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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

Wie die Menschen bauen lernten.

Von Paul Wislicenus.
(Schluß.)

Die bisher betrachteten beiden Baumaterialien – Holz und Lehm – haben jedes in seiner Art der Entwickelung der Baukunst Vorschub geleistet; das Holz hat in Form des Japanischen Palastes und der Norwegischen Kirche sogar stilistische Vollendung erhalten, während der Lehm als Ziegel nur der Vertreter des Steins genannt werden kann. Ohne dieses dritte unserer ältesten Baumaterialien, ohne den Stein selbst, würde jedoch die Entwickelung der Baukunst niemals die gothische Form erreicht, nie einen Kölner Dom ermöglicht haben. Das Steinmaterial ist das erste der Welt. Der mit Quadern arbeitende Baumeister verließ schon frühzeitig die einfachen Formen, und seine Schöpfungen strebten himmelan. Betrachten wir zunächst die Entwickelung des Steinbaues, und zwar die Entstehung des steinernen Hauses aus dem Höhlenbau! Durch regelrechtere Aufschichtung der in der Höhle verwendeten Steinblöcke entsteht allgemach die steinerne Wand. Diese älteste Form der Mauern bietet uns ein merkwürdiges und interessantes Bild.

In Griechenland finden sich Ruinen, welche in nichts anderem bestehen, als in einem gewaltigen halbzerstörten Mauerring. Riesige unbehauene Blöcke finden sich hier zu einer Festungsanlage emporgethürmt, sodaß sie leidlich genau auf einander passen; die übrig bleibenden Lücken sind mit kleineren Steinen ausgefüllt, und Thore führen in das Innere des Mauerrings. Drinnen ist Alles wüste; auf Steinhaufen, über welche Schlangen schlüpfen, wuchern dornige Ranken. Die Mauern, welche den Trümmerhaufen einfassen, sind von einer auffallenden Massivität, und die rohen Blöcke, aus denen sie bestehen, scheinen zu schwer, als daß Menschenhände sie hätten emporwinden können. Deshalb nennt der Grieche diese Steinwälle „Cyklopenbauten“. Auch auf unseren deutschen Bergen finden sich ähnliche Urbefestigungen, „Teufelsmauern“ genannt. Der Teufel soll ja auch die bekannte Brücke in der Schweiz gebaut haben, weil man nicht begreift, wie Menschen sie über dem Abgrund errichten konnten.

Jede dieser Ruinen trägt jedoch den Namen einer versunkenen Stadt, deren einstige Königsherrlichkeit in den Märchen und Liedern des alten Griechenland eine große Rolle spielt. Diese Städte und Burgen waren die Schlupfwinkel jener alten Helden, die nach Homer theilweise von den Göttern abstammten. So war unter Anderem „das herrliche Mykenä“, die Residenz der Atriden, eine solche Cyklopenburg.

In weniger verfallenem Zustande als die griechischen Städte der späteren Zeit sind die Reste dieser uralten Bauten auf uns gekommen, obwohl man dies bei der Construction der Mauern nicht erwarten sollte; denn die großen Blöcke, welche dieselben verbinden, sind nicht gekalkt. Man könnte vermuthen, die Vorfahren der Griechen hätten sich bei Errichtung ihrer Festungswerke den Kalk erspart, weil diese Werke aus so großen Steinen zusammengesetzt wurden, daß ihre eigene Schwere sie hielt. Allein dieser Annahme stehen eine Anzahl von neuerdings erfolgten Entdeckungen gegenüber.

Unser berühmter Landsmann Schliemann (vergl.: „Der Schatzgräber von Troja“, Jahrgg. 1878, S. 712), welcher auch in dem soeben genannten Mykenä umfassende Ausgrabungen hat anstellen lassen, ist eine der eigenthümlichsten Erscheinungen unserer Zeit. Ursprünglich nicht selbst Gelehrter, sondern Kaufmann und sehr wohlhabend, ist er aus reiner Schwärmerei zu seiner heutigen Beschäftigung übergegangen, und zwar – aus Schwärmerei für die Gesänge des Homer.

Er machte sich also an die Ausgrabung von Troja. Dort fand er in der Tiefe unter Anderem zwei Kröten und meinte, sie säßen bereits seit Priamus’ Zeiten da unten; ein kupfernes Schild, über eine Sammlung kostbarer Gegenstände gestülpt, sei von Priamus selbst aus Vorsicht darüber gedeckt worden. Was aber auch eine erhitzte Phantasie dem berühmten Manne für Traumbilder mag eingegeben haben – Schliemann hat doch Troja, hat die alte „Veste des Priamus“ wirklich gefunden., Seine Erfolge sind überall reell und großartig. Schliemann grübelt und untersucht nicht viel – aber er findet, findet mehr als alle Andern.

