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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

die alte Dame erregt und so hastig, als gelte es, den Augenblick zu benutzen, nur die Verdienste des Mädchens in das rechte Licht zu ziehen. „Sie hat ein Joch auf sich genommen, das –“

„Nun, nun, Herzchen, so gar haarsträubend ist’s denn doch nicht,“ unterbrach sie der Amtmann mit einem unruhigen Blick. Er bog sich weg und sah nach dem Nähtisch, welcher in einem der Fenster stand. „Hm – Hut und Handschuhe sind fort. Sie wird wohl wieder einmal im Walde auf der Blumensuche sein. Ich hätte mir gern die Freude gemacht, sie Ihnen vorzustellen. – So in Saus und Braus wie beim General Guseck lebt sie in unserem Hause allerdings nicht, indeß –“

„Die junge Dame mag in ihrer Stellung wohl recht verwöhnt worden sein,“ warf Herr Markus mit einem leisen, malitiösen Lächeln ein.

„Verwöhnt, wie die Dame des Hauses selbst,“ bestätigte der Amtmann. „Denken Sie doch: Brillantes Theater, Diners, Soiréen, eigene Kammerjungfer, Ausfahrten in eleganter Equipage“ – er zählte Alles an den Fingern her – „sie ist sehr hübsch, eine Dame comme il faut, spielt wundervoll Clavier – Herr Gott, wie mich das immer wieder wurmt!“ unterbrach er sich selbst. „Ich hatte in Gelsungen einen Flügel, ein Instrument, das mich seine runden tausend Thaler gekostet hat; mancher berühmte Virtuose hat in meinen Soiréen darauf gespielt – jetzt steht’s bei einem reichgewordenen Leimfabrikanten, und ein halbes Dutzend junger Leimsiedersprossen klimpert drauf herum. Ja, was half’s denn aber? Ich mußte es hingeben. Sagen Sie doch selbst, wo hätte ich denn hier das Prachtinstrument aufstellen sollen? … Ich wünschte nur, Sie hätten einmal diese Tonfülle gehört! Unter den Händen meiner Nichte klang der Flügel geradezu erschütternd; selbst ihren Fingerübungen konnte ich mit Genuß zuhören – ah, Sie sind kein Freund davon?“ fragte er – der spöttische Ausdruck im Gesicht des Gutsherrn war drastisch lesbar geworden.

„Nein,“ versicherte dieser unumwunden. „Die Zahl der clavierspielenden Damen ist Legion. Nach jedem Diner, in jeder Abendgesellschaft ist der unglückliche Marterkasten die schließliche Zugabe. Ich bin gewohnt, nach meinem Hut zu greifen, sobald sich eine Dame an das Clavier setzt.“

Der Amtmann lachte gezwungen auf, während seine Frau sehr ernst sagte: „Glauben Sie mir, auch wenn man uns das Instrument gelassen hätte, Sie würden bei uns nie gezwungen worden sein, einer aufdringlichen Production auszuweichen. Unser liebes Kind sucht auch nicht im einseitigen Virtuosenthum seinen eigentlichen Beruf, seine Lebensaufgabe –“

„Aber, liebes Herz, ich sagte es ja schon, daß Agnes auch eine Malerin par excellence ist,“ fiel der Amtmann hastig, in sichtlicher Ungeduld ein.

„Sie weiß auch Bescheid in Küche und Keller,“ fuhr sie fort – man sah, es kostete sie einen inneren Kampf, noch etwas zu sagen, nachdem ihr Mann ihr so apodiktisch das Wort abgeschnitten, aber sie that es, und zwar mit etwas erhobener Stimme und hörbarem Nachdruck.

„Ich begreife Dich nicht, Sannchen,“ unterbrach er sie abermals. Eine starke Röthe stieg in sein Gesicht, während er sich geärgert unter einer Grimasse die Kniee rieb. „Liegt Dir denn gar so viel daran, die Agnes, die Tochter eines höheren Officiers, eine Franz, mit aller Gewalt als Aschenputtel, respective Küchendragoner, hinzustellen? – Sollte mir leid thun um mein Geld, wenn sie es nicht weiter gebracht hätte. … Apropos, Herr Markus,“ brach er das Thema gewaltsam ab – „wie lange gedenken Sie noch im Hirschwinkel zu bleiben?“

„Nur wenige Tage.“

Es schien, als athme der alte Herr erleichtert auf; gleichwohl wiederholte er stirnrunzelnd, in mißvergnügtem Ton: „Wenige Tage? … Hm, da werden wir wohl die Freude nicht noch einmal haben, Sie bei uns zu sehen, und ich bin gezwungen, da mir mein unglückliches Piedestal keinen Gegenbesuch auf dem Gute gestattet, den günstigen Moment beim Zipfel zu nehmen und Sie um einen mündlichen Bescheid auf mein Schreiben zu bitten. Kurz heraus: Wie steht’s mit der Eisenbahnfrage? – Sie werden sich nun selbst überzeugt haben, in welch desolaten Zustand die Vorwerksbaulichkeiten sind – da hilft schon längst kein Flicken mehr. Und vollends die alte Bude, in der wir hausen – die reißt und kracht bei jedem Windstoß in allen Fugen – sie prasselt beim ersten Vorbeipassiren der Locomotive zusammen, so gewiß, wie zweimal zwei vier ist.“

„Dann thut man am besten, sie vorher niederzureißen –“

„Herr!“ fuhr der Amtmann empor – es sah fast aus, als wolle er dem gleichmüthigen Redner an die Kehle fahren, während die Kranke mit einem Schreckenslaute flehend die Arme hob – „Herr, das heißt mit anderen Worten, Sie wollen mich an die Luft setzen.“

Herr Markus ergriff beschwichtigend die Linke der alten Dame.

