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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

und muthig auf ihre Schultern genommen hatte, sie konnte kein Blut sehen, sie ließ ihr Opfer im Stiche. Er fühlte, daß die Verletzung keine besonders schlimme war, und der kleine Aderlaß konnte ihm nicht schaden – rollte ihm ja doch seit Tagen das Blut so heiß und ungestüm durch die Adern, wie in der schlimmsten Fieberkrankheit, und verwirrte und verdunkelte ihm die Seele. … Schämen mußte er sich. Er verdiente, von seinen Freunden grausam verhöhnt und verspottet zu werden. Hätten sie ihn nur jetzt sehen können, das Urbild des heimgeschickten dummen Jungen! An das homerische Gelächter durfte er nicht denken, ohne daß sich ihm die Rechte zur Faust ballte! Und mit der Verachtung, in die er sich gehüllt, war es auch nichts gewesen – du lieber Gott, was für ein kläglicher Nothbehelf! Beim ersten Aufblicke der verweinten Mädchenaugen hatte von dieser stolzen Verachtung nichts mehr existirt. Und der frische Humor, mit welchem er sich sonst alle Bedrängnisse sofort von Leib und Seele zu schütteln pflegte, er verfing diesmal auch nicht; er brachte es auch nicht einmal bis zum Galgenhumor.

Wie er so dahin ging – den Garten hatte auch er sofort verlassen – auf dem einsamen Wege am Fichtenhölzchen, wo ihn kein menschlicher Blick traf, wo es so still war, und die jungen, schaukelnden Triebe der Nadelzweige weich und kühlend über seine entblößte, heiße Stirn glitten, da rang er mächtig mit sich und den Gefühlen schmerzlichster Enttäuschung. … Er hatte einen Augenblick innerlich aufgejubelt, als breche plötzlich der volle Sonnenglanz eines grenzenlosen Glückes über ihn herein – das Mädchen war schuldlos, war frei; kein Anderer hatte ein Anrecht auf sie; sie hatte es unwiderleglich bewiesen, aber was half ihm das? Er hatte sich ebenso überzeugen müssen, daß auch er keine Aussicht habe, sie zu besitzen; da half kein Beschönigen, kein Vertrösten auf später, und wie alle diese Vorflunkereien der trügerischen Hoffnung lauten mögen – das Mädchen wollte nichts von ihm wissen, das sagte ihm sein eigener grundehrlicher, gerader Sinn, und da hieß es, mannhaft kämpfen, auf daß „das Bischen Selbstachtung“ nicht auch noch verloren gehe.


13.

Im Pavillonstübchen war es drückend schwül. Es hatte längere Zeit nicht geregnet; Tag für Tag war die Sonne am wolkenlosen, strahlend blauen Himmel auf- und untergegangen und hatte allmählich Alles durchglüht, Dächer und Wände, Waldwipfel und Dickicht und die Fruchtfelder bis in das Mark hinein.

Herr Markus meinte, daß Frau Griebel Recht habe, wenn sie, höchst unpoetisch zwar, aber desto erboster sagte, solch ein blauer Himmel zur Unzeit, der „eine Ewigkeit lang“ kein einziges gesegnetes Wölkchen aufkommen lasse, käme ihr gerade vor wie ein boshaftes Gesicht, das sich über die armen Creaturen auf Gottes Erdboden lustig mache. Ihm war auch, als ob ihm diese zehrende Gluth, unter welcher sich bereits die fruchtschweren Halme schlaff neigten, und Blatt und Blüthe die erste leichte Krümmung des beginnenden Verschmachtens annahmen, durch Poren und Nerven in die innerste Seele dringe, als höre auch er ringsum ein schadenfrohes Gekicher über die armseligen, machtlosen „Creaturen auf Gottes Erdboden“, die ihr Schicksal auf sich nehmen müssen, wie es kommt, gleichviel, ob sie sich wild aufbäumen oder schmerzvoll trauern.

Seine Hand brannte, und es war gut, daß er neben anderem Comfort auch eine Karaffe mit frischem Wasser und Waschgeräth in sein kleines Monbijou gestiftet hatte – nun brauchte er nicht in das Gutshaus zu gehen und Frau Griebel in die Hände zu laufen, was ihm durchaus nicht wünschenswerth war, aber er entging seinem Schicksal trotzdem nicht.

Gerade in dem Augenblick, wo er die Hand in das Wasserbad tauchte, kam die brave Dicke pustend und schwitzend das Gartentreppchen herauf, um „von wegen des Nachmittagskaffees“ zu sehen, ob er da sei.

