Seite:Die Gartenlaube (1881) 095.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

her, deckte die Kammer mit flachen Steinen zu und warf einen Berg von Sand, Erde, Lehm oder auch von kleineren Steinen über ihr auf. So entstand aus der Höhlenwohnung das Hünengrab.

Diese Gräber sind theilweise uralt; sie sind roh, einfach und klein; in einem von uns entfernten Theile der Erde aber sollte das Hünengrab sich schon frühzeitig zu außerordentlicher Pracht entfalten. Dieses Land ist Aegypten. Von der Natur reicher gesegnet, als viele anderen, ist es das älteste Culturland der Welt. In ihm haben sich frühzeitig große Staaten entwickelt; gewaltige Könige beherrschten dort das zahlreiche Volk. Merkwürdig ist die alt-ägyptische Civilisation: überall können wir in ihr die Spuren der kaum erst überwundenen „Urzeit“ erkennen.

Die Aegypter bestatteten ihre Todten in Felshöhlen, welche uns an die künstlich in den Stein gebrochenen urmenschlichen Höhlenbehausungen im deutschen Mittelgebirge erinnern. In solchen „Todtenkammern“ brachte die große Masse des Volkes ihre Verstorbenen unter, und um den abgeschiedenen Seelen – von denen man glaubte, daß sie sich bei ihren Leibern so lange aufhielten, bis dieselben zu Staub zerfielen – eine Unterhaltung zu bereiten, ließ man die Todtenkammern reichlich mit Gemälden schmücken, welche die Geister an das vergnügliche Diesseits erinnern sollte. Man malte allerhand Bilder aus dem Leben, z. B. Jagden mit abgerichteten Katzen, Volksfeste, Gastmähler etc. Bei letzteren fehlen sogar die widrig-komischen Scenen nicht, welche dem allzu reichlichen Genusse von Trank und Speise zu folgen pflegen. Anders handelten des Volkes Könige: Jeder von ihnen baute sich bei seinen Lebzeiten als Wohnung nach seinem Tode ein Hünengrab, so groß und so prachtvoll aufgeführt, wie seine Macht groß und prächtig war.

In der That sind die Pyramiden – in großem Maßstabe genau wie das Hünengrab construirt. Auf einer mächtigen steinernen Unterlage ruht das „letzte Kümmerlein“ des Königs, und in demselben steht der gewaltige steinerne Sarg. Vor der Kammer, etwa in der Mitte der Pyramide, befindet sich ein kleiner Saal, welcher durch einen langen schmalen Gang mit der Außenwelt in Verbindung steht. Durch den Gang, dessen Eingang bis zum Tode des Königs offen blieb, wurde die Leiche in den Mittelsaal getragen, wo man die Todtenfeier abhielt. Am Ende der Handlung legte man den König in den Sarg, und verschloß den Eingang. Oft bildete die Pyramide eine königliche Familiengruft, sodaß in ihr mehrere Nischen mit Mumien vorhanden waren. Dort ruhte nun der Todte unter einer Last von Steinen, welche nach Art der Hünengräber die Grabkammer hochanstrebend bedeckten. Denn die ganze Pyramide bestand – außer dem schmalen Gange, der engen Todtenkammer und dem kleinen Saale – in einem massiven Berge aus großen Steinblöcken und erhob sich bis zu einer Höhe von über 120 Meter. Nahe an 90 Meter Steinblöcke liegen also ausgebaut über der Grabkammer.

Der einzige nennenswerthe Unterschied zwischen dem nordischen Hünengrab und der ägyptischen Pyramide beruht in der Größe der letzteren und in ihrer regelmäßigen Form. Diese Form ist aber selbst wiederum nur eine Folge der ungeheuren Größe. Schon die ältesten, nur circa 46 Meter hohen Pyramiden, welche in Stufenform gebaut waren, mußten regelrecht aufgeschichtet werden – sonst hätte man sie in dieser Höhe nicht gut herstellen können. Noch mehr war dies aber bei den dreimal so großen glattseitigen Königspyramiden nöthig; es war geradezu unerläßlich. Um sie in ihrer Kolossalität herzustellen, bedurfte man sehr großer behauener Blöcke, die man in Form der quadratischen Basis neben einander legen konnte. Auf ihnen wurde eine zweite nach allen vier Seiten verjüngte Basis errichtet, auf dieser eine dritte noch mehr verjüngte, in welcher man den Gang, den Saal und die Grabkammer aussparte. Um diese Lücken herum, sowie über dieselben hinweg, thürmte man nun wiederum die sich immer weiter verjüngenden, immer höher anwachsenden und immer mehr zur Spitze anstrebenden quadratischen Steinmassen. Allerdings wurden die Pyramiden nicht genau so, wie ich es hier beschreibe, aufgerichtet, sondern man baute zunächst auf dem Felsboden einen wenig umfangreichen Steinkern, wand auf denselben eine zweite Lage von Quadern hinauf, legte’ um die untere Lage an jeder Seite eine Reihe von Blöcken herum und ließ auf diese Weise die Pyramide zugleich nach oben und nach den vier Seiten hinaus wachsen. Hatte man den Bau aber im Rohen fertig, sodaß die kolossalen Steinstufen, welche die Pyramide bildeten, auf allen Seiten zu Tage traten, dann wurden diese Stufen durch Reihen halb so hoher Blöcke verkleidet, sodaß die ganze Pyramide nur halb so hohe Stufen zu bieten schien; man wiederholte dieses Werk der Stufenhalbirung und -Bekleidung so oft, bis die Stufen klein genug waren, um den ganzen Pyramidenbau mit glatten Steinplatten bekleiden zu können, damit er prächtig in der Sonne glänze.

