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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

mächtige Cervelatwurst und mindestens, drei Pfund vom allerbesten Schinken. Ein paar hübsche Bissen für die Strolche und Bettelkinder, die auf dem Vorwerk herumschnüffeln! Ei Herr Jesus! Ja, wenn freilich so in meiner Räucherkammer, mit meinen Vorräten gehaust wird, da braucht man sich nicht zu wundern, wenn der Prosit flöten geht. Und die Einmachbüchsen! Ein ganzes Regiment steht in dem einen Fache aufgepflanzt.“ Er kratzte sich hinter dem Ohr. „Ich darf meiner guten Frau gar nicht sagen, wie ihr schöner Keller geplündert wird – und weshalb nur in’s Henkers Namen? Ich wüßte nicht, daß wir ein Diner oder Souper anberaumt hätten. Na, wenn meine Nichte heimkommt –“

„Vielleicht kann Ihnen die Magd Auskunft geben,“ warf Herr Markus hin.

„Die dort?“ Er zeigte mit der Pfeife nach dem Anrichtetisch zurück, an dem „die Neue“ mürrisch und verdrossen hantirte.

„Ich bitte Sie, die ist ja kaum zwei Stunden im Hause.“

„Ich spreche von der anderen.“

Der Amtmann sah einen Moment wie abwesend in die Luft, als müsse er sich besinnen; dann bückte er sich plötzlich, um ein paar hängengebliebene Holzspähne von seinem zerfaserten Schlafrock abzuschütteln.

„Ach die? Die?“ brummte er ziemlich undeutlich – er hatte die Pfeifenspitze wieder zwischen den Zähnen. „Ist nicht mehr da – nicht mehr da! Ist fort mit Sack und Pack!“ Er richtete sich wieder auf – das Bücken hatte sein Gesicht braunroth gefärbt. „Aber kommen Sie doch herein, Herr Markus! Meine Frau wird sich freuen, und ich muß Sie nothwendig sprechen, des neuen Hauses wegen. Es sind mir da doch noch allerhand Bedenken aufgestiegen. Der Salon beispielsweise –“

„Wollen Sie mir nicht vorerst sagen, wohin sich das Mädchen gewendet hat?“ unterbrach ihn der Gutsherr höflich, aber nachdrücklich.

„Herr, das ist eine närrische Frage,” fuhr der Amtmann ganz unmotivirt auf. „Pardon, aber welcher Dienstherr kümmert sich um den Aufenthalt des entlassenen Gesindes! Ich bin gewohnt, meinen abziehenden Leuten ihren Lohn hinzuzahlen – und damit Punctum! Nachher sind sie absolut todt für mich; da scheer’ ich mich den Teufel drum, ob sie in einen anderen Dienst gehen oder in der Welt herumzigeunern. Für mich ist das Mädel eben fort, fort, als habe sie der Wind weggeweht, als wär’ sie nie dagewesen – ja, ja, nie dagewesen!“

„Aber Ihre Nichte, die das Mädchen mitgebracht hat, ist sie mit dieser plötzlichen Entlassung einverstanden?“

Wieder schoß dem alten Herrn das Braunroth über das ganze Gesicht. „Meine Nichte?“ wiederholte er gedehnt. „Bah, darnach wird nicht gefragt,“ polterte er. „Die Bedenken der Frauenzimmer kommen erst in zweiter Linie – Herr im Hause bin ich. … Aber – lächerlich! – da stehen wir Zwei und schwatzen wie die Spittelweiber über eine Bagatelle. Kommen Sie doch näher! Ich habe nämlich eine famose Idee! Das Parquet im neuen Salon –“

„Davon später, Herr Amtmann!“ unterbrach ihn der Gutsherr finster – er wich nicht von der Stelle. „Die Bagatelle interessirt mich. Ich will und muß aus Gründen Näheres wissen über das Mädchen, das auf dem Felde unverdrossen für Sie gearbeitet hat in Wind und Wetter und Sonnenbrand –“

„Ah bah, dummes Zeug! So schlimm ist’s nicht,“ stotterte der Alte grimmig verlegen.

„Gut denn!“ sagte Herr Markus – er trat unwillkürlich in brennender Ungeduld den Boden. „Lassen wir es sein! Ich werde an das Gerechtigkeitsgefühl Ihrer Damen appelliren.“

Er wandte sich nach der Stubenthür, allein der alte Herr vertrat ihm erschrocken den Weg. „Herr, sind Sie des Teufels?“ raunte er heftig abwehrend. „Wollen Sie mir mein armes krankes Frauchen mit Ihrem Inquisitorgesicht alteriren? Die ganze Geschichte ist auch für sie eine abgethane Sache, und daran wird nicht wieder gerührt. Ich bitte Sie, was schlagen Sie doch für einen Lärm um ein Frauenzimmer, das wie ein Schatten durch unser Haus gegangen ist und für uns nicht mehr existirt –“

„Auch für Fräulein Franz nicht mehr, der sie eine treuergebene Dienerin gewesen ist?“

„So? Wer hat Ihnen denn das Märchen aufgebunden?“ fragte der Amtmann, ihn seltsam von der Seite ansehend – ein heimliches, schlaues Lächeln, gleichsam ein Aufhellen, ging durch seine verwüsteten Züge.