Sie war nicht die Frau, die viel Federlesens mit einem „Schnitt in’s Fleisch“ machte. Sie schüttelte nur den Kopf bei der Bemerkung des Gutsherrn, daß er sich mit dem Taschenmesser verwundet habe, und sagte in ihrer trockenen Weise: „Wie Sie das fertig gebracht haben, Herr Markus, das ist mir wirklich unbegreiflich. Wenn’s noch der Daumen oder Zeigefinger wäre, da ließe ich mir den Spaß gefallen – aber in den Ballen?!“ – Die conseguente Schlußfolgerung: „Sie müssen doch recht ungeschickt gewesen sein!“ verschluckte sie sichtlich mit Mühe. … Dann ging sie fort, um altes, weiches Leinen und Arnica zu holen, aber Herr Markus müsse Geduld haben und einstweilen die Hand im Wasser lassen, bis sie nach dem Zeug gesucht habe – altes Leinen sei nicht nur so bei der Hand, und wo die Arnica logire, wisse sie im Augenblick auch nicht; man habe, Gott sei Dank, dergleichen seit Menschengedenken nicht gebraucht.

Nun war es wieder still im Stübchen. Die Thür nach dem Altan war weit offen geblieben; da blies dann und wann ein träger Hauch, herein, ohne die Luft abzukühlen. Herr Markus saß im Eckdivan, und vor ihm lag ein, kleines Nécessaire, aus welchem er ein Stück Heftpflaster entnommen – er wollte kurzen Proceß machen, um Frau Griebel’s drohendem Verbinden der Wunde vorzubeugen – aber das hatte er nun schon wieder vergessen. Die Stirn in die Linke vergraben, und die Augen geschlossen, war er wieder im Vorwerksgarten, und das schöne, angstvolle, tödtlich erblaßte Gesicht war ihm nahe, als könne er den Hauch des Mundes spüren. …

„Ich glaube, ich werde noch verrückt um dieses Mädchens willen,“ murmelte er zwischen den Zähnen, und seine Finger wühlten sich wie verzweifelt in das reiche Stirnhaar.

Da war es, als husche Etwas über die Altantreppe – leicht, fast unhörbar, wie auf den Sammetpfötchen einer Katze. Ein Mensch kam sicher nicht hier herauf. Die Gartenecke lag so einsam, und von den wenigen umwohnenden Leuten würde es Niemand gewagt haben, der Gutsherrschaft auf diesem Wege nahe zu kommen.

Herr Markus sah empor und meinte unter einem jähen Zusammenschrecken, das ihn stechend durchfuhr, er träume fort – es war allerdings ein Menschenkind die Treppe herauf, bis fast unter den Rahmen der Thür gekommen – sie, die Prüde, in deren Wangen und Lippen das lebendige Roth noch nicht zurückgekehrt war, trotz der Gluthatmosphäre, die jedes Menschenantlitz höher färbte. … Sie kam zu ihm – in seine Wohnung! Ei nun, wie sie ja auch, bei aller Unnahbarkeit und Zurückhaltung im persönlichen Umgange, ungenirt im Hause des unverheiratheten Forstwärters aus- und einging! Sie gab nichts auf die Anforderungen strenger äußerer Sitten, nichts auf die rügenden Lästerzungen – das hatte sie selbst gesagt. Und so stand sie da, zwar mit scheuem Blick, und auf dem halb und halb neutralen Boden des Altans bang zögernd, aber doch unverkennbar im Begriffe, einzutreten.

Ein seltsames Gemisch von Glückseligkeit, sie zu sehen, und Grimm über diesen ihren Schritt wogte in ihm auf, und dazu gesellte sich die Besorgniß, daß Frau Griebel jeden Augenblick eintreten könne – ach ja, das wäre Wasser auf diese Mühle gewesen! Dann war es um den letzten Rest des guten Rufes dieser Unvorsichtigen geschehen.

Er sprang erregt empor – eine heiße Röthe überflog sein Gesicht. „Sie wünschen?“ fragte er unsicher und deshalb fast rauh und abstoßend. Bei diesen Lauten war es, als wolle das Mädchen in sich zusammenbrechen. Sie griff unwillkürlich nach dem Altangeländer zurück und legte die andere Hand über die Augen. Aber sie faßte sich rasch.

„Der – der Herr Amtmann läßt für die Bücher herzlich danken und bittet um den ,Münchhausen’ von Immermann,“ sagte sie tonlos und reichte ihm zwei der von ihm an den Amtmann geliehenen Werke hin, die sie in einem Körbchen am Arme gebracht hatte. Ah, sie kam als Abgeschickte, als die Magd ihrer Herrschaft. Wie seltsam, daß er ihre Lebensstellung immer wieder vergaß! Wenn der Amtmann befahl, so mußte sie ja ohne Widerrede gehen – an diesem Gehorsam hatte auch Frau Griebel nichts auszusetzen.

„Ich habe das Buch nicht hier,“ entgegnete er aufgehellten Blickes, „und muß Sie bitten, einen Augenblick zu warten – ich werde es herüberholen.“ Er schlug ein Tuch um die noch immer blutende Hand und war im Begriff, die nach dem Garten führende Thür zu öffnen – aber da stand das Mädchen mit wenigen Schritten neben ihm.

„Das hat Zeit!“ wehrte sie hastig, in scheuer Verlegenheit ab. „Ich sollte die Bücher zum Forstwärter tragen, damit er den Wechsel besorge; er wird heute Abend kommen, das Buch zu holen – bitte, geben Sie es ihm!“ – Sie schlug plötzlich wie

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 126. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_126.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)