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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Es hat dies seinen Grund darin, daß die Anlage einer Bade-Anstalt, wie jedes andern Gebäudes, vielfach dem Bau-Amt oder einem guten Freunde zur Ausführung übertragen wird, anstatt einem mit derartigen Fragen vertrauten Fachmanne. Oder es liegt die Ausführung allein in künstlerischen Händen welche die technischen Momente als nebensächlich und der Architektur untergeordnet behandeln, während doch gerade das Umgekehrte stattfinden muß. In beiden Fällen ist es nur als ein glücklicher Zufall zu bezeichnen, wenn eine derartige Anlage den Anforderungen der Unternehmer wie des Publicums entspricht.

Es ist zu wünschen, daß im Interesse unseres Volkes immer mehr und mehr darnach gestrebt wird, jeder Stadt eine oder mehrere Anlagen dieser Art zu schaffen, sei es aus privaten oder öffentlichen Mitteln, Anlagen, welche dem Bemittelten wie dem Unbemittelten die Wohlthat eines kalten Bades zu jeder Jahreszeit gewähren. Dadurch kann der Gesundheitsgrad unserer Städte nur erhöht und zur sittlichen Erziehung unseres Volkes beigetragen werden.

Ein Beispiel eines Winterbades, bei welchem ich versuchte, dem Bremer Vorbilde nachzueifern und die hier entwickelten Grundsätze zur Geltung zu bringen, ist die durch die beigefügte Illustration dargestellte Schwimmhalle des Diana-Bades zu Leipzig – Besitzer Herr Gustav Schelter – welche in diesen Tagen der Benutzung des Publicums übergeben werden wird.

Lothar Heym.




Blätter und Blüthen.


Eine Eisenbahn über ein zugefrorenes Meer. Aus St. Petersburg schreibt man uns soeben (Ende Februar): „Was bisher hier Niemand für möglich gehalten, ist vor einigen Tagen in’s Werk gesetzt worden, eine Eisenbahnverbindung zwischen dem mitten im Meere gelegenen Kronstadt und dem Festlande über die zugefrorene Ostsee hinweg. Ueber den Zweck dieser anscheinend so gefährlichen Bahn in Kürze Folgendes. Da der Hafen von Petersburg, das heißt die Newa, bedeutend früher zufriert, als die Ostsee um Kronstadt herum, so bleibt an letzterem Orte alljährlich eine bedeutende Menge Waaren zurück, in diesem Jahre z. B. über 1,6 Millionen metrische Centner, die nicht mehr bis Petersburg gelangen können und entweder die Ankunft des Frühjahrs abwarten, oder auf Schlitten über das Meer nach der Hauptstadt geschafft werden müssen, ein weiter, kostspieliger, mitunter gefährlicher Weg, wie wir später sehen werden.

Um diesem Uebelstande zu begegnen, hatte sich bereits vor längerer Zeit ein Consortium unter dem Vorsitz eines Grafen Rottermund und eines Herrn Virchaux gebildet, um, sobald die Ostsee genügend stark zugefroren sein würde, die sechseinhalb Kilometer lange Strecke Kronstadt–Oranienbaum mit einer Eisenbahn zu versehen, sodaß dadurch eine directe Verbindung des Kronstädter Hafens mit Petersburg erzielt würde. Die Regierung weigerte sich anfangs, der anscheinenden Gefahr wegen, die Genehmigung zu ertheilen, bis eine von ihr eingesetzte Commission erklärte, daß eine Gefahr absolut nicht vorhanden sei. Die Bahn wurde daher erst vor wenigen Tagen, am 13. Februar n. St. eröffnet und kostete ihre Herstellung 30,000 Rubel, doch hofft die Gesellschaft, bereits in diesem Jahre, in welchem ihr doch höchstens sechs Wochen Fahrzeit bleiben, das heißt bis Ende März, auf ihre Kosten zu kommen.

