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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

„Bei einer großen Wirthschaft wird eine kleine gemaust“ – die Wahrheit dieses Spruches steht zweifellos fest. Bei jedem Rittergute wird mindestens eine sogenannte „Gartennahrung“, das heißt eine Wirthschaft mit Haus, Garten, etwas Feld und einer Kuh – gestohlen. Das ist nicht zu ändern, und wer mir sagt, in seinem Hofe sei es anders, von dem glaube ich, daß er es nicht versteht und sich also wahrscheinlich – zwei kleine Wirthschaften mausen läßt, statt der einen. Dasselbe gilt von den Stadthaushaltungen. Dagegen ist es geradezu wunderbar, wie weit der Oelkrug langt, wenn die Hausfrau selbst die Lampen füllt.

Eine sparsame Hausfrau wird darauf sehen, daß alle Hausgenossen satt werden, daß kein Bettler ungespeist von ihrer Schwelle zieht und die Vöglein auf dem Fenstersimse draußen auch nicht verhungern, aber – verderben wird sie nichts lassen, kein Brodkrümchen, kein Bandstückchen, keine Stecknadel.

Ich kenne Frauen, die einen neuen Hut stets zum ersten Mal bei Regenwetter aufsetzen – selbstverständlich vergessen sie den Regenschirm zu Hause. Einen Bratenrest heben sie zwar sorgfältig auf, beseitigen ihn aber stillschweigend nach acht Tagen, wenn er nicht inzwischen lebendig geworden und – selber davon gelaufen ist. Und ein solches Dämchen will dann noch behaupten, es sei „weise Sparsamkeit“, wenn sie den Dienstboten nicht satt zu essen giebt und keinen Pfennig an einen Armen „verschwendet“?

Der englische Nationalökonom Smiles giebt uns für die Sparsamkeit drei goldene Regeln. Sie lauten: 1) Verthue stets etwas weniger, als du einnimmst! 2) Bezahle baar, und entsage standhaft Allem, was du nicht bezahlen kannst! 3) Nimm keine ungewisse Einnahme als schon empfangen an, indem du im Voraus schon darüber verfügest!

Diese Regeln lauten etwas schroff, aber immerhin! Heil Dem, der stark genug ist, sie zu befolgen! Besonders die erste ist sehr beherzigenswerth: Man soll in guten Tagen Etwas zurücklegen für die bösen.

„Eine Flasche Wein weniger, in der Gründerzeit, gab dem Arbeiter zwei Brode nach dem Krach,“ sagt ein hamburgisches Volksblatt.

Ueber den zweiten Smiles’schen Satz: „Bezahle baar, und versage dir standhaft, was du nicht bezahlen kannst!“ ließe sich schon eher streiten. Er scheint mir nur für Solche gemacht, die eine feste Einnahme haben, und sich wohl am leichtesten nach dieser ihrer Decke zu „strecken“ vermögen. Wollte man ihn auf kaufmännischen, ökonomischen und sonstigen Geschäftsbetrieb anwenden, so würde bald aller Handel und Verkehr in’s Stocken gerathen.

Bei der dritten Regel: „Nimm keine ungewisse Einnahme als schon empfangen an!“ muß ich an einen unserer Nachbarn denken. Derselbe hatte, noch lange bevor es gesetzlich vorgeschrieben wurde, alle seine Feldwege mit Bäumen, und zwar mit Süßkirschen bepflanzt, für welche, wie sich später herausstellte, der Boden seines Gutes nicht geeignet war.

„Das giebt in drei, vier Jahren einen Kirschpacht von mindestens fünfhundert Thalern,“ sagte er triumphirend, „und diese Summe capitalisirt, giebt, wenig gerechnet, 15,000 Thaler, also ist mein Gut durch diese Alleen um so viel im Werthe gestiegen.“

„Der thut ja, als hätt’ er seine 15,000 Thaler schon in der Tasche!“ äußerte mein Mann lächelnd, „wenn er nur nicht etwa darauf hin den Umbau seines Schlosses vorgenommen hat!“

Und richtig, so war es. Das neue Schloß kostete zehntausend Thaler, die herbeigeschafft werden mußten, aber von den Kirschen hatte der Aermste noch keinen rothen Heller Einnahme gesehen, als er nach fünf Jahren fortziehen, Schloß und Kirschbäume aber einem Andern überlassen mußte.

Um noch einmal auf die alten Bauernregeln zurückzukommen, will ich nur an ein Wort erinnern, das sehr zu beherzigen ist: „Nur bei vollen Töpfen ist sparsam wirthschaften.“

Welch ein bedrückendes Gefühl, wenn Kisten und Kasten, Fässer und Töpfe leer sind! Da rafft man zusammen, was eben noch vorhanden ist, oder das Dienstmädchen muß alle Viertelstunden wieder von der Arbeit fortlaufen, um jetzt Essig, jetzt Zucker, dann wieder Salz oder Mehl zu holen. Wie viel Zeit wird dabei verlaufen, und bezahlst du nicht alle diese Wege aus deinem Beutel? Bezahlst du nicht obendrein bei jedem halben Pfund Reis die schöne Papierdüte auch mit und giebst für die Waare um einige Pfennige mehr, als im Centnerpreis? Nur bei Vorrath, nur bei „vollen Töpfen“ ist sparsam wirthschaften – ich lobe mir die guten alten Sprüchwörter.