„Das Mädchen selber –”

„Was der Tausend, sie hat mit Ihnen gesprochen? Und hat Ihnen selbst, wirklich selbst gesagt, daß sie speciell meine Nichte bedient habe?“ Das fatale Lächeln wich nicht von seinem Gesicht. „Sieh, sieh! Na, meinetwegen auch! Ich hab’ das nicht gewußt – bis in die Mansarde versteigt sich mein miserables Fußgestell niemals. Also die Kammerjungfer!“ Er kicherte in sich hinein und zuckte die Achseln. „Ja, da wird sich meine schöne Nichte allerdings einstweilen behelfen müssen, bis sie wieder in die große Welt eintritt, oder besser noch, bis mein Goldjunge wieder da ist. Dann geht es freilich aus einem andern Tone, Herr. Der läßt sie nicht draußen, seine schöne Cousine, und wenn sie am Fürstenhofe lebte. Bah, dann sind wir selbst Regierende, Regierende von Goldes Gnaden. Dann fährt sie nicht mehr in fremder Equipage, sondern in unserer. … Herr, ich weiß ein paar Wagenpferde“ – er küßte sich auf die Fingerspitzen – „wahre Prachtkerle an Feuer und Schönheit! Aber in wessen Stalle sie stehen, das verrathe ich Ihnen nicht; Sie wären im Stande und kauften sie mir vor der Nase weg. … Ja, sehen Sie, das liegt Alles schon fix und fertig da in meinem Kopfe – ein magnifiques Programm! Das macht mir so leicht Keiner nach. Und wenn in diesem Augenblicke mein Sohn auf die miserable Schwelle da träte – in ein paar Tagen wollte ich ihm eine Umgebung gleichsam aus der Erde stampfen, wie sie sich für einen reichen Mann ziemt –“

Er kam nicht weiter. Der Gutsherr zog den Hut und schritt zur Hausthür hinaus.


16.

Verlorene Zeit! Er biß die Zähne zusammen vor Grimm und Aerger, während er quer über den Hof zum Thor hinaus eilte.

„Herr, machen Sie, daß Sie in ,Nummer Sicher‘ kommen!“ rief ihm der Amtmann nach. Er war unter die Thür getreten und zeigte mit der Pfeife nach dem Himmel, an welchem eben die Sonne völlig hinter den dunklen Wolkenmassen verschwand. Wie ein plötzliches Erlöschen ging es über die lechzende Erde hin, und ein schwach fauchender, heißer Odem strich an dem Gehöfte vorbei und hob die spärlichen weißen Haare an den Schläfen des alten Herrn. „Und sollten Sie einem jungen Frauenzimmer in grauem Schleierhute begegnen, so jagen Sie es heim, hierher auf’s Vorwerk!“ rief er, die hohle Hand an den Mund haltend. „Die vermaledeite Blumensucherei! Nun sitzen die Alten daheim und ängstigen sich.“

Die letzten Worte hörte der Fortgehende nur noch über die Hofmauer hinweg, hinter welcher er schritt. Er lachte zornig in sich hinein. … Wenn er ihr nur begegnete, der schönen Nichte! Er jagte sie nicht heim – ganz im Gegentheil, er vertrat ihr den Weg, und sie mußte ihm Rede stehen, ohne Gnade und Erbarmen, unter Blitz und Donner und strömendem Regen.

Die am Gehöfte hinführende Fahrstraße verlief sich draußen im Felde, oder vielmehr, sie wurde zum schmalen, das Grafenholz durchschneidenden Gehwege. … Da war das Mädchen jedenfalls gegangen, nachdem es „mit Sack und Pack“ das Vorwerk verlassen hatte – „in den Wald, in den grünen Wald!“ Hatte nicht auch der Amtmann vom „Herumzigeunern“ gesprochen? Stieg nicht aus den Wipfeln dort ein dünnes Rauchsäulchen von dem halbdürren, qualmenden Reisig, über welchem der Kessel des Nomadenvolkes hing? – Lächerlich! – die Wolken kämpften; da und dort schossen weißgraue Dunstgebilde schleierhaft an der compacten, schwarzen Gewitterwand empor. Ein Zigeunerlager wurde wohl auch schwerlich im wohlcultivirten Waldgebiete Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht geduldet. Aber die Fahrstraße war frei – dem Wagen mit der Leinwandplane, escortirt von den braunen Männern zu Pferde, war der Weg durch das kühle, labende Buchendüster in die weite Welt hinein unverwehrt. … Nun, eine solche Fahrt ging langsam von Statten – diese Heimatlosen reisen con armore – einem raschen Wanderer gelang es wohl, sie einzuholen und zu erforschen, ob unter dem weißen Leinendache wirklich die Schöne, Unbegreifliche sitze, wieder eingefangen in den Bann der Zusammengehörigkeit, den auch das gesetzlose Nomadenvolk festhält. – „Dummes Zeug“ sagte der Amtmann immer –

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 155. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_155.jpg&oldid=- (Version vom 26.9.2016)