Die Herstellung der Bahn erforderte nur kurze Zeit. Gleich bei der Station Oranienbaum zweigt sie sich ab, läuft erst eine Strecke über das Festland hin und steigt dann über Brücken zum Meere hinab. Auf dem Lande sind die Schwellen wie gewöhnlich beim Eisenbahnbau gelegt, auf dem Eise jedoch einige Veränderungen vorgenommen worden: sie sind hier direct in den Schnee gelegt, der durch Ueberschwemmungswasser zu Eis geworden ist, und vertritt dieser den Sand, die Erde und die Steine, in denen auf dem Festlande die Schwellen ihre Festigkeit finden. Letztere sind meist von der Länge und Stärke gewöhnlicher Eisenbahnschwellen, an manchen Stellen aber und zwar da, wo das Eis dünner ist oder sich Spalten gebildet haben, bis zu vier Meter lang. In einiger Entfernung sind zu beiden Seiten der Bahn durch Tannenbäumchen Schutzwälle gegen Schneewehen hergestellt, und auf der, wie bereits erwähnt, fast eine deutsche Meile langen Strecke fünf Anhaltspunkte, an denen Wärterhäuschen erbaut sind, angelegt worden.

Die Bahn führt bis zum Kronstädter Hafen, vor dessen Damm in einer Entfernung von 10 Meter sie endet, nachdem sie vorher einen Zweig in der Richtung nach Kronstadt, woselbst sich die hauptsächlichsten Waarenmagazine befinden, hinausgeschickt hat. An diesem Zweige sind vier Plattformen, am Ende der Hauptbahn fünf erbaut, die in der Höhe der Waggondiele liegen und es ermöglichen, die auf Schlitten herangeführten Waaren ohne weitere Hindernisse zu verladen. An jeder der Plattformen haben zwei Waggons Platz. Hart am Hafen ist ein größeres Häuschen erbaut, welches als Comptoir dient, während im Hafen ein ähnliches errichtet ist für die Zollbeamten, welche die direct aus den Schiffen in die Waggons überzuladenden Waaren zu verzollen haben. An einigen Stellen des Bahnkörpers, da, wo größere Eisspalten vorkamen oder das Eis tiefe Ausbuchtungen zeigte, sind Holzunterbaue hergestellt, auf denen die Schwellen befestigt sind. Die Waggons werden von einer Locomotive gezogen, und vier bis fünf Waggons bilden einen Zug.

Außer den Güterzügen fahren aber noch sehr viele Personenzüge auf dieser Strecke; denn die Zahl der Neugierigen, welche diese merkwürdige Bahn kennen lernen wollen, ist sehr groß. Gar Mancher aber, der besonders zu diesem Zwecke nach Oranienbaum fuhr, wird in seinem Entschlusse wankend, wenn er die breite Meeresfläche vor sich liegen sieht, über welche er herüber muß, und besonders wenn er die in das starke Eis gehauenen Löcher betrachtet, welche in einiger Entfernung zu beiden Seiten der Bahn angebracht sind und an deren Munde die Fluthen der Ostsee donnernd anschlagen. Es zieht dann wohl Einer oder der andere vor, nach denn sicheren Petersburg zurückzukehren; auch ist es nicht selten, daß einen Passagier, der bereits eingestiegen ist, in dem Augenblicke der Muth verläßt, wenn der Zug langsam sich vom Festlande auf das Meer begiebt, und er dann eilig, zum Amüsement der übrigen Mitreisenden, zum Coupé herausspringt. Meiner Ansicht nach hat auch die Fahrt nichts besonders Furchterweckendes, namentlich wenn die Coupéfenster geschlossen sind; sind letztere geöffnet, so hört man, zumal wenn man den Kopf herausstreckt, das fortwährende Krachen und Knistern des Eises und unter sich das dumpfe Geräusch, welches ein Zug verursacht, der über eine Brücke fährt. Das klingt für mit schwachen Nerven Begabte nicht angenehm.

Viel gefährlicher ist meines Erachtens die bisherige Verbindung zwischen der Hauptstadt und Kronstadt, die Fahrt zu Schlitten über das Meer, eine Strecke von fast vier deutschen Meilen. Am Tage oder bei hellen, ruhigen Nächten ist auch hier nichts zu fürchten; geradezu schaurig ist dagegen die Fahrt bei Dunkelheit und starkem Sturm. Letzterer fegt dann mit aller Gewalt über die ungeheure Ebene hinüber; die an den zahlreichen Wärterhäuschen, welche die Fahrstraße bezeichnen, angebrachten Laternen halten ihm natürlich nicht Stand, und es werden dann fortwährend hängende, sehr scharf tönende Glocken geläutet, um den Reisenden den Weg zu zeigen. Oefters aber kommt es vor, daß dieser vollständig vom Schnee verweht und der Sturm so stark ist, daß man die Glocken nicht mehr hört; dann ist die Fahrt sehr gefährlich; denn der Kutscher kann sich leicht verirren und an eine offene Stelle kommen. So mancher Reisende hat auf solcher Fahrt seinen Tod gefunden.