O, ich weiß deren noch viele, die Bezug haben auf dieses Thema, und einen tiefen Kern von Lebensweisheit haben sie alle.

Meine alte Tante – sie gehörte zu jener Sorte, die jetzt leider auszusterben scheint – weihte mich in meinen wirthschaftlichen „Lehrjahren“ in die Mysterien von Milchkeller und Speisekammer ein. Deutlich steht sie noch vor mir, die rüstige, stets heitere Frau in der spiegelblanken breiten Leinwandschürze, mit den biederen Worten und dem krystallklaren Gemüthe, unermüdlich thätig und für jeden denkbaren Anlaß mit einem ihrer zutreffenden Sprüche bei der Hand.

„Spare mit nichts so peinlich, wie mit der Zeit!“ pflegte sie zu sagen, „denn ’s ist das einzige Ding, was sich nie wieder einkriegen läßt.“

„Die Frau bringt mehr in der Schürze heim, als der Mann im Wagen,“ hieß es, wenn sie sich nach einer Kartoffel bückte oder ein paar verloren gegangene Krautblätter auflas, und: „Da suchst Du wieder einen Pfennig und verbrennst dabei drei Lichter.“

„Na, na, beruhige Dich nur!“ tröstete sie ein andermal, „keine Suppe kommt so heiß auf den Tisch, wie sie gekocht wird.“ Und wirklich, wenn die „Suppe“ von Trübsal oder Aergerniß auf den Tisch kam, so habe ich sie noch jedes Mal essen können; sie war doch so gar heiß nicht.

„Man muß Gott für Alles danken, mein Kind!“ hieß die Antwort auf meine Klage, daß die Henne nur zwei Küchlein ausgebrütet habe, und wenn sich ein paar Dienstmägde zankten, so rief sie lachend: „Höre nur gar nicht erst darauf! Eines ist zwei Dreier werth und das Andere sechs Pfennig.“ Oder noch derber ausgedrückt: „Laß sie laufen! ’s ist ranzige Butter und schimmliges Fett.“

Der Kernspruch all ihrer Sprüche aber war einer, dem ich viel zu danken habe, und der mir oft wunderbar geholfen hat, so einfach er klingt: „Beiß die Zähne zusammen – ’s muß hinunter,“ sagte sie, wenn ein unabänderliches Weh zu tragen war.

„Es muß hinunter!“ Wie oft hat mir das Wort in späteren Jahren in den Ohren geklungen, wenn es galt, die Zähne fest über einander zu beißen bei unverdienter Demüthigung, bei bitterem Herzeleid, von Menschenhand heraufbeschworen!

Noch ein einziges ihrer „Sprüchel“ will ich hier anführen, als letztes:

„Keine Tugend steht allein;
Es müssen ihrer viele sein.“

Auch die Sparsamkeit kann beileibe nicht „allein“ stehen in der Welt. Wo sie das thut, da wird sie ein zweckloses Zusammenscharren von Geld und Gut, Habsucht genannt, oder ein Darben, mitten im Besitze: der schnöde Geiz. Nein, Sparsamkeit, die echte, rechte, die ich meine, steht niemals allein. Schon um zur Sparsamkeit im gewöhnlichsten Sinne des Wortes zu werden, braucht sie ein Gefolge von Ordnungsliebe, Reinlichkeit, Fürsorge und kluger Umsicht. Aber auch noch viel höher vermag sie sich aufzuschwingen; diese anscheinend kleinlichste und prosaischste aller häuslichen Tugenden kann eine nie geahnte Höhe erreichen, wenn sie, gepaart mit Großmuth und Freigebigkeit, die treue warme Nächstenliebe selbst als Triebkraft ihres Wirkens einsetzt. Das ist ihr Triumph, und erst an diesem Ziele angelangt, wird sie in Wahrheit zur Tugend, zu einer der lautersten, erhabensten Tugenden des Menschenherzens.

Schön ist es und edel, wenn reich Begüterte die milde Hand aufthun, um von ihrem Ueberfluß Almosen zu spenden; noch höheres Verdienst gebührt Jenem, der da erst sparen und sorgen muß, um dann am rechten Orte desto reichlicher – geben zu können.

Es ist eine schon oft beobachtete Thatsache, daß Arme zumeist freigebiger sind als Reiche. Der erste Grund mag wohl sein, daß nur der Arme wissen kann, was Entbehrung heißt, und mit dem besseren Verständniß für die Leiden der Armuth auch das tiefere Mitgefühl für fremde Noth verbindet, ganz gewiß aber kommt noch ein Zweites hinzu: Wenn der Reiche einen Theil seines Ueberflusses spendet, so empfindet er nicht in dem Maße die Wonne des Opfers, wie der Arme, der sich diese Freude erst mühevoll durch tausend kleine Entsagungen erkämpft hat. Zieht man diesen Hochgenuß des Opfers aber mit in Rechnung, so kann man wohl sagen, daß die Sparsamkeit in ihrer Vollendung ein gar weites, segensreiches und befriedigendes Gebiet umfaßt. Aber es ist nicht so leicht, sich zu dieser Höhe aufzuschwingen, wie man gewöhnlich glaubt; es gehört mehr dazu, als nur ein augenblicklicher

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