Diese Pyramiden scheinen für die Ewigkeit gebaut. Noch heute stehen sie da, unversehrt in ihrer Größe, wie vor sechstausend Jahren; nur ihres Schmuckes, der glatten Granitplatten, sind sie meist entkleidet; die Platten sind herabgeholt worden; denn die späteren Geschlechter konnten sie anderweitig verwenden. Vor uns steht wieder der kahle Steinstufenbau, und wir können das Hünengrab besteigen. Vielfach sind auch die Blockreihen, welche zur Verkleinerung der Stufen dienten, herabgefallen, und die Besteigung verursacht Mühe: erst nach langer Wanderung kommen wir oben an.

Auf dem Rückwege lassen wir uns, wenn die Pyramide bereits geöffnet, etwa in der Höhe eines mittleren deutschen Kirchthurmes, in die Pforte hineinführen. Nacht umgiebt uns; es werden Fackeln angezündet. Im engen Gange geht es sacht bergauf. Rechts und links finden sich Nischen, in denen Mumien gestanden haben. Rückwärts blickend, sehen wir die Pforte kleiner und kleiner werden. Plötzlich stehen wir in dem Saal und, nachdem wir diesen durchschritten, gelangen wir durch einen kurzen Gang in die enge Todtenkammer. Wir glauben in Katakomben unter der Erde zu sein, während wir doch hoch über ihr stehen.

Vor uns ragt der steinerne Sarg; wir wollen ihn öffnen, allein die Steinplatte ist fest hineingepreßt. Wollen wir die Königsmumie sehen, so müssen wir die Platte zerschlagen. Da liegt der Todte im Holzkasten verschlossen, den vertrockneten Körper mit Bändern dick umwickelt. Vielleicht sagt uns kein Buch, keine in der Todtenkammer angebrachte Inschrift, wer der König war. Sein Name und seine Thaten sind verweht und vergessen. Das Volk, welches er regierte, hat nach zahllosen Schicksalen das Land den erobernden Arabern überlassen müssen, und die elenden Reste desselben sind in die Wüste übergesiedelt, aber das Grab dieses Königs hat seinen Ruhm und das Leben seines Volkes selbst überdauert. Man baute es vor 6000 Jahren, und es steht noch.


* * *


Allein nicht nur in Aegypten wurden im Alterthume Pyramiden gebaut. In Vorder-Asien, an dem Gestade des von Schiffen belebten Euphrat, lag in seiner herrlichen Fruchtebene das „hundertthorige Babel“. Etwa 2000 Jahre nach dem Entstehen der ägyptischen Pyramiden zur bedeutenden Stadt erwachsen, wurde Babel der beliebteste Völkermarkt der alten Welt. Dort strömten der gewaltthätige Assyrer und der weibische Lyder, der kräftige Perser und der verwöhnte Meder, der leichtfüßige Araber, der gewinnsüchtige Phönicier und der reiche Indier zusammen, und selbst Aegypter, Griechen, Skythen und Aethiopen erblickte man in der Menge der handelnden und feilschenden Marktbesucher.

Ueber dem bunten Treiben aber ragten majestätisch die Pyramidalterrassen des sogenannten „Babylonischen Thurmes“. Dieses Bauwerk, dessen Ruine man noch heute auf dem Trümmerfelde Babylons findet, war nichts anderes als eine kolossale, sehr breite und noch viel längere Pyramide, welche aus sieben senkrecht und steil über einander aufragenden bunten Stufen von je 22 bis 28 Meter Höhe bestand.

An den Seiten der Stufen führte eine Treppe von Terrasse zu Terrasse, bis zu der großen obersten Plattform empor. Dort oben stand, die Pyramide krönend, ein Tempel, der leuchtenden Sonne näher als das Gewühl unten in der Stadt, und eben dieser Sonne – dem Sonnengotte Baal – geweiht.

Prächtig und farbenreich müssen die Stufen in der Sonne geglimmert haben, um so prächtiger, je origineller die Zusammenstellung der Farben war. Jede Stufe war nämlich einheitlich gefärbt, und zwar jede andere wieder anders: die eine grün, die andere roth, die dritte blau, die vierte gelb, eine schwarz, eine mit Silber- und eine andere mit Goldplatten behängt.

Man kann im Alterthum in den Wüsten überall Sternanbetung finden, die Babylonier aber, vor deren Thoren die Wüste lag und deren Karawanen sie unausgesetzt nach allen Seiten durchschnitten, standen in Vorder-Asien an der Spitze der religiösen Astronomie.

Ihre Sternenpriester, die da oben über dem Treiben der Welt

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 95. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_095.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)