Seite:Die Gartenlaube (1881) 076.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881)

wenig Menschen um sich, und mit den niedrig gelegenen Fenstern ist nicht zu spaßen. Drüben im Eßzimmer könnten uns die Silberlöffel dutzendweise gestohlen werden, ohne daß man es ahnt – so etwas merkt man oft erst beim späteren Nachzählen oder einer gelegentlichen Inventur.“

Herr Markus biß sich fast verlegen auf die Lippen, indem er an den letzten Silberlöffel dachte, den die Magd gestern so energisch gegen die Verkaufsgelüste ihres „goldtreuen“ Cameraden vertheidigt hatte, und die Frau im Bette sah still auf ihre Hände nieder, die gefaltet auf der Decke lagen, während es fein roth in das blasse Gesicht aufstieg.

„Ich glaube, von dem jungen Mann, der sich draußen am Hofthor aufhielt, haben Sie Derartiges nicht zu befürchten,“ sagtet der Gutsherr. Er erzählte darauf seine Begegnung mit dem Fremden auf der Fahrstraße, und wie derselbe für die Nacht auf dem Gute untergebracht worden sei – dabei verschwieg er nicht die Flucht des Unglücklichen, die Stolz und Ehrgefühl veranlaßt haben mochten. „Er schien mir heute noch hinfälliger als gestern;“ fügte er hinzu; „ich sah, wie Ihre Magd, die ihm ein Strick Brod bringen wollte, dem Taumelnden zu Hülfe kam −“

„Unsere Magd?“ fragte die alte Dame und hob den Kopf aus den Kissen.

„Ja, die Magd ist’s gewesen, Sännchen!“ bestätigte der Amtmann in[WS 1] fast überlautem Ton, der ihr jedes fernere Wort abschnitt. „Ich gab ihr auch ein paar Geldstücke für den Menschen. I nu, das thut mir aber leid,“ sagte er mit wirklichem Bedauern und fuhr sich in das dünne, graue Haar unter dem Sammetkäppchen. „Ich möchte dem armem Kerl auch unter die Arme greifen, und vom Vorwerk soll er ganz gewiß nicht weggejagt werden, wenn er Nahrung und Ruhe für ein paar Tage braucht – das Fortjagen Hilfsbedürftiger ist beim Amtmann Franz nie Mode gewesen – ich werde den armen Teufel hereinholen.“

Er wollte sich erheben, aber Herr Markus kam ihm zuvor. „Lassen Sie mich hinausgehen, Herr Amtmann!“. sagte er.

„Aber, Liebster; ich weiß nicht, was wir heute zu Mittag haben,“ rief die weiche, bebende Frauenstimme ängstlich vom Bette her. „Und denke doch, bester Mann, wir müßten ihm ja ein Bett geben, ein gutes, bequemes Bett –“

„Nun ja doch – ich weiß nicht, was Du willst, Sannchen!“ fiel er ihr unmuthig in’s Wort. „Haben wir das etwa nicht? – Kein gutes Bett bei Amtmanns, wo alle Welt immer entzückt war, in unseren schönen Daunen zu schlafen! Kümmere Dich doch nicht um die Wirtschaft, Herzchen! Du machst Dir immer falsche Vorstellungen von unserem Haushalte, seit Du selbst nicht mehr Nachsehen kannst, mein emsiges, braves Hausmütterchen! Aber es geht Alles seinen guten Weg; Du kannst ganz ruhig sein. Und wenn wir auch an äußerem Glanze einbüßen mußten, die innere Gediegenheit eines guten Hauses ist uns doch geblieben. Freilich“ – er kraute sich auf’s Neue hinter dem Ohre und schob die Hausmütze nach der andern Seite „mit dem Weine wird’s hapern. Da kann ich im Augenblick mit den barmherzigen Leuten auf dem Gute nicht concurriren. Das verflixte Zipperlein hat mich wieder einmal grimmig gepackt, und mit den lahmen Beinen ist es eine absolute Unmöglichkeit für mich, in den Keller hinabzusteigen – eine andere Hand aber lasse ich principiell nicht über meine Weine.“.

So erlauben Sie mir, Ihnen einstweilen aus dem Keller Ihrer heimgegangenen alten Freundin einen Korb Wein zur Verfügung zu stellen!“ sagte Herr Markus, mit dem Thürschloß in der Hand, an der Schwelle stehen bleibend. „Die gnädige Frau ist ja auch in Folge dieser Gründe, für längere Zeit der nöthigen Stärkung beraubt und wird gewiß die kleine Erquickung als Gabe letzter Hand von ihrer Jugendgefährtin nicht zurückweisen.“

Er ging hinaus und durchmaß eiligen Schrittes den Hof. So lange er am Bette gesessen, war er zu seinem Verdrusse eine „dumme“ Vorstellung nicht los geworden. Die Prüde hatte vorhin im Garten ihre langen Leinenärmel über die entblößten Arme herabgerissen, als sei der darauffallende Männerblick eine Befleckung, und gleich darauf war sie ohne Zögern bereit gewesen, diese Arme um die Gestalt eines jungen Bettlers zu legen – dieses Aergerniß stand ihm fortgesetzt vor den Augen und verdroß ihn dermaßen, daß er mit beiden Händen die Gelegenheit ergriff, hinauszugehen und die Hülfeleistung eigenhändig und allein zu übernehmen.

