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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

der Nähe eines so überempfindlichen Gegenstandes, und auch die prunkenden gläsernen Kronleuchter sind häufig mit Blumen- und Blätterwerk überladen, wie ein deutsches Dorfwirthshaus zur Kirchweih. Ein sehr unbehaglicher Zimmerschmuck sind die venetianischen Spiegel, die jetzt, nebenbei gesagt, aus Belgien kommen und auf Murano nur mit Blättern und Blumen umkränzt werden. Der Gedanke an das arme Stubenmädchen, das diesen Plunder rein halten soll, will Einen nicht verlassen, und man sieht schon im Geiste, wie das Wischtuch hängen bleiben und der ganze stachlige Plunder auf das Parquet niederprasseln wird.

Das Modelliren selbst läßt sich schwer beschreiben. Der Arbeiter taucht sein eisernes Blasrohr in die feuerflüssige Masse; er wickelt ein zähes Klümpchen auf und mit ein wenig Athem und einigen Handgriffen hat er ein allerliebstes Seepferdchen geschaffen, einen Kelch ausgeformt und gemeistert, eine Filigranglasarbeit scheinbar geflochten oder eine Cotillonspielerei hergestellt. Größere Stücke müssen im hellen Feuer immer wieder neu erwärmt werden, was minutiöse Aufmerksamkeit erfordert, wenn die bereits gegebene Form nicht wieder verloren sein soll.

Technisch interessant ist die Herstellung des sogenannten Flechtglases. Ein scheinbar geflochtener Teller wird auf folgende Weise gemacht. Auf einer Gypsplatte liegen eine Anzahl gleichlange bunte Glasstäbchen, die man einen Augenblick dem Feuer nähert und an den Enden leicht verschmilzt. Ein Arbeiter hebt indeß am Blasrohr einen Glasballon aus dem Ofen; durch Drehungen des Rohres formt dieser sich rund; der Arbeiter rollt ihn über die Gypsplatten hin und wickelt die Stäbchen damit auf. Jetzt sieht das Ding aus wie ein Becher aus Glasstäbchen. Durch scharfes Drehen und weiteres Erhitzen erweichen sich die Stäbchen und schmiegen und biegen sich zu eleganten Windungen. Ein anderer Arbeiter hat indessen eine gleiche Anzahl Stäbchen in derselben Weise bearbeitet; nur ziehen sich die Windungen in entgegengesetzter Richtung hin. Man drückt nunmehr die beiden angelförmigen, halbflüssigen Gebilde in einander und formt nun unter weiteren Drehungen am Rohr, das hier eigentlich nur die Handhabe darstellt, den Teller völlig aus. Die Stäbchen bilden jetzt ein Geflecht, dessen gewundene Linien sich mit mathematischer Genauigkeit kreuzen. Frappant ist es auch, wenn man im Augenblick aus einer Handvoll elender Glasscherben und einigen Erden und Farben die prächtigsten Achate und Malachite entstehen sieht. Auf Murano werden so ziemlich alle Edel- und Halbedelsteine der Welt nachgebildet. Sympathien freilich kann dieser Theil der Industrie nicht erwecken. Die pfiffigen Araber sind die Besteller, und sie pflegen mit den Fälschungen die naiven Negervölker des Sudan über’s Ohr zu hauen.

Am schwersten fiel dem wackeren Doctor juris die geschäftliche Fundirung der jungen Kunstindustrie; denn Salviati ist kein Kaufmann, und das ist vielleicht gut. Hätte er kaufmännisch gerechnet, so würde ihm wahrscheinlich sein Unternehmen sehr bald zum Schaden des Ganzen als thörichtes Unterfangen erschienen sein. Er rechnete aber gar nicht; er experimentirte nur, und so kam es, daß er 1866 sein ansehnliches Vermögen „vergläsert“ hatte. John Bull, dem das Geld ja zu den Hosentaschen herauskollert, vernahm seinen Hülferuf etwa mit der vergnügten Miene, mit der ein Geldverleiher einen jungen reichen Cavalier anhört, der in momentane Finanznoth gerathen. In aller Eile bildete sich eine englisch-venetianische Glas- und Mosaikindustriegesellschaft, und Salviati wurde ihr technischer Director. Mit englischer Energie bemächtigten sich die kaufmännischen Leiter des Weltmarktes, was zweifellos für das arme geschäftlich unbeholfene Murano ein großer Segen gewesen ist. Salviati aber, der Erfinder, sah die enormsten Früchte seines persönlichen Talentes und seiner Opfer in Form von Ueberschüssen nach England wandern. Es kam zu Mißhelligkeiten, und der technische Director trat aus, gründete 1877 wieder ein eigenes Geschäft und eröffnete in fast allen europäischen Hauptstädten Niederlagen. Mit Freuden wendeten sich nun eine Anzahl aller Arbeiter ihrem Herrn und Meister wieder zu, mit dem sie schon früher Leid und Freud getheilt und getragen. Eine namhafte Zahl Arbeiter machte sich ebenfalls selbstständig, und Murano ist wieder das alte arbeitsame und lebensfrohe Murano geworden und das ist wohl das Schönste an der Sache.