Leon Alexandrowitsch.




Zur Literatur- und Culturgeschichte der Menschheit. Es ist keine leichte Aufgabe, ein anschauliches Bild von dem gesammten Entwickelungsgange des menschlichen Geistes zu entrollen, weil dazu ein hoher Grad geschichtlicher, philosophischer und literarischer Kenntnisse erforderlich ist. Wem es aber gelingt, diese Aufgabe auch nur annähernd zu losen, der hat schon damit ein schönes und lohnendes Werk vollbracht. Dr. Gustav Diercks hat es nun kürzlich unternommen, in einem im Verlage von Theodor Hofmann (Berlin, 1881) erschienenen Buche, „Entwickelungsgeschichte des Geistes der Menschheit“ betitelt, die intellectuellen Beziehungen der Völker zu einander darzustellen und die Literatur- und Culturgeschichte zu einer vergleichenden Wissenschaft zu erheben. Von der gewiß richtigen Ansicht ausgehend, daß die Gesetze der Bewegung, des Fortschritts, der Entwickelung die Wurzeln sind, aus denen, wie alles Andere auf unserer Erde, so auch der Baum des Geistes der Menschheit entsprossen ist, der nun eine Riesengröße erlangt hat, betrachtet er die Cultur schaffender Rassen und Völker in historischer Reihenfolge, zeigt die Richtungen, welche sie einschlugen, forscht nach den hierbei maßgebenden Ursachen und faßt am Schlusse eines jeden Abschnittes die Ergebnisse desselben kurz und klar zusammen. Nach der Annahme des Verfassers lebten vor dem Beginn der geschichtlichen Zeit Hamiten, Mongolen, Semiten und Arier auf der Hochebene zwischen dem Caspischen Meere und dem Quelllande des Indus, wahrscheinlich in Folge großer Umgestaltungen der Erdoberfläche längere Zeit dicht an einander gedrängt, als aber Uebervölkerung eintrat, wanderten jene Volksstämme nach verschiedenen Himmelsgegenden aus. Diercks begleitet sie nun in ihre neuen Niederlassungen und behandelt seinen reichhaltigen Stoff in acht besonderen Capiteln: Aegypten, die mongolische Rasse, Indogermanen und Inder, der Buddhismus, die Eranier, die Semiten, bei denen er Chaldäer, Babylonier, Assyrer, Phönicier und Israeliten unterscheidet, die Griechen, die Römer.

Mit Recht schenkt er überall der religiösen Entwickelung besondere Aufmerksamkeit. Mit dem Zerfall des Römerreiches endet das höchst anregende Buch, welches allen Freunden einer den Geist befruchtenden Lectüre eine gewiß willkommene Gabe sein wird; der zweite Band, der das Mittelalter und die Neuzeit umfassen und das Werk abschließen wird, soll in Kürze nachfolgen.

Die vorhistorische Zeit des Entwickelungsganges der Menschheit, an Dauer die historische um mehr als das Zehnfache übertreffend, ist in ein nahezu undurchdringliches Dunkel gehüllt, selbst die Anfänge der Geschichte sind vielfach durch dichte Nebel bedeckt, deren Entfernung nicht leicht, oft ganz unmöglich ist, und wo endlich sichtbare Geschichtsspuren zu Tage treten, da sind sie in sehr vielen Fällen so undeutlich und lückenhaft, daß eine gewissenhafte Forschung selten über bloße Wahrscheinlichkeit hinaus gelangt ist.

Trotzdem weiß unser Autor die vereinzelten Lichtstrahlen in Brennpunkte zu sammeln, die eine gewisse Helligkeit verbreiten, und je zuverlässiger der Boden wird, auf dem er sich bewegt, desto werthvoller und reifer sind die Früchte seiner Arbeit. Die Form, in welcher Diercks die gewonnenen Resultate darbietet, ist eine gemeinverständliche und klare; seine Sprache ist leicht fließend und unterhaltend, und wenn der sachkundige Leser auch nicht überall mit den Ansichten des Verfassers übereinstimmen kann, so muß er doch überall den sittlichen Ernst und die gewissenhafte Prüfung anerkennen, womit letzterer seinen Gegenstand

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 183. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_183.jpg&oldid=- (Version vom 14.2.2021)