Aber draußen vor dem Thore war weit und breit kein lebendes Wesen zu entdecken. Der Fremde mußte mit seinen zwei Pfennigen Zehrgeld in der Hand schließlich doch weiter gewankt sein, und das Mädchen war jedenfalls ihren häuslichen Geschäften wieder nachgegangen; bei dieser Wahrnehmung athmete er unwillkürlich und tief erleichtert auf – lächerlich! Was ging es denn ihn an, und was hatte er d’rein zu reden, wenn junges Blut, ein Bursch und ein Mädchen aus dem Volke, in der Fremde in Hülfsbereitschaft zu einander traten?

Bei seiner Rückkehr in das Haus überflog sein Blick scharfmusternd die Façade des Wohngebäudes. Fräulein Gouvernante hatte sich jedenfalls vor ihm zurückgezogen, was er ihr keineswegs verdachte, da sie ja erfahren hatte, er beabsichtigte, ihr aus dem Wege zu gehen, wo er könne. Er fühlte auch durchaus kein Verlangen nach ihrem Anblicke, aber eigentlich hatte er ja doch die Verpflichtung, auf jeden Fall sich zu überwinden, um im persönlichen Verkehre zu erfahren, weß Geistes Kind sie sei. Die Idee, ihr zu schreiben, hatte er vorhin nur in Zorn und Widerspruch an den Tag gelegt; ernstlich durfte er das nicht wollen.

Vielleicht entdecke er vorläufig an einem der Fenster ihr Profil, oder die Umrisse ihrer Gestalt – er mußte lächeln angesichts dieser Fenster. Nur drei derselben waren einigermaßen würdig, ein hochmüthiges Damengesicht zu umrahmen; das waren die Fenster der Wohnstube mit ihren hübschen weißen Gardinen, die zur Linken der Hausthür lagen; zur rechten Hand wurde das eine von einem schief in den Angeln hängenden Laden verdeckt, und durch die beiden anderen sah man in einen fast leeren Raum, der nur einen großen Ofen, einen Tisch und einige Stühle von Tannenholz enthielt. Das mochte die Gesindestube sein – das Asyl der Magd, wenn sie einmal Zeit fand, von ihrer Arbeit auszuruhen – oder doch nicht etwa das berühmte Eßzimmer mit seiner ungezählten Schaar silberner Löffel?! –

Ein weißer, bewegter Gegenstand lenkte plötzlich seinen Blick auf das niedrige Dach. Aus dem Mansardenfenster über der Hausthür wehte ein loser Mullvorhang und blähte sich in der Luft; auf dem Simse blühten schöne Rosen, und an der sichtbaren helltapezirten Innenwand der tiefen Fensternische hingen Bilder. Also da residirte Fräulein Gouvernante. – Nun, für heute mochte sie in ihrer Klause bleiben – er war augenblicklich ganz und gar nicht in der Stimmung, Phrasen zu drechseln, wie sie der Umgangston jener Kreise verlangte, in denen Dame Blaustrumpf gelebt und gewirkt hatte.

(Fortsetzung folgt.)


Einer, der nicht viel besser ist, als sein Ruf.

Vielfraß nennt man dieses Thier
Wegen seiner Freßbegier.

Der Vielfraß ist eine der interessantesten Thier-Erscheinungen, aber leider haben nur wenige zoologische Gärten Exemplare dieser Vierfüßler aufzuweisen. Er gehört zu jenen seltenen Thieren, welche ausschließlich die kälteren Regionen des europäischen und amerikanischen Continents bewohnen und höchst selten lebend zu uns kommen. Nicht nur wegen seiner Seltenheit, sondern vor Allem in wissenschaftlicher Beziehung ist dieser Repräsentant der nordischen Fauna ein willkommener Gast in unseren zoologischen Gärten, indem er uns so Gelegenheit bietet, einen Theil seiner Lebensweise sowie seines Gebahrens, über welches ja manches Fabelhafte berichtet worden ist, beobachten zu können.

Der Vielfraß – Gulo borealis – erreicht fast die doppelte Größe unseres gemeinen Dachses. Wie dieser, gehört auch er zu den fleischfressenden Raubthieren und steht als besondere Gattung zwischen den Mardern und den Bären. Die Zahl und Beschaffenheit seiner Zähne reihen ihn den ersteren an, während die plumpere Gestalt seines Körpers, sowie die Form seiner Füße, welche ein Auftreten mit der ganzen Sohle bedingt, eine gewisse Verwandtschaft mit den Bären bekundet. Dagegen zeigt der Kopf mit

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ist
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1881). Leipzig: Ernst Keil, 1881, Seite 76. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1881)_076.jpg&oldid=- (Version vom 4.2.2022)