Ein kleines Ereigniß, das sich während der jüngsten Pariser Weltausstellung zutrug, gewährt einen Blick in die Seele des rastlosen Mannes, wie er an nichts denkt, als an seine Kunst. Salviati zeigt der anwesenden Königin von England ein größeres Mosaikbildwerk aus seinen Werkstätten. Sei es nun, daß ihn die Königin nicht wohl verstanden, oder daß sie sich nicht sonderlich geschickt anstellt in der Betrachtung des Werkes - Salviati sieht sich veranlaßt, sie wiederholt und dringender zu bitten, daß sie sich besser placire. Es bleibt ohne Erfolg. Da ergreift der Glaskünstler von Venedig die Beherrscherin der halben Welt bei der Hand, dirigirt sie an den gewünschten Platz und will sich eben darüber machen, auch ihrem Kopfe eine entsprechende Richtung zu geben, als die erschreckten Höflinge zur Abwehr herbeieilen. Die Königin aber lächelt und weist sie zurück mit den Worten: „Sein Eifer ist gut, meine Herren.“

An Auszeichnungen hat es dem Manne nicht gefehlt. Wann auch er einmal im schwarzen Trauerschiffe hinüber nach der Kirchhofinsel San Michele gerudert werden wird, dann kann man für seine Orden nur gleich eine Gondel besonders ausrüsten und seine Gruft wird man mit Medaillen pflastern und mit Diplomen austapeziren können.

Um so bemerkenswerther sind seine eigenen Worte: „Diese Ehren erfreuen mich, aber daß ich den Verlassenen auf Murano die alte Kunst und neues Brod wiedergeben konnte, das beglückt mich.“ Ich weiß den Lesern am Schlusse nichts Besseres zuzurufen, als was die Königin von England ihrer Umgebung zurief: „Sein Eifer ist gut, meine Herren.“

Th. Gampe.




Blätter und Blüthen.


Der Geschichtsunterricht für Frauen und Mädchen.[1] Wenn man die Prospecte, Programme, Stundenpläne so mancher unserer weiblichen Erziehungsanstalten, „Höheren Töchterschulen“, Cyclen für Frauen und Mädchen etc. ansieht, so sollte man meinen, die dort gebildeten jungen Damen müßten förmliche kleine Geschichtsprofessoren werden, müßten in Rom und Athen, ja, in Babylon und Indien ebenso zu Hause sein wie in Deutschland, in den ältesten und urältesten Zeiten ebenso gut wie in der Gegenwart. Wer freilich Gelegenheit hat, genau zu verfolgen was selbst von dem Geschichtsunterricht auf höheren Schulen für die männliche Jugend bei einem großen Theil der Zöglinge zu bleibendem Gewinne für’s Leben aufbewahrt wird, wie viel dagegen gänzlich aus dem Gedächtniß schwindet oder nur in verschwommenen Umrissen hin- und herflattert, wer dies beobachtet hat, der wird zu jenen Prospecten, Programme, Lehrplänen, ja auch zu den Jahresprüfungen solcher Anstalten mit ihren oft so brillanten Resultaten doch nur ungläubig den Kopf schütteln, und die armen Mädchen beklagen, in deren Köpfe so viel hinein gepfropft wird, lediglich um wieder daraus zu entschlüpfen oder sich zu verflüchtigen.

„Die Geschichte der vielen Völkerschaften des Alterthums, des Mittelalters, der Neuzeit“ – so spricht sich ein Fachkundiger, der Culturhistoriker Prof. K. Biedermann, in der neuen Auflage seines „Frauenbrevier, culturgeschichtliche Vorlesungen für Frauen“, über dieses wichtige Thema aus – „diese Geschichte mit ihrer unendlichen Menge von Namen und Daten, von Kriegen und Schlachten, von Friedensschlüssen und Verträgen, von Königen, Feldherren und Staatsmännern, von Revolutionen oder Reformen ihrer inneren Zustände etc. – diese ganze ungeheure Masse geschichtlichen Stoffes in sich aufzunehmen, zu verarbeiten und in klarem, wohlgeordnetem Bilde festzuhalten, ist selbst von den Männern, soweit es nicht zu ihrem Berufe gehört, nur wenigen möglich, geschweige denn Frauen und Mädchen. Nur durch die strengste Beschränkung auf das Allerwichtigste und damit zugleich auf dasjenige Maß des Erfassens und Verarbeitens, welches allein von Frauen und Mädchen erwartet werden darf, kann möglicher Weise erreicht werden, daß das Mitgetheilte zu bleibendem Nutzen aufbewahrt werde.“

„Unserem Herzensinteresse“, fährt Biedermannn fort, „und somit auch unserer thätigen Antheilnahme steht jedenfalls die Neuzeit näher, als eine weit abliegende Vergangenheit, das Vaterland näher, als das Ausland. Damit soll jedoch nicht gesagt sein, daß nicht vom allgemein

menschlichen Standpunkte aus – und dieser ist in der Regel vorzugsweise

  1. Haben wir in den letzten Jahren die Besprechung literarischer Erzeugnisse grundsätzlich aus dem Rahmen unseres Feuilletons („Blätter und Blüthen“) ausgeschlossen, so modificiren wir, von inneren Rücksichten gedrängt, unser Princip nunmehr dahin, daß wir fortan von den hervorragenderen wissenschaftlichen Erscheinungen des Büchermarkts in zwangloser Weise Notiz nehmen werden, während die Kritik der rein belletristischen Novitäten nach wie vor hier keinen Platz finden kann.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 87. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_087.jpg&oldid=- (Version vom 14.9.2022)