oekonom,“ versetzte sie und wich, nunmehr weitergehend, den Fichtenzweigen aus, die sich tropfenschwer über den Weg hereinreckten. „Früher hat er Aussicht gehabt, einst der Nachfolger seines Vaters auf der Domäne Gelsungen zu werden – damit ist es selbstverständlich längst aus und vorbei. Und jetzt, nachdem er draußen so furchtbar Schiffbruch gelitten hat, sind seine Lebensansprüche auch sehr bescheiden geworden. Einen einfachen Wirkungskreis, der ihm sein sicheres Brod giebt es auch bei härtester Arbeit im abgelegensten Erdenwinkel – und das Zusammenleben mit seiner alten Mutter, weiter gehen seine sehnsüchtigen Wünsche nicht.“

„Dann könnte er ja im Hirschwinkel bleiben.“

Sie blieb abermals stehen und sah ihn mit freudigem Ausdrucke an. „Würden Sie ihm das Vorwerk in Pacht geben?“

Er blickte zur Seite und zuckte die Achseln. „Darüber steht mir die Verfügung nicht mehr zu.“

„,Nicht mehr zu‘?“ wiederholte sie die letzten Worte tonlos und mechanisch, in athemloser Bestürzung – sie war ganz blaß geworden. „Haben Sie den Hirschwinkel verkauft?“

„Was denken Sie? Ich sollte meine Perle verkaufen, die mir Glückspilz unverdientermaßen in den Schooß gefallen ist? Nein, eher gäbe ich das Etablissement Markus unter den Hammer! Die Sache ist die, daß das Vorwerk schon seit länger als einem Jahre nicht mehr zum Gute gehört.“

„Und Sie hätten wirklich kein Verfügungsrecht mehr darüber? Und die unglücklichen alten Leute sollen abermals um das Dach über ihrem Haupte kämpfen und sorgen müssen?“ rief sie in halber Verzweiflung und ließ wie niedergeschmettert den Kopf auf die Brust sinken. „Wie grausam! Gerade jetzt diese Enthüllung, wo Sie der armen Kranken den Riß zum Neubau auf das Bett gelegt haben! Durften Sie das ohne Vorwissen des jetzigen Eigenthümers?“

„Ich habe die Genehmigung der Besitzerin vorausgesetzt.“

„,Der Besitzerin’? – Einer Dame gehört das Vorwerk?“ Sie sah erstaunt, aber auch ermuthigter auf. „Und Sie sagten vorhin selbst, daß Otto Franz im Hirschwinkel bleiben könne – da wird die neue Besitzerin jedenfalls auch verpachten?“ –

Er zog die Schultern empor und sah ihr lächelnd in das angstvoll gespannte Gesicht.

„Das weiß ich nicht – da müssen Sie Fräulein Agnes Franz fragen.“

Sie stand wie versteinert und ließ es willenlos, wie geistesabwesend, geschehen, daß er ihre beiden Hände ergriff und einen Moment festhielt. Er erzählte ihr, wie er durch Zufall den letzten Willen seiner Tante gefunden habe, und zog schließlich das Notizbuch der verstorbenen Frau Oberforstmeisterin aus der Brusttasche, um den Beweis zu erbringen.

Thränen der Rührung flossen über ihr Gesicht beim Ueberfliegen der Schriftzüge, aber sie nahm das dargebotene Buch nicht in die Hand; sie schob es vielmehr sanft von sich.