„Wie mögen Sie darüber so sehr erschrecken, gnädige Frau!“ sagte er. „Ist Ihnen dieses Haus, das unleugbar dem Einsturz nahe ist, so lieb, daß Sie kein anderes an seiner Stelle sehen möchten? Ich baue auch die Schneidemühle von Grund aus neu auf; es bleibt mir nichts anderes übrig, wenn ich nicht will, daß sie eines Tages meinen Pächter unter sich begräbt. Und hier läßt sich ein Neubau viel leichter und rascher bewerkstelligen, als dort am Wasser. Ich verspreche Ihnen, es soll ein hübsches, bequemes Hans mit gesunden, luftigen Räumen, Veranda und Sicherheitsläden werden. Wir rücken es um mindestens dreißig Schritte weit aus der lästigen Nähe der Schienen, verlegen die Stallungen an seine Nordseite und den Hof hinter die Gebäude, zu welchem Zweck selbstverständlich ein beträchtliches Stück Fichtengehölz wegrasirt werden muß. … Es ist nicht mehr als billig, daß ich Ihnen für die Dauer des Umbaues ein anständiges Logement verschaffe, und deshalb bitte ich Sie, Ihr Zelt im Gutshause aufzuschlagen. Die Hälfte der oberen Etage stelle ich Ihnen zur unumschränkten Verfügung – ich glaube, die Wohnräume Ihrer lieben verstorbenen Freundin werden Sie anheimeln und Ihnen genügen, bis Sie – ich hoffe ganz gewiß mit Anfang Mai nächsten Jahres – auf das Vorwerk zurückkehren können. Sind Sie damit einverstanden?“

Sie versuchte, bitterlich weinend und vollkommen sprachlos, seine Hand, die ihre Linke noch umschlossen hielt, an die Lippen zu ziehen, was der junge Mann erschrocken abwehrte.

„Nein, nein,“ sagte er verlegen erröthend, „danken Sie mir nicht! Nehmen Sie das, was ich thue, als einen letzten Gruß der edlen Heimgegangenen von jenseits herüber!“

Auch der Amtmann schien bis zur Wortlosigkeit überrascht zu sein; auch ihn mochte es drängen, dankend nach der Hand des jungen Mannes zu fassen, aber bei den letzten Worten desselben stutzte er und horchte auf. Er zog die Hand zurück, und in seiner schlauen Miene konnte auch ein nicht sehr Kundiger lesen, daß ihm plötzlich ein Licht aufgehe, daß ihm der Gedanke komme, hinter dieser unglaublichen Großmuth „müsse Etwas stecken“. – Er war eine jener brüsken, unzerstörbar selbstbewußten Naturen, die es nie zugeben, daß sie Macht und Ansehen selbst verspielt haben; sie suchen sich jeder Situation sofort herrisch zu bemächtigen, wenn ihnen auch nur zollbreit Luft und Raum gelassen wird.

„Ach ja, unsere theure Freundin,“ sprach er mit kühler Ruhe und vornehm reservirter Haltung, „sie hat recht wohl zu schätzen gewußt, was wir ihr zu allen Zeiten gewesen sind. Wir haben von der Ferne aus Freud und Leid redlich mit ihr getragen und schließlich die traurige Einsamkeit des Hirschwinkels gern mit ihr getheilt. … Ich bin so manches Mal durch Wind und Wetter gelaufen, um ihr mit einer Partie Schach die langweiligen Winterabende zu verkürzen – und Schach ist durchaus nicht meine Passion, müssen Sie wissen, Herr – im Gegentheil! Aber solch ein Opfer bringt man ja herzlich gern, zumal einer Frau, die hingebende Freundschaft so zu würdigen wußte, wie unsere gute selige Oberforstmeisterin.“

„Sie hat mehr für uns gethan, als das ganze Heer von Freunden zusammengenommen, das sich einst um unsere Speise- und Spieltische zu schaaren pflegte,“ schaltete die Frau im Bette schüchtern, mit bebender Stimme ein.

„Nicht bitter werden, liebes Herz! Auf alle diese Braven lasse ich nun einmal nichts kommen. Aber Du hast Recht – Clotilde war von Herzen dankbar und wäre unbestritten noch viel weiter gegangen, wenn wir in leichtbegreiflichem Zartgefühl nicht immer abgewehrt hätten.“

Er zuckte die Achseln.

„Je nun, es hat so sein sollen – der Tod ist ihr über den Hals gekommen, sie wußte nicht wie – sonst wäre wohl Manches ganz, ganz anders.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 90. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_090.jpg&oldid=- (Version vom 19.9.2016)