Nachdem er Troja aufgedeckt und Mykenä ausgebeutet, also die Residenzen des Priamus und Agamemnon gründlich untersucht hatte, trieb es ihn weiter. Auf Ithaka liegt heutzutage ein Städtchen und daneben ein alterthümlicher Trümmerhaufen; diesen ließ nun Schliemann nach den Schätzen des Odysseus untersuchen. Aber er fand nichts, das heißt er fand keine Schätze, und gab alsbald das Werk wieder auf. Und doch hat gerade diese Ausgrabung auf Ithaka von allen Schliemann’schen Resultaten das merkwürdigste zu Tage gefördert: man fand dort eine ganze aus Steinen erbaute Stadt, mit Häusern und Zwischenwänden, Höfen und Gassen, und in all den zahlreichen Mäuerchen und Mauern fand sich nirgends eine Spur von Kalk.

Ein ähnlicher, aber an Ausdehnung nicht so bedeutender Fund ist bereits vor längeren Jahren auf einer anderen griechischen Insel gemacht worden. Im Aegäischen Meer liegt das kleine Eiland Santorin oder Thera. Ein größerer Bogen Landes befindet sich einem kleineren gegenüber, und zwischen beiden fluthet eine runde Meeresbucht. Diese Insel – der aus dem Meereswasser hervorragende obere Kraterrand eines erloschenen Vulcans – sank vor mehreren Jahren aus unbekannten Gründen langsam in’s Meer, sodaß die am Strande stehenden Wohnhäuser in Gefahr kamen. Nach einiger Zeit stieg die Insel jedoch wiederum empor, und zwar höher als zuvor, sodaß heute einige Theile des früheren Meeresbodens vom Wasser entblößt sind. Da fand man im Schlamme eine versunkene Niederlassung steinerner Häuser mit Höfen, Zwischenwänden und Zimmerabtheilungen, alles verfallen. Die Mauern bestanden, gleich den Schliemann’schen auf Ithaka, sämmtlich aus unbehauenen Steinen, welche natürlich viel kleiner waren als die in den Cyklopenmauern verwendeten Blöcke, und diese Steine – vermuthlich mit Hülfe von Feuer und Wasser aus den Ursteinbrüchen gewonnen – waren ebenfalls nicht gekalkt.

Diese Häuserfunde bilden eine vortreffliche Ergänzung zu den Resten von Mykenä. Das in Trümmern liegende Innere der alten Königsstadt ist jedenfalls auch mit steinernen Häusern nach Art derjenigen in Ithaka und Santorin gefüllt gewesen – den Menschen jener griechischen Urzeit war der Kalk eben noch nicht bekannt. Die zwischen den Steinen offen bleibenden Fugen haben sie dann entweder mit Moos zugestopft oder mit Lehm verschmiert. Erst die Wahrnehmung, daß der mit Sand vermischte Lehmmörtel doch viel zu wünschen übrig ließ, hat sie dann veranlaßt, nach einer besseren Mauerspeise zu suchen, und da ihnen die wahrscheinlich rein zufällige Entdeckung der Eigenschaften des Kalkes dabei entgegenkam, so ist ihnen endlich die gediegene Herstellung steinerner Wände gelungen.

So wurde der Mensch zur Entfaltung einer wirklich genialen Baukunst befähigt, nachdem er, durch den Höhlenbau zu dem bequemeren Wohnhaus geleitet, sich im Bauhandwerk bereits ein gewisses Geschick angeeignet hatte. Freilich waren die ältesten Wunderwerke der eigentlichen Baukunst noch sehr roh und ungeschlacht, wie wir in dem folgenden Artikel sehen werden.


3. Die Pyramiden in Aegypten und Babylon.

Nach einem kurzen Einblick in die Höhlenbauten der menschlichen Urzeit und die daraus entstehenden ältesten Häuser wenden wir uns nun dem Beginn der eigentlichen Baukunst zu. Da treten uns alsbald die ältesten Monumentalbauten der Menschheit entgegen. Sie haben nicht wie Höhlen und Häuser den praktischen Zweck, den Menschen als Schlupfwinkel zu dienen, sondern sie verfolgen bei Veredelung des Geschmackes ein ideales Ziel. Hat doch ein „Monument“ den Zweck, uns an einen Menschen oder an ein Ereigniß zu „gemahnen“ – daher der lateinische Name. Stehen wir betrachtend vor einem „Monument“, so erfüllt eine Erinnerung unser Herz; wir gedenken der Veranlassung, welche dieses Bauwerk hervorgerufen hat, und auf diese Weise erhält das Gedächtniß selbst für uns eine Bedeutung, welche sich nach der Erhabenheit des Monumentes bemißt.

Die ältesten menschlichen Monumentalbauten sind Grabhügel gewesen. Die in unserem Vaterlande hausenden vorgeschichtlichen Völker hatten die Gewohnheit, dem Todten, den sie noch immer unter die Lebenden zählten, ein Haus zu bauen. Man legte den Leib des Entschlafenen auf die Erde, wälzte Steine um ihn

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 94. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_094.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)