„Das ist ja kein rechtskräftiges Testament, mein Herr,“ sagte sie, ihre tiefe Bewegung niederkämpfend, fest und entschieden. „Niemand in der ganzen Welt würde darauf hin der in Aussicht genommenen Erbin auch nur den Schein eines Anspruchs zugestehen.“

„,Niemand’?“ wiederholte er. „Ei, was hat Ihnen denn die arme Welt gethan, daß Sie meinen, sie sei voll Spitzbuben? Möglich, daß es Leute genug giebt, denen der letzte Wille eines der Ihrigen nichts gilt, wenn nicht so und so viele Tintenkleckse von fremder Hand darunter stehen – meinetwegen mögen sie sich dabei sogar vollkommen auf dem sogenannten Rechtsboden befinden – aber so wie ich denke, ist das Anrufen des Gesetzes in einem solchen Falle eine absolute Veruntreuung. Nein, nein, schütteln Sie nur nicht den Kopf über mich, als käme ich aus irgend einem verklungenen, sagenhaften Lande mit meinen Rechtsbegriffen! Mögen sie immerhin ein wenig schwerfällig sein, wie das ganze Rüstzeug meiner geistigen Beschaffenheit – Sie haben ja selbst erfahren, wie ungelenk ich im Auffassen der Menschen und Dinge bin, wie ich in lächerlicher Vertrauensseligkeit brav und bieder das Seltsamste wochenlang als baare Münze genommen habe – ich sage, den obersten, unfehlbaren Richter, das Gewissen, haben sie doch für sich.“

Sie war bei seiner Anspielung auf die Rolle des Dupirten, in der sie ihn wider Willen hatte belassen müssen, tief erröthend und raschen Schrittes weiter gegangen, und er war an ihrer Seite geblieben. Die Gehölzecke lag hinter ihnen, und der Vorwerksgarten kam in Sicht.

„Angenehm war mir der Fund im Arbeitsbeutel meiner seligen Tante allerdings insofern nicht, als er mich mit der fatalen Amtmannsnichte in persönliche Berührung bringen mußte,“ fuhr er nach einem sekundenlangen Schweigen fort, und der liebenswürdige Humor, der sein Gesicht so verschönen konnte, brach förmlich leuchtend durch. „Ich betäubte aber sündhafter Weise mein Pflichtgefühl und machte mir es selber plausibel, daß ja auch mein Sachwalter die Sache ganz gut abwickeln könne, wenn ich den Hirschwinkel wieder im Rücken haben würde. Nun trat aber plötzlich auch ein Amtmannssohn in meinen Gesichtskreis, und dadurch wurde die Angelegenheit schwieriger. Ich sah mich gezwungen, die Verhältnisse auf dem Vorwerke näher zu erforschen, wenn ich das Richtige thun wollte. Ich mußte mich fragen, weshalb die Testatorin ein Mädchen als Vormünderin und Versorgerin für die beiden Alten einsetzte, während sie die natürlichste Stütze, einen Sohn, hatten.“

„Ich verstehe die liebe, treue alte Freundin vollkommen,“ entgegnete das an seiner Seite schreitende Mädchen bewegt. „Otto war stets gutmüthig und nachgiebig bis zur Schwachheit. Seinem herrischen Vater gegenüber hatte er weder Muth noch Willen, genau wie seine arme Mutter. Aber nun, wo ihm das Leben so bittere Lehren gegeben hat, wo er weiß, wie weh der Hunger thut, und daß er nur durch Sparsamkeit, durch Energie der bewußten Verschwendungsmanie gegenüber den Lebensabend seiner Eltern sorglos machen kann, nun –“

„So meinen Sie, ich solle die letztwillige Verfügung in diesem Buche zu seinen Gunsten corrigiren?“

Sie schwieg einen Moment und hob die schönen, schimmernden Augen voll unaussprechlicher Dankbarkeit zu ihm empor. „Nun denn, ja!“ antwortete sie fest, „wenn es nicht ein Unrecht meinerseits ist, Sie in dieser unerhörten Großmuth zu bestärken.“

Er lachte und stieß das Gartenthürchen auf, vor welchem sie eben ankamen. „So darf ich Sie also nicht auffordern, nunmehr Ihren eigenen Grund und Boden zu betreten, wie ich vorhatte – Sie haben sich Ihres Rechtes begeben –“

„Mit tausend Freuden!“ rief sie eintretend und wandte sich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 187. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_187.jpg&oldid=- (Version vom 28.5.2019)